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"Aufrüstungsbestrebungen vergrößern das Eskalationsrisiko zwischen Staaten"

Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) kritisiert deutsche Waffenausfuhren - Statements von Prälat Dr. Karl Jüsten, Prälat Dr. Martin Dutzmann und von Jan Grebe (BICC)


Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) legte am 16. Dezember 2013 zum siebzehnten Mal seit 1997 einen Rüstungsexportbericht vor. Er stellt öffentlich verfügbare Informationen über die deutschen Ausfuhren von Kriegswaffen und Rüstungsgütern des Vorjahres (2012) zusammen und bewertet die Rüstungsexportpolitik im Zusammenhang der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Hier geht es zur Presseerklärung.
Im Folgenden dokumentieren wir die bei der Pressekonferenz abgegebenen Statements von


Statement von Prälat Dr. Karl Jüsten

Katholischer Vorsitzender der GKKE

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Rüstungsexportpolitik geht in die falsche Richtung. Rüstungsexportgenehmigungen werden erteilt in Spannung, oft im Widerspruch zu den eigenen politischen Grundsätzen und Gesetzen, dies hat Prälat Dutzmann eben an Hand der Zahlen aus 2012 geschildert, ein Gesamtbild ähnlich wie in den Jahren zuvor. Es braucht eine Kehrtwende hin zu einer tatsächlich restriktiven Genehmigungspraxis - und nicht weniger als das erwarten wir von der neuen Bundesregierung!

Im Koalitionsvertrag steht „Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten sind die im Jahr 2000 beschlossenen strengen politischen Grundsätze für unser Regierungshandeln verbindlich“. Gut so, aber Skepsis ist angebracht. Dieser Satz steht im Kapitel 1.1 des Koalitionsvertrages „Deutschlands Wirtschaft stärken“ im Absatz „Außenwirtschaft“. Die notwendige Kehrtwende wird aber nicht gelingen ohne einen Perspektivwechsel: Rüstungsgüter, seien es direkt zur Kriegsführung bestimmte Waffen oder andere, sind Gewaltmittel; ihr Export ist zuerst unter friedensethischen Kriterien zu bewerten ähnlich wie die Anwendung von Gewalt selbst. Die Frage der Exportgenehmigung ist unter entwicklungs-, friedens- und sicherheitspolitischen Erwägungen zu betrachten, wie es im EU-Gemeinsamen Standpunkt vorgegeben ist, den die Bundesregierung in ihre Politischen Grundsätze aufgenommen hat. Es geht ausdrücklich nicht um Arbeitsplätze und es geht auch nicht um Standortfragen oder um den Erhalt einer wettbewerbsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Nehmt die eigenen Politischen Grundsätze endlich ernst! Das ist unsere erste Erwartung an die neue Bundesregierung.

Eine Voraussetzung, damit dies gelingt, ist mehr Transparenz und eine stärkere parlamentarische Kontrolle. Auch dies haben wir an dieser Stelle oft kritisiert und gefordert. So lesen wir mit Freude im Koalitionsvertrag, dass die Bundesregierung den deutschen Bundestag „über ihre abschließenden Genehmigungsentscheidungen … unverzüglich unterrichten“ wird. Die Vorlage des jährlichen Rüstungsexportberichtes soll noch vor der Sommerpause des Folgejahres erfolgen und ein Zwischenbericht ist vorgesehen. Das begrüßen wir ausdrücklich und wir werden mit anderen darauf achten, dass Wort gehalten wird. Das Parlament fordern wir auf, rasch zu klären, in welcher Weise bzw. in welchem Ausschuss die Begleitung und Kontrolle erfolgen soll.

Wir erneuern aber auch unsere Erwartung, dass der Inhalt der Berichte qualitativ besser werden muss. Grundsatzentscheidungen im Hinblick auf bestimmte Regionen oder Länder sollten mitgeteilt und begründet werden, damit die Konturen der Rüstungsexportpolitik deutlicher werden. Tatsächliche Exporte, Laufzeit der Genehmigungen, Waffensysteme, Produktionslizenzen, all das wären wichtige Informationen zur Beurteilung der Lage, Informationen, die bisher fehlen im jährlichen Regierungsbericht.

Weitere Erwartungen richten wir auch an diese Bundesregierung: keine Klein- oder Leichtwaffen in Spannungsgebiete oder Konfliktregionen. Keine Hermesbürgschaften für Rüstungsexporte: mit Exportkreditgarantien, sog. Hermes Bürgschaften in Höhe von 3,3 Milliarden Euro hat die Bundesregierung in 2012 Rüstungsgeschäfte abgesichert, 2011 waren es noch 2,5 Mrd. €. Das sind Steuergelder, mit denen Risiken bei Rüstungsexportgeschäften abgesichert werden, wogegen sich die GKKE immer wieder ausgesprochen hat.

Im inhaltlichen Schwerpunkt unseres diesjährigen Berichtes diskutieren wir die gesetzlichen Regelungen der Rüstungsexportkontrolle in Deutschland in ihrer Verschränkung mit europäischen und internationalen Normen. Das Regelwerk ist äußerst komplex und schwer zu durchschauen, vielleicht ist auch dies ein Grund, warum viele einen Bogen um dieses Politikfeld machen. Besonders fragwürdig ist einigen Verfassungsrechtlern die Rolle des Bundessicherheitsrates. Ihm wurden im Laufe der Geschichte die schwierigen Rüstungsexportentscheidungen zugewiesen, obwohl das Grundgesetz ausdrücklich die Bundesregierung, also das Kabinett als Ganzes in die Pflicht nimmt. Wir verstehen dieses Schwerpunktkapitel als Angebot an alle, die Klärung wollen und eine restriktive und schlüssige Rüstungsexportpolitik anstreben.


Statement von Prälat Dr. Martin Dutzmann

Evangelischer Vorsitzender der GKKE

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem die Bundesregierung am 20. November ihren Bericht über Kriegswaffenexporte und Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte in 2012 veröffentlichte, legt die GKKE heute ihren 17. Rüstungsexportbericht vor. Wir haben das Zahlenwerk der Bundesregierung und andere öffentlich verfügbaren Informationen aus entwicklungspolitischer und ethischer Perspektive bewertet. Die GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte hat den Bericht unter dem Vorsitz von Jan Grebe erstellt.

Im Jahr 2012 erteilte die Bundesregierung insgesamt 16.380 Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 4,704 Milliarden Euro. 77 Sammelausfuhrgenehmigungen im Wert von 4,172 Milliarden Euro wurden erteilt. Kriegswaffen sind im Wert von 946 Millionen Euro im Jahr 2012 exportiert worden.

An Staaten, die der EU bzw. der NATO angehören oder diesen gleichgestellt sind, wurden im Jahr 2012 Rüstungsausfuhren im Wert von 2,101 Milliarden Euro genehmigt. Das entspricht 45 Prozent aller erteilten Einzelgenehmigungen. An alle übrigen Staaten („Drittstaaten“) sind Rüstungsausfuhren in Höhe von 2,603 Milliarden Euro genehmigt worden. Unter diesen findet sich als relevantester Abnehmer Saudi-Arabien mit einem Genehmigungswert 1,237 Milliarden Euro. Mit großem Abstand folgen Algerien, Südkorea, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate, Irak, Indien und Israel. An Staaten, die seitens der OECD als Empfänger offizieller Entwicklungshilfe eingestuft werden, wurden nach unseren Berechnungen im Jahr 2012 Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 866,6 Millionen Euro erteilt (18,4 %).

In den genannten Bereichen der Rüstungsgüter, der Kriegswaffen und der Exportgenehmigungen für Entwicklungsländer ist gegenüber den Zahlen für 2011 ein Rückgang festzustellen. Bei den Ausfuhren von kleinen und leichten Waffen gibt es im Jahr 2012 hingegen einen starken Anstieg. Die Bundesregierung hat die Ausfuhr von 66.955 kleinen und leichten Waffen genehmigt, doppelt so viel wie im Vorjahr. Die Auswirkungen von Sturmgewehren und Maschinenpistolen sind verheerend. Immer wieder geraten sie auf illegalem Weg in fragile Staaten und Konfliktgebiete.

Der Rückgang der Exportgenehmigungen im Bereich der Rüstungsgüter, der Kriegswaffen und der Exporte in Entwicklungsländer ist grundsätzlich zu begrüßen. Im mittelfristigen Trend verharren die Exportgenehmigungswerte jedoch mit leichten Schwankungen auf einem Allzeithoch. Deutsche Rüstungsunternehmen kompensieren die sinkende Nachfrage in Europa durch neue Kunden auf dem Weltmarkt. Die Bedeutung von Drittstaaten als Abnehmer deutscher Rüstungsgüter hat zugenommen. 55 Prozent der Exportgenehmigungen sind im Jahr 2012 für Ausfuhren an diese Staatengruppe erteilt worden.

Vor allem Rüstungsgeschäfte mit zahlungswilligen und -kräftigen Herrschern aus dem Nahen und Mittleren Osten haben zugenommen. Dabei geht es um den Export von Kampfpanzern nach Saudi-Arabien und Katar, Verkäufe von gepanzerten Mannschaftstransportern des Typs Boxer an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie von Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien. Während die Lieferung von 62 Kampfpanzern Leopard 2 A 7+ nach Katar schon genehmigt ist, bleibt das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien offen.

Diese Geschäfte haben zu einer kontroversen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit und im Parlament geführt. Auch die GKKE hat Bestrebungen der Bundesregierung kritisiert, Länder wie Saudi-Arabien als „Stabilitätsanker“ in dieser Region aufzurüsten. Dies birgt erhebliche Gefahren für die regionale Stabilität. Folgt man den Kriterien, die sich die Bundesregierung selbst in ihren Politischen Grundsätzen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern und Kriegswaffen gegeben hat, verbieten sich die Exporte von Kriegswaffen an diese Staaten. Die Frage, wie diese Länder vor dem Hintergrund der Waffenlieferungen an Rebellengruppen in Syrien und in der Sahel-Zone „Stabilitätsanker“ in der Region sein können, hat die Bundesregierung nicht erläutert. Von der oft völlig desolaten Menschenrechtslage, einschließlich der Missachtung der Religionsfreiheit, ganz zu schweigen.

Insgesamt vermittelt der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung somit nicht den Eindruck einer differenzierten und zurückhaltenden Genehmigungspraxis, die sich an die eigenen restriktiven Maßstäbe hält. Obwohl die Bundesregierung dies immer wieder betont, werden Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen begangen werden, in großem Umfang mit deutschen Rüstungsgütern beliefert. Nach Berechnungen des Bonn International Center for Conversion (BICC) war das im Jahr 2012 bei 67 Ländern der Fall gegenüber 64 Ländern im Jahr 2011.


Statement von Jan Grebe

Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC). Vorsitzender der GKKE Fachgruppe Rüstungsexporte

Sehr geehrte Damen und Herren,

die jüngsten Rüstungsgeschäfte mit Staaten im Nahen und Mittleren Osten sowie in Asien werfen einmal mehr die Frage auf, ob die Bundesregierung bereits einen Paradigmenwechsel in der Rüstungsexportpolitik eingeläutet hat. Sind ihre Eckpunkte dabei sich zu verschieben, droht die deutsche Rüstungsexportpolitik aus dem Lot zu geraten?

Es zeichnet sich ab, dass die alte Bundesregierung gewillt war, mit Rüstungsausfuhren Partner in Konfliktregionen zu unterstützen, damit diese auch eigene militärische Interventionen durchführen können. Kanzlerin Angela Merkel hat dieses Vorhaben unterstrichen: „Wir müssen Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein – dies selbstverständlich nur nach klaren und weithin anerkannten Prinzipien“, so die Bundeskanzlerin.

Lange Zeit galten Waffenexporte in Konfliktregionen im Prinzip als Tabu deutscher Rüstungsexportpolitik. Gemäß der neuen Logik der „Ertüchtigung“ würden sie nun gerade zu einem Pfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik werden. Auch wenn es verlockend scheinen mag - mit Waffen lässt sich keine Stabilität schaffen. Prälat Dutzmann hat in seinem Statement diesen Begriff des „Stabilitätsankers“ bereits angesprochen. Aufrüstungsbestrebungen vergrößern das Eskalationsrisiko zwischen Staaten, da ein Mehr an Waffen in der Regel zu einer allumfassenden Verunsicherung führt, die alle Parteien zu einer weiteren Aufrüstung anspornt. Rüstungsexporte sind kein primäres Instrument zur Friedenssicherung. Nach Auffassung der GKKE ist es daher der falsche Weg, eine Politik der Zurückhaltung aufzugeben.

Das Zusammenwachsen des europäischen Rüstungsmarktes und die Bedeutung europäischer Waffenlieferungen für viele Drittstaaten machen den Blick nach Brüssel wichtiger denn je. Mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ägypten im Sommer 2013 standen Rüstungsexporte aus der EU nach Nordafrika sowie in den Nahen und Mittleren Osten erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Auch Deutschland ist - als einer der großen europäischen Rüstungsexporteure - mit den Folgen seiner Waffenexporte nach Ägypten konfrontiert. Dies zeigt sich am Beispiel des in Lizenz gefertigten Radpanzers Fahd, der gegen Demonstranten eingesetzt wurde. Die GKKE bedauert, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht auf ein umfassendes Waffenembargo gegen Ägypten verständigen konnten. Es wurde lediglich eine politische Übereinkunft erzielt, keine Waffen nach Ägypten zu liefern, die zur internen Repression geeignet sind.

Zwei Jahre nach Beginn der Überprüfung des Gemeinsamen Standpunktes, haben die EU-Mitgliedsstaaten immer noch keine Einigung über die Ergebnisse erzielt. Durch die Überarbeitung des Benutzerhandbuches sollen die Umsetzung des Gemeinsamen Standpunktes verbessert und Staaten bei der Anwendung der Kriterien unterstützt werden. Offen bleibt jedoch, wie eine einheitliche Interpretation der Kriterien vorangetrieben werden kann. Sollte am Ende des Prozesses eine Stärkung von Kriterium Sieben (Gefahr des Re-Exports) und Kriterium Acht (Entwicklungsverträglichkeit) stehen, wäre das aus Sicht der GKKE ein begrüßenswerter Schritt. Die GKKE sieht es als wichtig an, dass die Bundesregierung nicht nur bei dem Überprüfungsprozess, sondern insgesamt bei der Ausgestaltung der europäischen Rüstungsexportkontrolle auf strengere Regeln drängt.

Im April 2013 wurde in der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit der internationale Waffenhandelsvertrag (ATT) angenommen. Deutschland war unter den Ersten, die den Vertag ratifiziert haben.

Mit dem internationalen Waffenhandelsvertrag ist eine völkerrechtliche Grundlage zur Regulierung von Rüstungstransfers in einem globalen Maßstab geschaffen worden. Ursprüngliche Intention des Vertrages war es, höchstmögliche Standards für die Regulierung des internationalen Handels mit konventionellen Waffen zu schaffen und den unerlaubten Waffenhandel zu bekämpfen. Auch wenn dieses Ziel nicht in vollem Umfang erreicht werden konnte, begrüßt die GKKE, dass sich die internationale Staatengemeinschaft mit großer Mehrheit auf einen Vertragstext einigte. Jetzt gilt es die Ratifizierung weltweit zu beschleunigen und Staaten bei der Umsetzung des ATT zu unterstützen.

* Quelle: Website der GKKE; http://www3.gkke.org/

GKKE

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) ist ein ökumenischer, evangelisch-katholischer Arbeitsverbund zur Entwicklungspolitik. Als gemeinsame Stimme der beiden großen Kirchen in Deutschland will die GKKE dem Gedanken der einen Welt in unserem Land politisches Gewicht verleihen. Sie führt Dialoge mit Parlament, Regierung und gesellschaftlichen Interessengruppen zu Fragen der Nord-Süd-Politik und der Entwicklungszusammenarbeit.




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