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GKKE fordert Kehrtwende in der Rüstungsexportpolitik

Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) - Joint Conference Church and Development (GKKE)

Für die Presse

Berlin, 16.12.2013. Bei der Vorstellung ihres Rüstungsexportberichtes 2013 forderte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) heute von der neuen Bundesregierung eine Kehrtwende hin zu einer tatsächlich restriktiven Genehmigungspraxis. Der Rückgang der Exportgenehmigungen in 2012 gegenüber 2011 sei zwar grundsätzlich zu begrüßen, im mittelfristigen Trend aber verharrten die Zahlen auf einem Allzeithoch, erläuterte Prälat Dr. Martin Dutzmann, der evangelische Vorsitzende der GKKE. Den Anstieg der Ausfuhrgenehmigungen von Kleinwaffen auf das Doppelte kritisierte er scharf. „Die Auswirkungen von Sturmgewehren und Maschinenpistolen sind verheerend. Immer wieder geraten sie auf illegalem Weg in fragile Staaten und Konfliktgebiete.“ Mehr als die Hälfte der Rüstungsexportgenehmigungen gingen in 2012 an so genannte Drittstaaten, Länder außerhalb der EU und NATO. Unter ihnen ist Saudi Arabien im hoch aufgerüsteten Nahen Osten mittlerweile zum größten Abnehmer deutscher Waffen geworden. Das Königreich ist - wie viele der Drittstaaten-Empfänger – bekannt für seine bedenkliche Menschenrechtssituation und die Missachtung der Religionsfreiheit, beklagte Dutzmann.

Diese Rüstungsexportpolitik gehe in die falsche Richtung, kritisierte auch Prälat Dr. Karl Jüsten, der katholische Vorsitzende der GKKE. „Rüstungsgüter sind Gewaltmittel, ihr Export ist zuerst unter friedensethischen Kriterien zu bewerten, ähnlich wie die Anwendung von Gewalt selbst.“ Bei der Bewertung von Rüstungsexporten dürfe es nicht um Standortfragen oder um den Erhalt einer wettbewerbsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gehen. Dies habe sich die Bundesregierung auch in ihren politischen Grundsätzen vorgegeben. „`Nehmt die eigenen politischen Grundsätze endlich ernst!‘ - dies ist unsere erste Forderung an die neue Bundesregierung“, betonte Jüsten. Die Ankündigungen im Koalitionsvertrag, so Jüsten weiter, gingen in die richtige Richtung. Positiv zu bewerten sei etwa die vorgesehene zeitnahe Berichterstattung zu Rüstungsexporten gegenüber dem Bundestag. Diese Berichte müssten jedoch auch inhaltsreicher werden, Begründungen enthalten oder Informationen über die tatsächlichen Exporte von Rüstungsgütern, unterstrich Jüsten.

Jan Grebe, der Vorsitzende der GKKE-Fachgruppe ‚Rüstungsexporte‘, die den Bericht erarbeitet hat, würdigte den internationalen Waffenhandelsvertrag (ATT): Mit ihm sei eine völkerrechtliche Grundlage zur Regulierung von Rüstungstransfers in einem globalen Maßstab geschaffen worden. Auch wenn nicht alle Ziele erreicht worden seien, sei zu begrüßen, dass sich die internationale Staatengemeinschaft mit großer Mehrheit auf einen Vertragstext für den ATT geeinigt habe. „Jetzt gilt es, die Ratifizierung weltweit zu beschleunigen und Staaten bei der Umsetzung des Vertrages zu unterstützen“, so Grebe.


Hier geht es zu den Statements von Prälat Dr. Karl Jüsten, Prälat Dr. Martin Dutzmann und von Jan Grebe (BICC): STATEMENTS



Waffenlobby im Kanzleramt

Kirchen stellen alternativen Rüstungsexportbericht vor. »Kehrtwende« bei Genehmigungspraxis und parlamentarische Kontrolle verlangt

Von Jana Frielinghaus *


Es ist nicht so, daß die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland Rüstungsexporte und Kriegseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich ablehnen. Dem widerspricht allein die Tatsache, daß mit Martin Dutzmann mittlerweile der Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für seine Institu­tion der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) vorsitzt. Sie stellte am Montag in Berlin zum 17. Mal ihren alternativen Rüstungsexportbericht vor.

Aber immerhin: Das Gremium übt scharfe Kritik an der intransparenten Genehmigungspraxis der Bundesregierung, an der Ausfuhr von Kriegsgerät allgemein und in Länder wie Saudi-Arabien und Katar im besonderen. Das Bestreben der Bundesregierung, solche Staaten als »Stabilitätsanker« im Nahen Osten aufzurüsten, berge dort erhebliche Gefahren, erklärte Dutzmann. Die Bundesregierung müsse endlich die von ihr selbst formulierten politischen Grundsätze »ernst nehmen«, wenn es um die Ausfuhr von Rüstungsgütern gehe, forderte Prälat Karl Jüsten, katholischer Vorsitzender der GKKE.

Mit dem Report, der unter Federführung von Jan Grebe vom Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC) erstellt worden ist, wird unter Bezugnahme auf die Daten des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung vom November die deutsche Genehmigungspraxis und deren gesetzliche und politische Grundlagen, auch auf EU-Ebene, analysiert. Über die Zusagen an die »Verteidigungsindustrie« entscheidet demnach nicht einmal die gesamte Bundesregierung, sondern der Bundessicherheitsrat, dem neben dem Verteidigungs- auch der Wirtschaftsminister angehört. Eine parlamentarische Kontrolle findet faktisch nicht statt. Und es gibt offenbar auch kaum Abgeordnete, die diesen eigentlich skandalösen Mangel mit der nötigen Hartnäckigkeit immer wieder auf die Tagesordnung setzten. »Nicht einmal aus der Linken ist da viel zu hören«, konstatierte Jüsten.

Zur Erinnerung noch einmal die wichtigsten Daten aus dem Regierungsbericht: Insgesamt ging der Umfang der vom Kabinett erteilten Genehmigungen für Ausfuhren 2012 von 5,4 auf 4,7 Milliarden Euro zurück (siehe dazu auch jW vom 20.11.). Einen extremen Anstieg gab es aber bei kleinen und leichten Waffen. Allein an Länder außerhalb von EU und NATO wurden Pistolen und Maschinengewehre sowie Munition für 37,1 Millionen Euro exportiert. Das ist mehr als doppelt soviel wie 2011.

Prälat Jüsten verlangte angesichts dessen eine »Kehrtwende hin zu einer tatsächlich restriktiven Genehmigungspraxis«. Dabei dürfe das Arbeitsplatzargument ebenso wenig eine Rolle spielen wie andere nationale Interessen, etwa der Erhalt einer »wettbewerbsfähigen« Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Den künftigen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte er auf, seine Zusage einzuhalten, bei der Genehmigung von Waffenausfuhren »restriktiv« vorzugehen. Erfreulich sei, daß die neue Regierung laut Koalitionsvertrag »über ihre abschließenden Genehmigungsentscheidungen« den Bundestag »unverzüglich unterrichten« will und daß der Rüstungsexportbericht künftig noch vor der parlamentarischen Sommerpause veröffentlicht werden soll. Der Report müsse jedoch qualitativ besser und detaillierter werden. Einmal mehr verlangte der GKKE-Vorsitzende ein Ende der Hermesbürgschaften der Bundesregierung für Rüstungsgeschäfte. Deren Umfang lag 2012 bei 3,3 Milliarden Euro aus Steuergeldern gegenüber 2,5 Milliarden im Vorjahr.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Dezember 2013


Fatale "Ertüchtigungspolitik"

Olaf Standke über den alternativen Rüstungsexportgericht der Kirchen **

Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von fast neun Milliarden Euro hat die scheidende Bundesregierung im Vorjahr erteilt. Hiesige Waffenschmieden kompensieren dabei die sinkende Nachfrage in Europa durch neue Kunden auf dem Weltmarkt, über die Hälfte der Lieferungen geht inzwischen an sogenannte Drittstaaten. Und damit landen Kriegsgüter immer häufiger in Konfliktgebieten, fragilen Staaten und Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden. Wenn etwa Saudi-Arabien zum wichtigsten Abnehmer aufsteigt, zeigt das nach Analyse der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung das ganze Dilemma einer fatalen »Ertüchtigungspolitik«, die eine autoritäre Ölmonarchie zum Stabilitätsanker einer ganzen Region erklärt, sie deshalb aufrüstet und so letztlich die regionale Stabilität gefährdet. Wenn die Vergangenheit eines lehrt, dann: Rüstungsexporte sind kein Instrument zur Friedenssicherung.

Deshalb muss Berlin endlich die selbst verordneten restriktiven Auflagen für Waffenlieferungen durchsetzen. Darauf beruft sich auch der schwarz-rote Koalitionsvertrag – allerdings unter der Kapitelüberschrift »Deutschlands Wirtschaft stärken«, was sofort wieder skeptisch macht. Nicht geostrategische oder Standortfragen dürfen hier ausschlaggebend sein, sondern allein friedens- und entwicklungspolitische Überlegungen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Dezember 2013 (Kommentar)


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