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Kenntnisnahme statt Parlamentskontrolle

Rüstungsexporturteil aus Karlsruhe: Genehmigungsverfahren bleiben Regierungsgeheimnis

Von René Heilig *

Die Bundesregierung muss das Parlament nicht vorab über brisante Rüstungsexporte informieren. Das entschied am Dienstag das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Klartext für Abgeordnete: Kenntnisnahme statt Kontrolle. Alles bleibt, wie es ist. Die Bundesregierung darf brisante Rüstungsexportgeschäfte bis zur abschließenden Genehmigung geheim halten. Obwohl die Abgeordneten des Bundestages Informationen brauchen, um die Regierungsarbeit und deren Entscheidungen aufgabengemäß zu kontrollieren.

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte, man habe »weder über die Zulässigkeit noch über den Umfang von Rüstungsexporten« entschieden. Es sei nur um die Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts gegangen.

Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul hatten dagegen geklagt, dass das Parlament erst nachträglich von genehmigten Rüstungslieferungen ins Ausland erfährt. Vergebens. Die Volksvertreter, so urteilten die Richter in Karlsruhe nun, hätten erst nach Abschluss des Verfahrens – so sie eine konkrete Anfrage stellen – das Recht auf Auskunft darüber, ob ein bestimmter Export genehmigt oder abgelehnt wurde. Der jährliche Rüstungsexportbericht reiche hier nicht aus.

Anlass für die Klage war eine denkwürdige Fragestunde, die am 6. Juli 2011 im Parlament stattgefunden hat. Die Grünen wollten wissen, ob es stimmt, was auch sie aus Medien erfahren hatten. Es ging um den Verkauf von über 200 Leopard-Kampfpanzern an Saudi-Arabien. Angeblich, so wurde behauptet, habe der Bundessicherheitsrat den Export positiv beschieden, trotzdem das Empfängerland gerade erst dem Nachbarn Bahrain mit Waffengewalt geholfen hatte, Oppositionsproteste zu ersticken.

Obwohl der Abgeordnete Ströbele der Regierung verfassungswidriges Verhalten vorwarf, verweigerte die jegliche Auskunft. Und so wie die Regierung wollen auch die Karlsruher Richter nichts ändern am Ablauf der Genehmigungspraxis. Lange bevor ein brisantes Rüstungsgeschäft vom zuständigen Wirtschaftsministerium offiziell beurteilt wird, ist eigentlich alles klar. Die Exporteure richten sogenannte Voranfragen an das Auswärtige Amt. Blinkt grünes Licht, nehmen die Konzerne das als verbindliche Zusage. Zu Recht. Bislang ist kein einziger Fall bekannt, bei dem die Rüstungsindustrie beim Fortgang des Verfahrens enttäuscht wurde. Betrachtet wird auch die Arbeit des Bundessicherheitsrates, dem neben der Kanzlerin sieben Ressortchefs und der Bundeswehr-Generalinspekteur angehören. Darüber muss die Regierung keine Auskunft erteilen. In diesem frühen Stadium sei der Willensbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung besonders geschützt, entschied das oberste deutsche Gericht. Wohl aber, so das Gericht, habe das Gremium keine Entscheidungsbefugnis.

Der Panzerexport wurde inzwischen gestoppt, andere Exporte nach Saudi-Arabien sowie in Diktaturen, die Menschenrechte missachten, gehen weiter. Ebenso Lieferungen in Kriegs- und Krisengebiete – gesetzwidrig. Laut jüngstem Zwischenbericht wurden im ersten Halbjahr 2014 Einzelgenehmigungen im Wert von 2,229 Milliarden Euro genehmigt. Nur ein Drittel betrifft Ausfuhren in NATO- oder EU-Länder.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Oktober 2014


Verschämter Umgang

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Die Bundesregierung darf weiterhin brisante Rüstungsexportgeschäfte bis zur abschließenden Genehmigung geheim halten und muss keine ihrer Entscheidungen begründen. Das entschied am Dienstag das Bundesverfassungsgericht. Was sagt man dazu?!

Beispielsweise das Folgende: »Der verschämte Umgang mit diesen existenziellen Fragen ist einer reifen Demokratie und einer aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig.« Wer sagt das? Sigmar Gabriel, der SPD-Chef und Wirtschaftsminister. Er sitzt im Bundessicherheitsrat, der über besonders brisante Rüstungsexporte befindet und letztlich alle Exportlizenzen für Panzer, U-Boote, Sturmgewehre und Granaten abzeichnet. Gabriel sagte jüngst vor der Gesellschaft für Auswärtige Politik auch: »Wir sollten als Demokratinnen und Demokraten niemals den Begründungsaufwand scheuen, den eine öffentliche Debatte verlangt.«

Wohlan, ans Werk – möchte man ihm und der Regierungsmannschaft zurufen. Die mauert nicht nur bei Fragen zu Rüstungsexporten. Selbstbewusst, ja sogar dreist pocht die Exekutive auf ihre Eigenverantwortung, sei es bei der Aktenherausgabe an Untersuchungsausschüsse oder der Beantwortung von Parlamentsanfragen. Sie warnt eigene Beamten vor Snowden-Allüren, also auch vor zu viel Offenheit gegenüber Medien. Denn die sind bisweilen gefährlich. Auch – wie im aktuellen Fall – als Auslöser für Klagen in Karlsruhe, wo nicht immer so pro Regierung geurteilt wird.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Oktober 2014 (Kommentar)


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