Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): "Wer sich bei der Abstimmung der Stimme verweigert, stärkt die Taliban"
Abschließende Debatte und Abstimmung über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes - Alle Reden
Am 16. Oktober 2008 debattierte der Bundestag abschließend über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF. Die Debatte zur 1. Lesung (am 7. Oktober) haben wir >>> hier <<< dokumentiert. Im Folgenden dokumentieren wir die ganze Debatte der 2. und 3. Lesung im Wortlaut. Es sprachen in dieser Reihenfolge:
Kritische Erklärungen aus der Friedensbewegung haben wir an anderer Stelle dokumentiert:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung.
Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b
auf:
a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1833 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
– Drucksachen
16/10473, 16/10567 –
(...)
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)
zu dem
Entschließungsantrag der Abgeordneten
Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE zu dem Antrag der
Bundesregierung (...)
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen weiterhin
je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung
zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
sehe dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner
dem Kollegen Walter Kolbow für die SPD-Fraktion
das Wort.
Walter Kolbow (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wissen alle, dass dieser Tagesordnungspunkt nicht
nur in dieser Woche, sondern auch im Weiteren im Mittelpunkt
unserer parlamentarischen Erörterungen und
Beratungen steht, auch wenn entschuldigt die Frau Bundeskanzlerin
und der Herr Außenminister heute nicht anwesend
sein können.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Verlängerung
des ISAF-Mandates mit sehr großer Mehrheit zu.
Diese Entscheidung ist eindeutig, spiegelt den schwierigen
Abwägungs- und Entscheidungsprozess – das versteht
sich – aber nur unzureichend wider. Auch die siebte
Verlängerung dieses Mandates hat sich meine Fraktion
mit unserer Taskforce Afghanistan und durch intensive
Fraktions-, Arbeitsgruppen- und Ausschusstätigkeit im
wahrsten Sinne des Wortes erarbeitet.
(Beifall bei der SPD)
Zwingendes Argument für eine weitere Verlängerung
ist zunächst sicherlich die mangelnde Alternative zur
Fortführung des Engagements. Der sofortige Abzug der
Bundeswehr – wie es der Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke verlangt – stellt keine wirkliche Alternative
dar. Dies wäre ein Wortbruch gegenüber unseren afghanischen
Partnern und die Flucht aus einer gemeinsam
übernommenen internationalen Verantwortung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wenn wir gingen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dann wäre dies eine Verletzung der Solidarität all denen
gegenüber, die bleiben. Wir würden das Ziel aufgeben,
für das wir sieben Jahre lang in Afghanistan gearbeitet
haben, nämlich dem Land eine gute Zukunft zu sichern
und dabei für unsere eigene Sicherheit zu sorgen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das geht nicht ohne den weiteren Einsatz der Bundeswehr
in Afghanistan. Wir wissen, dass wir unseren Soldatinnen
und Soldaten weiter viel zumuten müssen. Namens
meiner Fraktion danke ich allen herzlich, die sich
in Afghanistan bemühen und dort für uns sehr wichtige
Aufgaben erfüllen. Dies gilt auch heute wieder besonders
für die Bundeswehrangehörigen, für die das Parlament
mit seiner Entsendungsentscheidung wieder und
weiter große Verantwortung übernimmt. Nehmen Sie auf
der Tribüne und Sie, Herr Bundesminister der Verteidigung,
das bitte für unsere Fraktion mit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich denke, dass aber auch all die anderen Frauen und
Männer, die mit ihrer hohen fachlichen und sozialen
Kompetenz unter Entbehrungen und Risiken Hoffnungsanker
und Mutmacher für die Überwindung der Gewalt
und für den friedlichen Aufbau sind, diesen Dank verdienen.
Über die Tätigkeit beim Wiederaufbau wird Frau
Ministerin Wieczorek-Zeul berichten.
(Beifall bei der SPD)
Unser Ziel ist es, die Lebensbedingungen in Afghanistan
zu verbessern, die afghanische Eigenverantwortung
zu stärken und lokale Kapazitäten sowie Strukturen
aufzubauen. Sicherheit, Good Governance und Entwicklung
sind die Pfeiler, auf denen der erfolgreiche Wiederaufbau
in Afghanistan ruhen muss. Wir wissen von unseren
afghanischen Partnern, dass sie Vorsorge für ihre
eigene Sicherheit zwar leisten wollen und können. Aber
sie brauchen noch die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft,
also unsere Hilfe. Dabei müssen sie sich
darauf verlassen können, dass diese Hilfe in nächster
Zeit weiter geleistet wird. Es geht um Verlässlichkeit
und um Vertrauen. Deswegen ist es richtig, die ISAFMandatierung
heute zu verlängern.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, meine Fraktion verbindet
mit der Zustimmung Erwartungen auf Fortsetzung und
sukzessive Anpassung der strategischen Zielsetzungen
der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen
Regierung. Dies spiegelt sich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in
Ihrem Entschließungsantrag wider. Auch wir erwarten,
dass wir vor dem Hintergrund der Auffassung, dass dies
ein dynamisches Mandat ist, stets eine ehrliche und
selbstkritische Bilanz der Leistungen, der Defizite und
der Fehler sowie des internationalen und auch des deutschen
Engagements vornehmen. Dass wir dazu fähig
sind, beweisen der Afghanistan-Bericht der Bundesregierung
und seine Fortschreibung, der Fortschrittsbericht
der Taskforce meiner Fraktion unter Leitung von Detlef
Dzembritzki, aber auch die Berichte der zuständigen
Ressorts sowie die weitere Bereitschaft der Bundesregierung
zur Evaluierung und zu künftigen Benchmarks.
Dazu gehört, dass wir den Kampf gegen Korruption,
Ineffizienz und Missmanagement nicht nur auf der afghanischen
Seite, sondern auch aufseiten der internationalen
Gemeinschaft fortführen. Dazu gehört die Klärung
von strategischem Dissens und, dass die Verpflichtung
aller internationalen Truppen auf den Unterstützungsansatz
gerichtet ist und wir den dezentralen Governance-
Ansatz intensivieren. Das heißt, wir wollen eine nachhaltige
Förderung lokaler Strukturen vornehmen, ohne
die Zentralregierung zu vernachlässigen. Dazu gehören
eine regionale Einbettung des Konfliktes in Afghanistan
mit allen Nachbarstaaten unter besonderer Berücksichtigung
des Schlüssellandes Pakistan und die weitere intensive
Bekämpfung des Drogenanbaus; dies werden weitere
Redner meiner Fraktion ansprechen.
Ich will abschließend in Respekt vor der Arbeit der
Menschenrechtspolitiker in diesem Hause und in meiner
Fraktion einen Blick auf die Situation der Menschenrechte
werfen. Nach internationalem Rechtsverständnis
ist es völlig unverständlich, dass dem inhaftierten Journalisten
Pervez Kambakhsh die Todesstrafe droht, weil
er einen Artikel über die Rechte der Frauen im Islam aus
dem Internet heruntergeladen und verbreitet hat.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE])
Ich sage – sicherlich in Übereinstimmung mit allen hier
im Hause –, dass es unverständlich ist, dass Präsident
Karzai dessen mögliche Begnadigung wegen angeblich
drohender Straßenrevolten immer noch ablehnt. Dies erwarten
wir nicht vom Staatspräsidenten Afghanistans.
Wir erwarten hier die Anwendung selbstverständlicher
Menschenrechte. Diese Forderungen dürfen und müssen
wir stellen.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich denke, dass die Verlängerung des ISAF-Mandates
auch angesichts dieses Hinweises kein Weiter-so bedeuten
kann. Sie ist, wie die Bundesregierung schlüssig dargelegt
hat, auf die Bedürfnisse der nächsten 14 Monate
zugeschnitten. Mit all dem sorgen wir dafür, dass die
Menschen – in erster Linie die Afghanen selbst – die Entwicklung
in Afghanistan tatsächlich spüren, sehen und
am eigenen Leib erfahren.
Der Antrag der Bundesregierung verdient die Zustimmung
des Deutschen Bundestages, so wie es die SPD-Fraktion
mit großer Mehrheit tun wird.
Ich danke.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger
für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Birgit Homburger (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP-Bundestagsfraktion wird mit großer Mehrheit
der Verlängerung des ISAF-Mandats zustimmen. Für
uns sind dafür vier Gründe ausschlaggebend. Wir sind
auf Bitten der afghanischen Regierung zur Unterstützung
und zum Aufbau in Afghanistan. Dabei hat es in
den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gegeben. Dies
gilt zunächst für den Bereich der Sicherheit.
Ich denke daran, dass beispielsweise im Bezirk Kabul
Ende August die Übergabe an einheimische Kräfte stattgefunden
hat, sodass dort jetzt afghanische Kräfte allein
und selbstständig für Sicherheit sorgen. Es gibt aber
auch erhebliche Fortschritte im zivilen Bereich: 75 Prozent
der Jungen und 35 Prozent der Mädchen gehen mittlerweile
in die Schule. Wenn man weiß, dass 45 Prozent
der Bevölkerung Afghanistans unter 14 Jahre alt sind,
dann erkennt man, wie wichtig der Bildungsaspekt ist.
Es gibt Fortschritte in Afghanistan. Es gibt eine
Chance auf ein besseres Leben. Das wollen die Menschen
dort. Der Fortschritt bringt Stabilität, und die Stabilität Afghanistans liegt im Sicherheitsinteresse
Deutschlands. Wir hören immer wieder: Wir wollen den
Aufbau, aber ohne Militär. – Das ist eine Illusion.
(Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])
Bei der Instandsetzung des Kajaki-Staudamms, der im
Frühjahr 2009 ans Netz gehen und weite Teile des Landes
mit Strom versorgen soll, gibt es häufig Widerstand,
vor allem durch Aufständische. Weil diese Stromversorgung
für große Teile des Landes wichtig ist und dieser
Staudamm ein Symbol für Fortschritt und Entwicklung
ist, wird dagegen vorgegangen. Deshalb gab es beim
Einbau der Turbinen eine große Schießerei. Das zeigt:
Aufbau in Afghanistan ist ohne militärische Absicherung
derzeit nicht möglich. Auch deshalb stimmen wir
dem Antrag zu.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Die terroristischen Aktivitäten sind zurückgedrängt
worden. Natürlich gibt es immer noch terroristische Aktivitäten;
es gibt immer noch Ausbildungscamps in der
Grenzregion zu Pakistan. Die FDP-Bundestagsfraktion
ist überzeugt: Wenn wir das Land jetzt verlassen, bedeutet
das, dass wir zurückgeworfen werden. Bei einem Besuch
ist uns nicht nur von der afghanischen Regierung,
sondern auch von der Opposition sehr klar gesagt worden:
Wenn die internationale Gemeinschaft Afghanistan
jetzt verlässt, dann ist Kabul morgen die Hauptstadt des
Terrors. – Und das wollen wir nicht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der SPD)
Der Abzug – jetzt – würde alles gefährden, was bisher
erreicht wurde. Diejenigen, die im Einsatz in Afghanistan
ihr Leben ließen, wären umsonst gestorben. Der Abzug
würde sofort zu einer Destabilisierung Afghanistans,
zu einer Destabilisierung Pakistans und der ganzen Region
führen und damit unmittelbar eine Verschlechterung
der Sicherheitslage mit sich bringen. Deshalb sagen
wir sehr deutlich: Dieser Einsatz erfolgt nicht nur, weil
wir den Afghanen helfen wollen, sondern er erfolgt auch
– wir stimmen dem Antrag zu –, weil er im Interesse unserer
eigenen Sicherheit, weil er im Interesse der Sicherheit
Deutschlands ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der SPD)
Die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion ist klar. Die
Grünen sind hier ohne Linie. Herr Trittin, ich möchte Sie
ganz bewusst ansprechen: Sie haben hier, in diesem
Haus, meine Fraktion für eine einmütig getroffene Entscheidung
in anderer Sache kritisiert, weil sie nicht Ihrer
Meinung entsprach.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das hat gesessen!)
Ich kann dazu nur sagen: Wir brauchen keine Vorträge
von Ihnen über außenpolitische Handlungsfähigkeit. Die
FDP ist außenpolitisch handlungsfähig. Kümmern Sie
sich um Ihre eigene Fraktion! Da haben Sie genug zu
tun!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE
LINKE]: Ein überzeugendes Argument!)
Wenn wir mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen, hören
wir immer wieder die Frage: Haben die Afghanen eigentlich
ein Interesse am Wiederaufbau? Wie sieht es in
der Bevölkerung aus? Ich möchte an dieser Stelle sagen:
Ja, sie engagieren sich, und zwar trotz erheblicher Bedrohungen,
denen sie ausgesetzt sind. Immer wieder
kommen Stammesfürsten aus entlegenen Winkeln des
Landes zur Bundeswehr und bitten um Unterstützung,
beispielsweise beim Aufbau einer Schule. Je öfter das
passiert, desto schlechter ist das für die Taliban und die
Aufständischen. Die eigentliche Bedrohung der Taliban
ist nämlich nicht das Militär, die eigentliche Bedrohung
sind die Schulen, ist die Bildung.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Deshalb werden Lehrer eingeschüchtert und bedroht; es
kommt sogar zu Erschießungen. Je mehr der Aufbau
voranschreitet, desto größer wird die Bedrohung, und
zwar nicht nur für Lehrer, sondern auch für Sprachmittler,
für Landarbeiter und für Polizisten. Den höchsten
Blutzoll in der Auseinandersetzung mit den Aufständischen
zahlt die afghanische Polizei. Das zeigt, dass viele
Afghanen bereit sind, zum Aufbau ihres eigenen Landes
beizutragen. Dabei verdienen sie unsere Unterstützung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir verbinden mit unserer Zustimmung die Erwartung
an die Bundesregierung, dass das Konzept des vernetzten
Ansatzes endlich umgesetzt wird. Dabei geht es
um den Wiederaufbau, nicht nur um mehr Geld, sondern
um eine bessere Koordination; es geht um den Aufbau
von Sicherheitsstrukturen in Afghanistan. An dieser
Stelle sagen wir der Bundesregierung sehr deutlich: Wir
erwarten, dass über die Polizeiausbildung nicht nur geredet
wird, sondern dass Sie wirklich etwas tun. Es nützt
überhaupt nichts, wenn Sie in dieser Woche bereits zum
vierten Mal öffentlich erklären, dass in Masar-i-Scharif
eine Polizeiausbildungsschule eröffnet wird. Den Worten
müssen Taten folgen. Es ist entscheidend wichtig,
dass es jetzt beim Aufbau der Sicherheitsstrukturen besser
und schneller vorangeht.
(Beifall bei der FDP)
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich
möchte an dieser Stelle allen Dank sagen, die sich engagieren:
den Entwicklungshelfern, den Diplomaten, den
Polizisten und den Soldatinnen und Soldaten. Sie machen
im Einsatz für die Sicherheit Deutschlands eine
exzellente Arbeit unter Gefahr für Leib und Leben. Das
verdient Dank und Anerkennung aller in diesem Haus.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung
zur Verlängerung des ISAF-Mandats. Aber
von der Mammutaufgabe, Afghanistan zu stabilisieren,
kann das Militär, also auch die Bundeswehr, nur
20 Prozent übernehmen. Die restlichen 80 Prozent müssen
durch zivile Anstrengungen erreicht werden. Gerade
beim zivilen Teil, beim Aufbau des Landes, müssen wir
viele Rückschläge hinnehmen. Zudem hat die Korruption
ein enormes Ausmaß erreicht. Die Drogenwirtschaft
floriert. Das wiederum stärkt die Aufständischen und erschwert
die Stabilisierung.
Wir hören zwar immer mehr Erfolgsmeldungen: Versorgung
der Bevölkerung mit Trinkwasser, Strom und
Krankenhäusern; Kinder, vor allem Mädchen, in den
Schulen; Studentinnen an den Universitäten. Aber die
guten Nachrichten wechseln sich mit Meldungen über
wiedererstarkende Taliban ab, über hinterhältige Anschläge
nicht nur gegen unsere Soldaten, sondern auch
gegen Helfer von internationalen Organisationen und
– wir haben es gerade gehört – gegen die Afghanen, die
mit dem Westen zusammenarbeiten, zum Beispiel afghanische
Lehrer oder Polizisten. Es gibt Warnungen vor einer
Abwärtsspirale oder gar vor einem Scheitern.
Das hat bei vielen Zweifel an unserem Einsatz in
Afghanistan ausgelöst. 70 Prozent der Bevölkerung lehnen
den Einsatz ab, das ist eine katastrophale Zahl. Sie
macht deutlich, wie schwierig es ist, die Bevölkerung
von der Notwendigkeit des Einsatzes zu überzeugen und
ihr die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung zu
vermitteln. Dennoch werden wir das ISAF-Mandat heute
verlängern und wohl noch einige Jahre verlängern müssen.
Unsere Soldaten, die sich dieser gefährlichen Aufgabe
stellen, verdienen dabei unsere besondere Würdigung;
der Dank gilt ebenso ihren Familien.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Angesichts der Zweifel und Widerstände ist es bequem,
aber in keinster Weise verantwortungsvoll, den
Einsatz abzulehnen oder sich, wie die meisten Grünen,
zu enthalten, erst recht nicht gegenüber unseren Soldaten
im Einsatz, die Sie noch in der letzten Wahlperiode in
Ihrer eigenen Regierungszeit dorthin entsandt haben. Ihr
Auftrag von damals hat sich doch heute nicht verändert.
Der Einsatz unserer Soldaten darf nicht von den Stimmungsschwankungen
der grünen Basis abhängen. Die
Bundeswehr ist keine Parteitagsarmee.
Ich anerkenne deshalb umso mehr, dass sich die
Mehrheit hier im Hause darin einig ist, dass erstens die
deutsche Sicherheitspolitik die Probleme vor Ort zu lösen
versucht, bevor sie unser Land erreichen, und dass
zweitens die Reaktion auf die schlechten Nachrichten
aus Afghanistan nicht etwa ein Rückzug sein kann. Vielmehr
können wir den Rückschlägen nur entgegensteuern,
wenn alle Beteiligten ihre Anstrengungen verstärken,
noch zielgerechter anpassen und das Konzept der
vernetzten Sicherheit, wie wir es in unserer Sicherheitsstrategie
vorgeschlagen haben, konsequent umsetzen.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung in ihrem aktualisierten
Afghanistan-Konzept ankündigt, auch ihr ziviles
Engagement zu verstärken. Wir sollten uns dabei vorrangig
auf drei Probleme fokussieren: Wir sollten erstens
Alternativen zum Schlafmohnanbau schaffen, um die
Drogenwirtschaft und die Drogenkriminalität abzubauen,
zweitens die Korruption eindämmen und die Regierungsführung
verbessern und drittens Pakistan stärker
in die Bekämpfung der Aufständischen einbinden.
Ich hoffe, dass die zusätzlichen 70 Millionen Euro für
Entwicklungsprojekte helfen, die Wiederaufbauerfolge
für die Menschen in Afghanistan schneller sichtbar zu
machen und Alternativen zum Opiumanbau zu schaffen.
Die Bekämpfung der Drogenwirtschaft ist und bleibt primär
die Aufgabe der afghanischen Sicherheitskräfte. Dabei
müssen wir sie unterstützen. Im Norden gibt es bereits
viele drogenfreie Gebiete; am größten ist das
Problem im Süden. Wenn die dort eingesetzten NATOPartner
von mehr Rauschgifttransporten, Laboren oder
Aktivitäten von Drogenbaronen wissen, als die neu ausgebildeten
afghanischen Sicherheitskräfte bekämpfen
können, dann ist es richtig, wenn sie zusätzlich einige
Operationen selbst durchführen. Dabei müssen sie den
schwierigen Balanceakt vollbringen, die afghanische Eigenverantwortung
trotzdem weiter zu fördern und mit
ihren Aktivitäten nicht die Bevölkerung gegen sich aufzubringen.
Zugleich möchte ich daran erinnern, dass wir die unterstützende
Rolle der Bundeswehr bei der Drogenbekämpfung
im Mandat detailliert definiert haben. Erstens:
Unterstützung der afghanischen Streitkräfte durch
Bereitstellung und Austausch von Informationen über
Drogenaktivitäten, die bei Routineoperationen gewonnen
werden; zweitens: Unterstützung durch logistische
und medizinische Hilfe; drittens: Unterstützung bei Zufallsfunden
der Drogenkriminalität. Hier kann die Bundeswehr
im Zusammenwirken mit den afghanischen
Behörden auch unter Einsatz von Zwang Sicherungsmaßnahmen
vornehmen.
Wir unterstützen, dass die Bundesregierung beim
Aufbau der afghanischen Justiz mehr tun will. Ein funktionierendes
Rechtssystem ist der Schlüssel zur Drogenbekämpfung.
Das Gleiche gilt für die Bekämpfung der
Korruption.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Bei der Reform des Sicherheitssektors sind die Steigerung
der Qualität der landesweiten Regierungsführung
und der Aufbau eines Rechtsstaats die zentralen Ziele,
auf die wir alle Anstrengungen konzentrieren müssen.
Wir unterstützen ebenfalls, dass die Bundesregierung sowohl
für die EU-Mission als auch bilateral mehr Polizeiausbilder
nach Afghanistan entsendet. Ich wünsche mir,
dass wir nicht nur beim Polizeiaufbau, sondern bei allem, was wir zum Aufbau Afghanistans beitragen, noch
schneller, unbürokratischer und beherzter handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
In Afghanistan läuft uns die Zeit weg. Deswegen ist
jeder zusätzliche Helfer, ob Polizist oder Experte für
Rechtsstaat, Landwirtschaft, Gesundheitswesen oder Erziehung,
höchst willkommen. Wenn wir militärisch nicht
mehr machen können, müssen wir mehr Softpower zur
Verfügung stellen. Ich sage das in Kenntnis unserer begrenzten
Kapazitäten. Deshalb muss es doch als Erstes
darum gehen, die vorhandenen Fähigkeiten noch gezielter
einzusetzen und die vorhandenen Reibungsverluste
auszuräumen. Hier kann noch einiges verbessert werden!
Zu mehr Konsequenz gehört auch, dass wir den regionalen
Ansatz weiterverfolgen. Wir haben Afghanistan zu
lange isoliert betrachtet. Dabei ist Pakistan in seinem
Grenzgebiet durch die dort agierenden Taliban und al-
Qaida genauso bedroht wie Afghanistan. Mit der neuen
Regierung Zardari besteht die Möglichkeit, die Kooperation
bei der Bekämpfung der Aufständischen zu verstärken
und damit die Grenzregion sicherer für Entwicklungsprojekte
zu machen.
Wenn wir also gemeinsam mit den über 40 Bündnispartnern
in den Vereinten Nationen, in der EU, in der
NATO und mit der afghanischen Regierung selbst in
Afghanistan koordinierter, lernfähiger, unbürokratischer,
konsequenter und beherzter handeln, dann erhöht das
nicht nur die Aussichten auf Erfolg, sondern auch die
Akzeptanz für diesen Einsatz.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])
In diesem Sinne möchte ich zum Schluss ein Vorhaben
des Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung besonders
betonen, nämlich dass die Bundesregierung – so
wörtlich – der Öffentlichkeit die Notwendigkeit des Einsatzes
aktiv vermitteln wird. Wir Parlamentarier stellen
uns der schwierigen Aufgabe, der Bevölkerung den
Afghanistan-Einsatz zu erklären, nicht nur in unseren
Wahlkreisen. Dabei können wir die Unterstützung der
gesamten Bundesregierung sehr gut gebrauchen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Paul Schäfer, Fraktion
Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
NATO steht in Afghanistan nicht vor dem Scheitern. Sehen
wir uns die Lage an: Sieben Jahre nach Kriegsbeginn
hat sich die Sicherheitslage immer weiter verschärft.
An circa 27 von 31 Tagen wehen die Fahnen im
Camp Marmal, dem Bundeswehrcamp, auf Halbmast,
weil ISAF wieder Leute verloren hat. Inzwischen beurteilt
eine Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans die Sicherheitslage,
wie die NATO selber ermittelt hat, als
eher schlecht bis schlecht, was auch damit zu tun hat,
dass die Zahl der zivilen Opfer weiter steigt. Die Entfremdung
zwischen einem wachsenden Teil der Bevölkerung
und einer Regierung, die sich in Kabul buchstäblich
eingemauert hat – ich habe es gesehen –, wächst.
Wenn man sich das klarmacht, dann muss man zum
Schluss kommen: Die NATO-Mission am Hindukusch
ist gescheitert.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Zur ungeschminkten Wahrheit gehört: Die Zahl der
NATO/ISAF-Truppen ist von 32 000 Soldaten am Ende
des Jahres 2006 auf inzwischen 53 000 Soldaten gestiegen.
Die Gewalt hat aber nicht ab-, sondern zugenommen.
Die Zahl der Luftwaffeneinsätze mit Bombenabwurf
im Rahmen von OEF ist – hören Sie jetzt gut zu –
von 176 im Jahre 2005 auf 1 770 im Jahre 2006 und auf
3 247 im Jahre 2007 gestiegen; die Air Force hat darüber
berichtet.
Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb die Kommandeure
und Soldaten vor Ort mit unserer abstrakten
Diskussion, ob in Afghanistan ein Krieg stattfindet bzw.
ob sich die NATO in einem Kriegseinsatz befindet,
nichts anfangen können. Bei ihnen hat sich längst der
Begriff „Insurgenten“, Aufständische, durchgesetzt. Sie
wissen, dass sie mitten in einer militärischen Aufstandsbekämpfung
sind. Dabei hat man aber verdammt
schlechte Karten, weil die Aufständischen nicht gewinnen
müssen und die NATO nicht gewinnen kann. Die
Frage ist nicht: Sollten wir gehen, wenn es schwierig
wird?
Die Linke war von vornherein gegen diesen Einsatz.
Aber selbst nach Ihrer Logik muss doch jetzt gelten:
Wenn man sich in einer solchen Sackgasse befindet,
dann muss man umkehren und einen neuen Weg einschlagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Nun wird gesagt: Wir sind dabei. Es gibt ja kein
„Weiter so“. Wir haben eine neue Strategie. – Die Grünen
und die FDP setzen darauf ihre Hoffnung. Es
stimmt, dass die Mittel für den Polizeiaufbau und für den
Zivilaufbau in nicht unbeträchtlichem Umfang aufgestockt
werden; das habe auch ich gesehen. Dennoch bezweifle
ich, dass ein grundlegender Strategiewechsel
stattfindet. Als ein britischer General gesagt hat, man
könne militärisch nicht gewinnen, hat sich prompt der
kommandierende US-General zu Wort gemeldet und gesagt:
Nein, wir können sehr wohl obsiegen. – Das ist
nicht nur Rhetorik. Das zeigt sich an der Tatsache, dass
die USA eine Aufstockung ihrer Truppen um
20 000 Soldaten in den nächsten zwei Jahren planen. Die
Ausweitung der Kampfzone nach Pakistan ist ein weiteres
Indiz.
Ich ziehe das Fazit: Der Militäreinsatz wird erheblich
intensiviert, in der vagen Hoffnung, dadurch das Blatt
wenden zu können. Das gilt leider auch für die Bundeswehr.
Selbst wenn man unterstellt, dass der Einsatz im
Norden bisher einen ganz anderen Charakter als die harten
Kämpfe im Süden und im Osten hatte, ist festzustellen:
Die Intensität des deutschen Militäreinsatzes nimmt
immer weiter zu: Tornados, schnelle Eingreiftruppen,
Anhebung der Obergrenze und jetzt AWACS. Wir sind
genauso auf der Rutschbahn gelandet wie die anderen.
Aber ein Mehr an Falschem kann nicht zu Richtigem
führen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Ich sage Ihnen noch eines: Diese Doppelstrategie
wird nicht funktionieren. Mehr Entwicklungshilfe und
mehr Infanterie bzw. Luftwaffe, das passt nicht zusammen.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Afghaninnen
und Afghanen. Das klingt zwar platt, ist aber so. In diesem
Zusammenhang muss leider auch gesagt werden,
dass Sie die Sünden der Vergangenheit nicht loswerden.
Wenn man eine Art Protektorat aufbaut und auf eine zentralistische
Staatsführung setzt – Hauptsache loyal –,
dann hat das in der Regel zwei Konsequenzen: Erstens
züchtet man die Korruption auf diese Art und Weise erst
richtig – Kai Eide hat bei unserem Gespräch in Kabul
keinen Zweifel daran gelassen, dass es damit zu tun hat –,
und zweitens blockiert man den langwierigeren, aber
nachhaltigen Staatsaufbau von unten, bei dem die Menschen
Staatlichkeit vor Ort positiv erfahren können. Das
ist genau die Fehlentwicklung, mit der wir zu tun haben.
Nun scheint zum Glück die Anzahl der Afghaninnen
und Afghanen zu wachsen, die sagen: Wir haben genug
vom Krieg, und wir müssen jetzt unser Schicksal in die
eigenen Hände nehmen. – Davon zeugt die Friedens-
Jirga-Bewegung, die von paschtunischen Stammesführern
ausgegangen ist und die versucht, mit den Menschen
in den Dörfern zu reden. Das ist der Ansatz der
Selbstbestimmung, den wir nachdrücklich fördern müssen.
Eine andere Perspektive gibt es nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Meine Damen und Herren, der britische General
Carleton-Smith hat etwas sehr Richtiges gesagt: Wir
müssen davon wegkommen, die Dinge mit den Gewehrläufen
zu regeln, die durch Verhandlungen geregelt werden
müssen. – Der Mann hat recht. Die Sprache der Gewehre
muss jetzt durch die Sprache der Diplomatie
ersetzt werden. Das heißt, alle Kräfte müssen auf eine
politische Konfliktlösung konzentriert werden, und man
muss diesen Prozess – man sagt ja, dass in Mekka lediglich
Smalltalk-Gespräche stattfinden, aber es ist doch
mehr – von außen fördern und Wege zu einem nationalen
Aussöhnungsprozess öffnen.
Dabei steht für uns eines fest: Der Abzug der NATOTruppen
wird nicht am Ende eines solchen Prozesses
stehen. Er ist eine Vorbedingung dafür. Darüber müssen
Sie nachdenken.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Ohne den unverzüglichen Beginn eines geordneten
Rückzugs und ohne eine konkrete Abzugsperspektive
wird der Frieden nicht zu erreichen sein. Wir können damit
beginnen, indem wir den Antrag, das Mandat für den
Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan zu verlängern, ablehnen.
Und das sollten wir dann auch tun.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Paul Schäfer, es ist ein Irrtum, zu glauben: Wenn man
die von den Vereinten Nationen beauftragten Truppen
zur Unterstützung der gewählten afghanischen Regierung
– über das diskutieren wir hier – sofort abzieht,
dann führt dies zu mehr Frieden. – Ein Abzug würde ein
Wiederaufleben genau jenes blutigen Bürgerkrieges bedeuten,
der Afghanistan seit über 30 Jahren heimsucht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)
Liebe Frau Homburger, ich empfehle Ihnen, sich einmal
das Abstimmungsverhalten der FDP zu ISAF von
2001 bis heute anzuschauen. Dann werden Sie eine ganz
gerade Linie entdecken – aber nur, wenn Sie so viel Promille
im Blut haben, wie Herr Haider sie hatte.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das
war wirklich voll daneben!)
Es sollte allen zu denken geben –
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Pietätlos!)
– ich weiß nicht, was daran pietätlos ist, wenn man darauf
hinweist, dass man sich mit 1,8 Promille nicht hinters
Steuer setzen sollte –, die hier für einen sofortigen
Abzug plädieren und dafür sogar demonstrieren, dass
gerade die, die dort Hilfe leisten – die Welthungerhilfe,
Medica Mondiale oder die Malteser –, in einer Stellungnahme
eines ganz klar gefordert haben: Sie wollen einen
Vorrang für zivile Hilfe, und sie wollen eine andere Militärstrategie.
Sie wollen aber, wie auch jene bei uns in der
Fraktion, die mit Nein stimmen – nachzulesen ist dies in
der Stellungnahme von VENRO vom 6. Oktober dieses
Jahres –, keinen Abzug. Und sie haben recht damit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul
Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Aber wenn die
Bedingungen nicht erfüllt sind, was dann?)
Meine Damen und Herren, genauso, wie es auf der einen
Seite naiv und verantwortungslos ist, jetzt sofort die
deutschen Truppen aus Afghanistan abzuziehen, so ist es
auf der anderen Seite fahrlässig und verantwortungslos,
sich immer noch um die Beantwortung der Frage zu
drücken, mit welcher Perspektive wir in Afghanistan
präsent bleiben.
Peter Ramsauer hat dieser Tage gesagt, er fordere von
seiner Kanzlerin eine klare Perspektive für die Beendigung
dieser Militäraktion in absehbarer Zeit. Ich stimme
ja nicht oft mit CSUlern überein, aber in diesem Punkt
hat Peter Ramsauer recht. Die Bundeswehrsoldaten, die
zivilen Helfer und die Polizisten in Afghanistan haben
ein Recht darauf, zu wissen, welche Ziele sich die Bundesrepublik
Deutschland in Afghanistan setzt. Man kann
sich dabei nicht mit dem allgemeinen Satz begnügen,
dass man so lange dort bleiben wolle, bis – ich zitiere
aus dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung –
die afghanische Regierung selbst für ein sicheres
Umfeld sorgen kann, das Wiederaufbau und nachhaltige
Entwicklung erlaubt.
Das ist Ihre Zeitperspektive. Was machen Sie aber mit
dieser Ansage, wenn die Niederländer im Jahre 2010 ihren
Auftrag in Uruzgan beenden? Das wollen sie ja; dazu
gibt es einen Kabinettsbeschluss. Was machen Sie 2011,
wenn die Kanadier aus Kandahar abziehen und wenn zu
dem Zeitpunkt genau dieses sichere Umfeld, das Sie angesprochen
haben, nicht erreicht ist? Wollen Sie dann
den Abzug der anderen durch weitere Aufstockungen
ausgleichen, oder wollen Sie dem Deutschen Bundestag
und der deutschen Öffentlichkeit nicht vielmehr endlich
einmal verbindliche und überprüfbare, das heißt auch
mit Zeitangaben versehene, Zielvereinbarungen darüber
vorlegen, was Deutschland in Afghanistan erreichen
will? Daran fehlt es doch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen keine Durchhalteparolen. Wir erwarten
von Ihnen lediglich ein realistisches Lagebild und einen
Stufenplan dafür, in welchen Schritten die Verantwortung
an die Afghanen übergeben werden soll. Ich sage
Ihnen auch: Die Zögerlichkeiten im zivilen Aufbau müssen
endlich beseitigt werden.
Es stimmt: Es kommt jetzt zu einer Aufstockung. Ich
sage übrigens, dass diese Aufstockung des Militärs richtig
ist. Ich habe kein Problem damit. Ich füge aber hinzu,
dass sie in den nächsten 14 Monaten 200 Millionen Euro
kosten wird. Wenn Sie die Zahlen vergleichen – ich
weiß, dass militärische Kräfte teurer als zivile sind –,
dann kommen Sie zu der Feststellung, dass wir es geschafft
haben – von 80 Millionen Euro im Jahre 2006
über 100 Millionen Euro im Jahre 2007 bis zu
140 Millionen Euro im nächsten Jahr –, außerordentlich
„bescheidene“ Steigerungsraten zu erreichen.
Nun kann man sagen, dass mehr vielleicht gar nicht
nötig ist. Sie belegen aber selber, dass mehr nötig ist;
denn für das nächste Jahr stellen Sie zusätzlich zu diesen
Beträgen 30 Millionen Euro für Soforthilfe zur Verfügung,
um eine sich abzeichnende Hungerkatastrophe abzuwenden.
Auch das ist richtig. Aber was heißt das? Das
heißt, dass die Situation nach sieben Jahren so ist, dass
wir akut zusätzlich Geld in die Hand nehmen müssen,
um eine Hungerkatastrophe abzuwenden, und dass der
Aufbau nicht in dem Ausmaß im Lande angekommen
ist, wie wir alle uns das gewünscht und gemeinsam vorgenommen
haben. Daraus muss man an einem solchen
Tag doch einmal eine Konsequenz ziehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])
Das ist der Grund dafür, dass die Akzeptanz der internationalen
Präsenz vom letzten bis zu diesem Jahr geringer
geworden ist.
Ich kann Ihnen ein anderes Beispiel nennen, den Polizeiaufbau.
In diesem Bereich hat Deutschland die Führung.
Schauen Sie sich die Zahlen an: Die USA geben
für den Polizeiaufbau 800 Millionen Dollar aus, während
Deutschland 36 Millionen Euro zur Verfügung
stellt. Zählen wir die 9,9 Millionen Euro hinzu, die in
das EU-Projekt fließen, dann ist das gegenüber dem, was
die USA tun, noch immer vergleichsweise wenig.
Selbst den eigenen Ansprüchen werden Sie nicht gerecht.
Sie haben 60 Polizisten für EUPOL zugesagt; es
sind 33 vor Ort. Sie haben 100 Kurzzeittrainer zugesagt;
es sind 40 vor Ort. Das größte Kontingent für die Polizeiausbildung
stellen noch immer die Soldaten, nämlich
45 Feldjäger. Ich kann mich bei diesen Soldaten nur bedanken,
weil sie das Versagen von Herrn Schäuble an
dieser Stelle ausgleichen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie gleichen im Übrigen – diese Bemerkung sei mir erlaubt
– auch das Versagen Bayerns aus, das es bis heute
nicht geschafft hat, einen einzigen Polizisten nach
Afghanistan zu schicken. Ich finde, auch damit sollte
sich der Freistaat beschäftigen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Schließlich müssen wir uns sehr ernsthaft mit der Sicherheitslage
beschäftigen. Seit zwei Jahren diskutieren
wir in diesem Hause darüber, wie wir den Schutz der
Zivilbevölkerung endlich sicherstellen können. Sie, Herr
Jung, haben uns in der Debatte um den letzten Einsatz
erklärt, dass es neue Einsatzrichtlinien gebe, die für
ISAF verbindlich und von OEF übernommen worden
seien. Das Problem ist, Herr Jung – Sie haben zwar
recht; für Ihren unmittelbaren Verantwortungsbereich
stimmt das auch –, dass man aber in Afghanistan im
Ganzen gesehen von dieser Änderung der Einsatztaktik
nichts gemerkt hat.
Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der Toten in Afghanistan
in 2007 so hoch war wie seit sieben Jahren nicht.
Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in
diesem Jahr gegenüber 2007 um 40 Prozent gestiegen
ist. Es ist auch eine Tatsache, dass dieser Anstieg der
Zahl ziviler Opfer zur Hälfte auf Militäraktionen von
ISAF, OEF und den afghanischen Sicherheitskräften zurückgeht.
Es ist mittlerweile eine Tatsache, dass die
Hälfte der Provinzen für zivile Hilfsorganisationen nicht
mehr zugänglich ist. Das ist keine Polemik von Herrn
Schäfer oder sonst wem. Das belegen die offiziellen
Zahlen der Vereinten Nationen.
Herr Jung, ich weise darauf hin, dass auch die andere
Feststellung von VENRO richtig ist – Sie haben vorhin
dazu applaudiert –, die besagt, „dass ein Strategie- und
Prioritätenwechsel beim deutschen und internationalen
Afghanistan-Engagement nicht erfolgt ist“. Sie sind dafür.
Sie haben ihn programmiert, und Sie stimmen uns in
dieser Hinsicht zu. Aber tatsächlich ist dieser Strategiewechsel
in Afghanistan bis heute nicht erfolgt. Das ist
das Problem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Jetzt droht etwas anderes. Die verfehlte Strategie der
Luftschläge und offensiven Militäraktionen droht sich
auf Pakistan auszuweiten. Ich betone das ausdrücklich,
obwohl und weil die Bundeswehr im Norden einen exzellenten
Job macht. Sie führen dort keinen Krieg, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, sondern
sie sichern dort den Aufbau ab. Das ist eine Tatsache.
Dafür haben wir uns bei ihnen zu bedanken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU)
Die andere Seite der Wahrheit ist aber, dass die Stabilisierung
scheitern wird, wenn beim Aufbau weiterhin
gekleckert wird, statt endlich zu klotzen, liebe Heidi
Wieczorek-Zeul. Sie wird auch scheitern, wenn das Desaster
beim Polizeiaufbau weitere zwei Jahre anhält. Stabilisierung
wird aber vor allen Dingen nur dann gelingen,
wenn Afghanistan nicht weiter durch offensive
Kriegsführung in der Form, wie wir sie zuletzt in
Shindand – übrigens wie vor zwei Jahren – erlebt haben,
destabilisiert wird. Wer erst militärisch siegen will, um
dann aufzubauen, zerstört die Grundlagen für einen Aufbau
und den Stabilisierungsansatz, wie ihn Deutschland
über Jahre hinweg praktiziert hat. Dieser Wahrheit haben
Sie sich nie gestellt.
Die Verschlechterung der Sicherheitslage zeigt, dass
die Kriegsstrategie, wie sie im Süden praktiziert wird,
dabei ist, die Aufbauerfolge im Norden existenziell zu
gefährden. Weil es diesen Strategiewechsel nicht gegeben
hat, wird die Mehrheit meiner Fraktion der in Ihrem
Antrag vorgesehenen Mandatsverlängerung nicht zustimmen
können. Das wird der Verantwortung nicht gerecht.
Aber umgekehrt sagen Ihnen auch diejenigen, die
heute zustimmen werden, in aller Deutlichkeit: So, wie
Sie es bisher praktiziert haben, können Sie im zivilen
Aufbau und in der Feigheit, sich mit der verfehlten Strategie
auseinanderzusetzen, nicht weitermachen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort der Bundesministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
(Beifall bei der SPD)
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bürgerkrieg in Afghanistan hat 2001 geendet. Das
ist sieben Jahre her; das ist eine lange Zeit. Es ist aber
auch wahr, dass dies in der Entwicklung eines solchen
Landes eine Zeit ist, in der man dranbleiben muss; denn
der Prozess bedarf der Nachhaltigkeit.
Jürgen Trittin, wir haben einer Regierung angehört.
Wir sind im Jahr 2001 gemeinsam eine Verpflichtung
gegenüber der afghanischen Bevölkerung eingegangen.
Wir haben gesagt: Wir stehen an eurer Seite. – Es ist
schwieriger geworden; das ist richtig. Aber wir können
uns nicht auf einmal zurückziehen; das geht nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Die Konsequenz eines Rückzugs wäre – das hat Jürgen
Trittin schon gesagt; das sage ich auch an die Adresse der
Linkspartei – ein Bürgerkrieg, in dem auch Frauen massakriert
würden. Ich habe 2001 versprochen, dass wir an
der Seite der afghanischen Frauen stehen werden und es
auch bleiben. Ich stehe zu dieser Verpflichtung und fühle
mich daran gebunden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
Abg. Ruprecht Polenz [CDU/CSU])
Wenn ich das sagen darf: Links bedeutet aus meiner
Sicht, dazu beizutragen, die Freiheitsrechte der Menschen
auszuweiten, wo auch immer sie leben. Wenn das
in Afghanistan geschehen soll, bedeutet das, dazu beizutragen,
dass niemand, auch Frauen nicht, die entrechtet
sind, massakriert wird. Links bedeutet nicht, sich herauszuhalten,
sondern an der Seite der Menschen zu stehen.
Das ist meine feste Überzeugung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß, dass die Situation schwieriger geworden ist.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen: Es hat
große Fortschritte gegeben. Ich erinnere daran, dass die
Kindersterblichkeit zurückgegangen ist und dass 85 Prozent
der Menschen in Afghanistan Zugang zu medizinischer
Versorgung haben. Wir, das Entwicklungsministerium,
zeigen Ihnen auf – das liegt Ihnen vor; das werden
wir künftig für die ISAF-Mandatsdauer von einem Jahr
bzw. 14 Monaten immer machen –, welche Erfolge beim
Aufbau und welche entwicklungspolitischen Fortschritte
durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in
Afghanistan erzielt wurden. Die Bilanz kann sich sehen
lassen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich nenne nur ein paar Punkte. Mit unserer Unterstützung
ist die erste Mikrofinanzbank Afghanistans aufgebaut
worden. Sie hat 13 Filialen und hat 70 000 Kredite
vergeben. Das bedeutet, 70 000 Existenzen zu schaffen
und zu unterstützen. Das ist wichtig und eine wunderbare
Leistung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Mithilfe des nationalen Solidaritätsprogramms sind über
20 000 Projekte fertiggestellt worden. 18 000 laufen
noch. Diese Projekte werden von 21 000 gewählten Gemeinderäten
im gesamten Land gesteuert. Die Wasserkraftwerke
Mahipar und Sarobi funktionieren und geben
800 000 Menschen wieder Zugang zu stabiler Stromversorgung.
Mithilfe der Provinz- und Distriktentwicklungsfonds
sind allein in diesem Jahr einkommenschaffende
Maßnahmen für über eine Million Menschen in
den Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan durchgeführt
worden. Das sind reale Fortschritte.
Jürgen Trittin, du selber weißt das doch viel besser. Es
gibt 30 Geberländer für Afghanistan. Deutschland muss
den Aufbau dort doch nicht allein stemmen. Es handelt
sich vielmehr um eine große Gemeinschaftsaufgabe.
Deshalb müssen sowohl der Wiederaufbau als auch die
militärischen Aktionen im Zusammenhang gesehen werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Seit fast einem Jahr unterstützt die GTZ International
Services auf Bitten der Niederlande – Sie haben es angesprochen
– den zivilen Wiederaufbau im Süden und versucht,
Alternativen zum Mohnanbau anzubieten. Es geht
um einen Beitrag zur ländlichen Entwicklung in einem
Gesamtrahmen von bis zu 34 Millionen Euro. Diese Erfolge
schaffen den Boden, auf dem Eigenverantwortung
Wurzeln schlagen kann.
Wir haben allen Anlass, den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die dort Wiederaufbau leisten, seien sie aus
den staatlichen Institutionen, seien sie aus Nichtregierungsorganisationen,
ein herzliches Dankeschön für die
Arbeit zu sagen, die sie dort leisten.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben aber auch allen Anlass, den deutschen Soldatinnen
und Soldaten zu danken, die in der Region, in der
sie stationiert sind, ein Klima der Sicherheit schaffen
sollen. Der zivile Wiederaufbau ist Voraussetzung für
den Erfolg Afghanistans. Die ISAF ist die Voraussetzung
für den Erfolg des Wiederaufbaus und für die politische
Stabilisierung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Die deutschen Soldaten werden von der Bevölkerung in
Afghanistan als Helfer verstanden, und ihnen wird für
ihre Unterstützung von der Bevölkerung außerordentlich
gedankt. Das kann jeder, der selbst im Land war, bestätigen.
Notwendig sind Fortschritte bei der Regierungsführung,
im Kampf gegen Korruption und Drogenhandel
und bei der Ablösung korrupter Regierungsvertreter und
korrupter Polizisten. In diesem Zusammenhang möchte
ich meine große Erwartung und meine Hoffnung auf den
Innenminister, Herrn Athmar, setzen. Der hat einen
klasse Job als Bildungsminister gemacht. Wir setzen alle
Erwartungen und Hoffnungen auf ihn, dass seine Amtsführung
im Sinne dessen, was ich gesagt habe, erfolgreich
sein möge.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Eines, was Herr Kollege Schockenhoff vorhin angesprochen
hat, ist wichtig: Im Jahr 2008 sind 18 von 34 Provinzen
in Afghanistan ohne Schlafmohnanbau, und zwar
in der Region, in der Deutsche Wiederaufbauhilfe leisten
und die deutschen ISAF-Soldaten stationiert sind. Das
ist doch ein Erfolg, zu dem man weiterhin beitragen
muss.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Noch ein Wort – Jürgen Trittin, du hast das angesprochen
– zu den Finanzen. Wir haben 30 Millionen Euro
zusätzlich für die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung
zur Verfügung gestellt. Was sind die Ursachen
dafür? Dürre und hohe Nahrungsmittelpreise. Das ist
auch in anderen Ländern so. Das hat doch nichts damit
zu tun, dass wir in diesem Bereich bisher zu wenig Mittel
investiert hätten. Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben
diese zusätzlichen 30 Millionen Euro dem Welternährungsprogramm
zur Verfügung gestellt, und wir
werden auf bilateraler Ebene Nothilfemaßnahmen in
Nord- und Südostafghanistan durchführen, damit die
Nahrungsmittelkrise bekämpft wird und auf lokaler
Ebene Beschäftigung geschaffen wird. 10 Millionen
Euro werden in den Bereich der Energieversorgung und
der beruflichen Bildung gehen. Das heißt, die Bundesregierung
stellt allein im Bereich des zivilen Wiederaufbaus
170,7 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen
humanitäre Hilfe, Nothilfe und Sondermittel des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz. Im Übrigen darf man nicht nur die
bilateralen Mittel sehen. Wir sind Mitglied der Weltbank,
die ihrerseits zusammen mit der Asiatischen Entwicklungsbank
tätig ist.
Für die Zukunft Afghanistans – das haben viele von
Ihnen angesprochen; diese Ansicht teile ich – ist die Stabilisierung
der Nachbarregionen von besonderer Bedeutung.
Dieser Stabilisierung dient es nicht, wenn US-Militär
unterschiedslos Raketenangriffe auf die sogenannten
FATAs, also die Stammesgebiete an der Grenze zwischen
Pakistan und Afghanistan, durchführt und mutmaßlich
Militante erschießt. Dies ist falsch und kontraproduktiv.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Der pakistanische Finanzminister, mit dem ich am
Rande der Weltbanktagung ein längeres Gespräch hatte,
hat deutlich gesagt, er halte das für eine völlig falsche
Strategie der USA. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass sich gerade dadurch die Bevölkerungsgruppen
in den FATAs mit den Taliban solidarisieren, obwohl sie
in keiner Position miteinander verbunden sind.
Wir sind im Übrigen bemüht, unser Engagement in
der Northwest Frontier Province auszudehnen. Das ist
unter den jetzigen Bedingungen – auch für die Durchführung
– sehr schwierig. Ich will ausdrücklich sagen:
Wir haben das auch der pakistanischen Seite angeboten,
damit die Menschen in diesen Regionen die Chance haben,
zu sehen, dass der Wiederaufbau auch in ihrem
Sinne vorankommt.
Ich komme zum Schluss. Ich habe der Verlängerung
dieses Einsatzes im Kabinett zugestimmt, und ich tue
das auch als Abgeordnete. Das Ziel ist, die Eigenverantwortung
der afghanischen Seite und damit der Menschen
zu stärken und ihnen Hoffnung zu geben. Dafür arbeiten
wir. Ich bitte Sie, das zu unterstützen.
Ich bedanke mich.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Hellmut Königshaus (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
Fortschritte – das haben wir jetzt mehrfach gehört –,
aber leider nicht genug. Wer wirklich Fortschritt will,
der muss nicht nur schön reden, sondern auch entschlossen
handeln, und er muss auch zurückschauen, damit er
für die Zukunft weiß, wie man das Ganze vernünftig angeht.
Man sollte zum Beispiel betrachten, was in der
Vergangenheit versäumt wurde.
Als die Lage noch ruhig war – darüber waren wir damals
alle sehr froh –, ist es versäumt worden, wirklich
schnell für einen spürbaren Aufschwung und Aufbau zu
sorgen. Jetzt wird es natürlich immer schwieriger. Das
gilt für den Polizeiaufbau, das gilt für ein funktionierendes
Justizsystem. Wir wurden und werden unserer besonderen
Verantwortung dort bisher nicht gerecht. Denken
Sie nur an die bereits angesprochenen Fälle wie
Korruption und Drogenanbau. Der Drogenanbau geht in
einigen Bereichen zurück; das ist wahr. Er geht übrigens
überall dort zurück, wo sich die zuständigen Gouverneure
dafür verantwortlich fühlen; aber insgesamt gibt es
eben noch keinen signifikanten Rückgang. Das ist leider
traurige Wahrheit.
(Beifall bei der FDP)
Es wird jetzt immer schwieriger, Aufbauarbeit zu
leisten. Dabei ist das die zentrale Frage, auch bei der Lösung
der Sicherheitsprobleme, die wir dort leider immer
noch haben. Oberst Gertz vom Deutschen Bundeswehr-
Verband hat das noch einmal deutlich gemacht: Ohne
Aufbau wird sich die Sicherheitslage dauerhaft nicht
verbessern lassen. Wir müssen den Teufelskreis dort
endlich durchbrechen. Wir müssen mit dem Wiederaufbau
endlich ernst machen. Lieber Kollege Trittin – auch
ich habe mir das aufgeschrieben –, wir müssen endlich
aufhören zu kleckern, wir müssen endlich klotzen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen
Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das gilt, trotz eines Aufwuchses im Entwicklungshaushalt,
auch für Afghanistan. Die Koalition tut derzeit viel
zu wenig.
Wir haben im Rahmen der Haushaltsberatungen versucht,
an verschiedenen Stellen etwas voranzubringen.
Im Auswärtigen Ausschuss wurde ein Antrag der FDP,
zusätzlich 10 Millionen Euro für den Polizeiaufbau zur
Verfügung zu stellen – immerhin sind wir dort eine der
entscheidenden Kräfte; wir haben dort Verantwortung
übernommen –, abgelehnt. Im Entwicklungsausschuss
haben wir gefordert – im Übrigen in Übereinstimmung
mit der grundsätzlichen Zielsetzung der Grünen und
auch der Linken, wenn ich das recht verstanden habe –,
dass wir für den Aufbau in Afghanistan 50 Millionen
Euro draufsatteln. Auch das wurde abgelehnt. Wenn wir
diesen Auftrag in Afghanistan wirklich ernst nehmen,
wenn wir den Zusammenhang zwischen Aufbau und militärischer
Sicherheit ernst nehmen, wenn wir unsere
Kräfte dort baldmöglichst wieder abziehen wollen, dann
müssen wir den Aufbau voranbringen und dann müssen
wir eben auch im finanziellen Bereich nicht so zurückhaltend
sein, sondern noch etwas dazulegen.
Es gibt nach wie vor ein groteskes Missverhältnis
zwischen den Kosten für den Militäreinsatz und den tatsächlich
erbrachten Aufbauleistungen. Wir sind dort militärisch
engagiert, weil wir aufbauen wollen, weil es
rückwärtsgewandte Kräfte gibt, die den Aufbau verhindern
wollen, und nicht umgekehrt. Deshalb gilt der alte
Grundsatz, den wir Ihnen schon seit Jahren nahelegen:
Je schleppender der Aufbau ist, desto länger müssen wir
dort bleiben.
(Beifall bei der FDP)
Bedarf ist vorhanden. Die Aufbauhelfer, mit denen
wir dort gesprochen haben, haben uns ganz dezidiert erklärt,
dass sie in der Lage wären, deutlich mehr in ihren
konkreten Projekten zu tun, aber auch jederzeit zusätzliche
Projekte zu übernehmen. Als wir mit dem Außenminister
da waren – ich habe das vor kurzem schon einmal
in anderem Zusammenhang gesagt –, war mit Leichtigkeit
festzustellen, welche zusätzlichen Projekte sich dort
unmittelbar anbieten und auch erforderlich sind.
Die Ministerin hat eben völlig zu Recht die Dürre und
die katastrophalen Folgen für die Ernährungslage angesprochen.
Pläne für Staudammprojekte sind fertig, man
könnte anfangen, es fehlt am Geld – im Norden, in unserem
eigenen Zuständigkeitsbereich! Es gäbe Möglichkeiten,
Stromverbindungen zu schaffen, um so im Westen
den Großraum Herat besser zu versorgen. Viele
andere Dinge mehr, Straßenbau zum Beispiel, wären
noch zu nennen. Lassen Sie uns doch hier nun endlich
Nägel mit Köpfen machen und die Mittel für einen entsprechenden
Beitrag zur Verfügung stellen!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine positive Veränderung möchte ich ansprechen,
nämlich die Sicherung unserer Aufbauhelfer. Dazu gibt
es endlich ein, soweit man das beurteilen kann, wirklich
tragfähiges Konzept. Anders als das bisher der Fall war,
werden die Mittel für die Sicherheitskosten nunmehr getragen
und müssen nicht mehr aus den eigentlichen Projektmitteln
bestritten werden. Dafür vielen Dank! Das ist
richtig. Das ist etwas, was unsere Aufbauhelfer dort verdient
haben. Wirkliche Hilfe ist viel wichtiger als der
Dank an die Aufbauhelfer, der natürlich auch sein muss
und den ich hier für meine Fraktion ebenfalls gern ausspreche.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Walter
Kolbow [SPD])
Nicht nur beim Aufbau haben wir bisher zu zurückhaltend
agiert. Auch beim Militäreinsatz haben wir nach
wie vor die alten Probleme. Die Ausrüstung ist nicht
ausreichend. Fahrzeuge fehlen. Ich nenne die Frage der
Hubschrauber. Herr Verteidigungsminister, das ist doch
nach wie vor eine Katastrophe. Während die Chinesen in
der Zeit, in der wir dort engagiert sind, ein Weltraumprogramm
aus dem Boden gestampft haben und Taikonauten
in den Weltraum schicken, waren der Verteidigungsminister
und seine Vorgänger hier nicht in der Lage,
noch zwei oder drei zusätzliche Hubschrauber dahinzuschicken.
Was wir dort erleben, ist eine Katastrophe.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber Sie
wollen doch alles abrüsten!)
– Wir wollen nicht abrüsten. Da irren Sie sich gewaltig,
Herr von Klaeden. Was für einen Quatsch erzählen Sie
denn da?
(Beifall bei der FDP)
Es gilt, jetzt wirklich ein bisschen mehr Druck zu machen.
Wenn es an der Industrie liegen sollte, muss man
eben deutlich machen, dass man das auf Dauer nicht akzeptieren
kann.
Ich muss leider zum Ende kommen – ich sehe das
Zeichen, Frau Präsidentin –, und deshalb möchte ich nur
noch sagen: Es sollte aufhören, dass Leute der Bundesregierung,
die dafür nicht zuständig sind, insbesondere der
Außenminister, hier über die Rolle des KSK schwafeln.
Das KSK hat mit dem heute zur Abstimmung stehenden
Antrag nichts zu tun. Das ist eine andere Frage. Aber
wenn wir schon über das KSK reden, dann müssen wir
uns doch darüber im Klaren sein, dass das eine Truppe
mit besonderen Fähigkeiten ist, die wir möglicherweise
einmal brauchen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Königshaus.
Hellmut Königshaus (FDP):
Ich komme zum Schluss. – So etwas ohne Not zur
Disposition zu stellen, ist schlichtweg unverantwortlich.
Das sollten Sie hier wirklich klarstellen, Herr Verteidigungsminister;
denn Sie sind dafür zuständig und auch
verantwortlich.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Für die CDU/CSU-Fraktion gebe ich das Wort dem
Kollegen Manfred Grund.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Manfred Grund (CDU/CSU):
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Unsere Afghanistan-Verantwortung geht weit
über die Beseitigung humanitärer Notlagen oder die militärische
Absicherung der gewählten Regierung Karzai
hinaus. Es ist schlichtweg die Handlungsfähigkeit der internationalen
Staatengemeinschaft, die Handlungsfähigkeit
der NATO und des Westens gegenüber Extremisten
und Terroristen, die hier auf dem Prüfstand steht. Ein
Versagen unsererseits hätte unabsehbare Folgen, Folgen,
die sich bis vor unsere Haustür erstrecken würden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Richtig ist auch – dies wurde bereits gesagt –, dass die
Taliban nicht allein mit militärischen Mitteln zu verdrängen
sind. Weil wir wissen, dass es auf absehbare Zeit
keinen Wiederaufbau und keine Entwicklung ohne Sicherheit
gibt, ist die heutige Mandatsverlängerung für
die Sicherheit und damit die Zukunft Afghanistans von
so großer Bedeutung. Um unsere Soldaten aus Afghanistan
wieder abziehen zu können, müssen wir an einen
Punkt gelangen, an dem sich die Afghanen selber gegen
die Taliban wehren, für ihre innere Sicherheit sorgen und
die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Griff
bekommen können.
Ein zentraler Punkt auf dem Weg dorthin ist die Entwicklungszusammenarbeit,
die wirtschaftliche Zusammenarbeit.
So hat allein die deutsche Entwicklungsarbeit
über die Investitionsagentur dazu beigetragen, dass bis
Ende dieses Jahres etwa 19 000 Unternehmen mit nahezu
550 000 neuen Arbeitsplätzen entstehen können. Über
Mikrofinanzierung – die Ministerin hat es bereits ausgeführt
– wurden 56 Millionen Euro an 52 000 Handwerker,
Gewerbetreibende, Privatpersonen und Dienstleister
vergeben. Mit Darlehen zwischen 130 und 1 300 Euro
wurde ihnen der Aufbau einer Existenz erleichtert. Insgesamt
sind rund ein Viertel der 34 000 Kilometer ländlicher
Straßen wiederhergestellt. Es können 7 Millionen
junger Menschen – viele davon Mädchen – wieder in die
Schule gehen. Es hat sich vieles getan, und dies wird von
den Afghanen auch geschätzt.
Wir wissen um einige grundsätzliche und strukturelle
Probleme, etwa den Mangel an qualifiziertem Personal
in der afghanischen Verwaltung, Defizite in der Verwaltung,
die den wirkungsvollen Staatsaufbau behindern,
die landesweite Korruption und die Verwicklung offizieller
Mandatsträger in Drogenanbau und -handel. Wir
wissen auch um Probleme bei der inhaltlichen und organisatorischen
Abstimmung der vielen internationalen
Geber mit der afghanischen Regierung. Deshalb ist Folgendes
zu tun:
Erstens. Die Kapazitäten zur Selbsthilfe sind auf afghanischer
Seite auszubauen.
Zweitens. Die internationale Zusammenarbeit und
Arbeitsteilung mit den afghanischen Regierungsstellen
ist deutlich zu verbessern. Dazu gehören klare Zielvorgaben
für die internationalen Geldgeber, aber auch für
die Regierung Karzai. Auch könnte und sollte die Zusammenarbeit
unserer deutschen Regierungsstellen enger
werden.
Drittens. Wir müssen – das ist beim Kampf um die
Herzen ein zentraler Punkt – unsere Mittel im zivilen
Bereich noch unmittelbarer der Bevölkerung und damit
den Bedürftigen zukommen lassen. Wir fangen da nicht
bei null an. Es gibt sehr erfolgreiche Arbeiten und gute
Ansätze, die weiterzuführen und zu stärken sind. So erhalten
beim arbeitsintensiven Straßenausbau in unserem
Verantwortungsbereich im Norden des Landes Arbeiter
circa zwei Euro am Tag, was dort relativ viel Geld ist,
für ihre sehr verantwortungsvolle Arbeit. Mit diesen Arbeiten
werden bisherige Trampelpfade in entlegene Dörfer
befahrbar gemacht. Damit wird den örtlichen Händlern
die Möglichkeit gegeben, Zugang zu den lokalen
Märkten und Dienstleistungsmärkten zu finden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben unsere finanziellen Ansätze für die Entwicklungszusammenarbeit
mehrfach aufgestockt. Es ist
richtig, dass wir für das nächste Jahr wieder einen bilateralen
Verpflichtungsspielraum in Höhe von 70 Millionen
Euro vorsehen. Diese Mittel sind so einzusetzen, dass
die Bevölkerung unmittelbar etwas davon hat, also im
Straßenausbau, in der Wasserversorgung und in der Energieversorgung.
Diese Leistungen kommen der afghanischen
Bevölkerung direkt zugute; sie werden von ihr anerkannt.
Es sind Leistungen, die die Taliban nicht
erbringen können und nicht erbringen wollen.
Bei der Drogenbekämpfung sind wir dann am erfolgreichsten,
wenn wir die afghanischen Bauern in die Lage
versetzen, ihren Lebensunterhalt ohne Drogenanbau zu
bestreiten, etwa durch die Instandsetzung der alten Bewässerungssysteme.
Die entwicklungsorientierte Drogenbekämpfung
muss durch Maßnahmen der aktiven
Drogenbekämpfung flankiert werden. Erfolge zeigen sich
– auch dies wurde zweimal gesagt – in dem von uns betreuten
Norden, wo der Drogenanbau praktisch zum Erliegen
gekommen ist.
Meine Damen und Herren, ohne ein stabiles Pakistan
ist – das ist eben schon gesagt worden – auch nicht an
ein stabiles Afghanistan zu denken. Doch angesichts der
angespannten Sicherheitslage in den Grenzgebieten zu
Pakistan sind Entwicklungsmaßnahmen dort schwerer
umzusetzen. Wir sollten dennoch auf die dortige Lage
reagieren. Wir sollten unser Engagement, auch unser
ziviles, auf das benachbarte Pakistan und die dort vorhandenen
sensiblen Armutsregionen ausweiten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Auch hier geht es um Mikrofinanzierung, um Gesundheit
und Bildung. Grenzüberschreitende Pilotprojekte
zwischen Pakistan und Afghanistan könnten so die regionale
Stabilität erhöhen. Wir können mit unserer Entwicklungszusammenarbeit
auch zur Stärkung der inneren
Stabilität beitragen. Dazu sollten wir den Aufbau
verantwortungsvoller staatlicher Strukturen fördern. Es
gilt, die bisherige Arbeit im Sozialsektor voranzubringen
und durch die Arbeit von Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen
und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
die Zivilgesellschaft zu stärken.
Lassen Sie uns gemeinsam einen Ansatz für eine konzertierte,
im besten Sinne grenzüberschreitende Zusammenarbeit
finden! Vielen Dank allen, die kooperativ daran
mitwirken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke,
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
wundere mich über die große Verdrängungsleistung in
dieser Debatte; denn viele Tatsachen werden einfach
ausgeblendet. Ich wundere mich, dass man nicht bereit
ist, einen anderen politischen Grundansatz, der nicht auf
militärische Lösungen setzt, ernsthaft zu durchdenken.
Ich unternehme noch einmal den Versuch, Ihnen die
Friedensvorschläge der Linken darzustellen, und erwarte,
dass diese Vorschläge ernsthaft diskutiert werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Ich nenne Ihnen auch die Bedingungen dafür.
Es ist doch auffällig, dass in der ganzen Debatte nur
von der Linken der Begriff „Selbstbestimmung“ in Bezug
auf das afghanische Volk verwandt wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos] – Christian
Carstensen [SPD]: Was? – Hartwig Fischer
[Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben doch gar
keine Chance!)
Ich möchte, dass die Afghaninnen und Afghanen endlich
selber bestimmen. Es ist unerträglich, dass der afghanische
Präsident und die Regierung nicht einmal darüber
entscheiden können, wo welche Bomben in Afghanistan
abgeworfen werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
All das wird in Washington bzw. von den Militärs entschieden.
Es ist unerträglich, dass der Präsident von Pakistan
nicht darüber entscheiden kann, ob sein Land
bombardiert wird oder nicht. Wir fordern Selbstbestimmung.
Das ist der erste Ansatz.
Zweitens möchte ich, dass von der deutschen Politik
der Prozess einer nationalen Versöhnung in Afghanistan
gefördert wird. Auf diesen Prozess muss man bauen. Ich
halte die Friedens-Jirga für einen ganz bedeutenden
Fortschritt; denn so versuchen die Afghaninnen und
Afghanen, ihre Probleme selber zu lösen. Ich denke, es
wäre sinnvoll, eine Politik zu machen, die bereits im
nächsten Jahr Waffenstillstandsvereinbarungen ermöglicht,
damit die Waffen in Afghanistan endlich schweigen.
Darüber muss ernsthaft verhandelt werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Waffenstillstand wäre ein denkbarer nächster Schritt,
wenn man ernsthaft in dieser Richtung vorgehen will.
(Zuruf von der SPD: Wer hat denn was dagegen?)
Interessant war, dass niemand von Ihnen den Mekka-
Prozess hier erwähnt hat. Auch der Außenminister
spricht nicht darüber. Im Ausschuss sagte er, er müsse
telefonieren, um zu erfahren, was dort los sei. Sie sind in
keinem Friedensprozess richtig verankert und täuschen
das Parlament mit Ihren Aussagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos] – Gert
Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: An diesem
Platz hat Herr Steinmeier darüber geredet!)
– Das beweise ich Ihnen.
In das Waffenstillstandspaket gehört, dass Fortschritte
in Afghanistan festgeschrieben und gesichert werden.
Dazu gehören Bildung, Frauenrechte, Rechtstaatlichkeit
und Polizeiaufbau, der Aufbau einer nicht korrupten Polizei,
die dann auch besser bezahlt werden kann. Es ist
Unsinn, wenn Sie hier behaupten, dass zur Absicherung
der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen Militär
unbedingt notwendig sei. Indien hat 3 000 Entwicklungshelfer
nach Afghanistan entsandt, aber keinen einzigen
Militär. Die indische Regierung hat uns immer gesagt,
dass der Einsatz von Militär den Einsatz der
Entwicklungshelfer eher gefährdet als erleichtert.
(Beifall bei der LINKEN)
Also, Bildung, Frauenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Polizeiaufbau.
Wenn man diese Wege geht, muss drittens eine Hilfe
für eine andere Ökonomie in Afghanistan dazugehören.
In Afghanistan braucht man Infrastrukturhilfe. Die
Afghaninnen und Afghanen sagen aber immer auch,
dass sie gern selbst darüber entscheiden möchten, welches
Projekt umgesetzt und welches Projekt nicht umgesetzt
wird. Auch in diesem Fall entsteht der Eindruck,
dass die eigentlichen Entscheidungen im Ausland, aber
nicht in Afghanistan selbst fallen. Deshalb muss man
eine andere Ökonomie durchsetzen, die wegführt von
der Drogenökonomie. Wenn erst einmal ein Krieg gegen
Drogen geführt wird, wenn Sie glauben, das Problem
durch das Abbrennen der Drogenfelder zu lösen, dann
schaffen Sie sich noch ganz andere Probleme an den
Hals.
Dieser Prozess muss in eine regionale Sicherheitskonferenz
und in regionale Sicherheitsstrukturen eingebaut
werden. Es ist notwendig, dass man in der UNO dafür
wirbt. Es wäre interessant – Sie haben diese Idee ebenfalls
vertreten, Kollege Erler –, zu erfahren, was
Deutschland in diese Richtung unternehmen will. Ohne
die Zusammenarbeit mit Pakistan – die Destabilisierung
Pakistans geht auch vom Krieg in Afghanistan aus –,
ohne eine Stabilisierung Pakistans, ohne Krieg und
Bombenangriffe, ohne eine Kooperation mit Indien,
ohne eine Kooperation mit Iran – der Iran ist wichtig für
diese Zusammenarbeit –, ohne dass man die Schanghai-
Gruppe mit China und Russland in diesen Prozess einbezieht,
schafft man keine Stabilisierung in der Region.
Das ist Politik. Politik ist aber nicht gleichzusetzen mit
Militär.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Das sind die Wege, die gegangen werden können.
Wenn Sie aber aus der Logik des Militärischen nicht herauskommen,
dann wird eine andere Logik Raum greifen.
Die Spirale ist doch: mehr Militär, mehr der Eindruck
der Besatzung in Afghanistan, mehr Widerstand, und
dann kommen Sie wieder mit der Forderung nach mehr
Militär.
Deutschland stellt einen Teil der NATO-Truppen in
Afghanistan. Somit verantwortet Deutschland auch die
Gesamtpolitik der NATO in Afghanistan. Diese Spirale
muss man durchbrechen. Das kann man nur mit Politik,
aber nicht dadurch, dass man immer mehr Soldaten
schickt. Das ist das, was jetzt getan werden kann.
Schönen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rainer Arnold von
der SPD-Fraktion.
Rainer Arnold (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Herr Gehrcke, während Ihrer Rede musste ich manchmal
auf die Uhr schauen, weil ich das Gefühl hatte, dass es
nicht 16 Uhr, sondern dass es schon Geisterstunde ist.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie zeichnen ein Bild, das mit der Wirklichkeit nichts
zu tun hat. Als ob wir nicht wüssten, dass Bildung und
Aufbau zentral sind. Wir bemühen uns doch jeden Tag
darum. Zudem lügen Sie, wenn Sie sagen, Frank-Walter
Steinmeier hätte nichts zu den Verhandlungen gesagt.
Von hier aus hat er in seiner letzten Rede zu diesem
Thema gesprochen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Lesen Sie
doch die Rede nach!)
Lesen Sie doch einmal das ISAF-Mandat. Dort heißt
es, dass wir in Afghanistan sind, um die Afghanen zu
unterstützen. Das ist alles festgeschrieben, und so verstehen
wir diesen Auftrag.
Der Unterschied besteht darin, dass Sie versuchen,
den Menschen einzureden, dass in Afghanistan einfach
alles gut wird, wenn die europäischen und amerikanischen Soldaten gehen. Das ist naiv. Sie könnten als Linke genauso gut beschließen, dass der Himmel grün
sei. Der Himmel wird aber nicht grün, wenn Sie das beschließen.
Die Welt ist nun einmal anders.
Es lohnt sich, die Art und Weise zu betrachten, wie
Ihre Partei mit diesem Thema umgeht. In diesem Hohen
Hause sitzen viele Kolleginnen und Kollegen, die in
Afghanistan waren. Ich glaube, alle führenden Politiker
der Parteien haben sich dieser Mühe unterzogen. Die
beiden politischen „Vorderlader“ Ihrer Fraktion jedoch
waren nie in Afghanistan. Dies zeigt, dass Ihnen die
Menschen in Afghanistan, um die es geht, ziemlich egal
sind.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das zeigt auch, dass es sehr bequem ist, am warmen
Schreibtisch in Deutschland Anträge zu Afghanistan zu
schreiben, während man die Wirklichkeit in Afghanistan
gar nicht kennenlernen will. Es könnte ja sein, dass man
dabei etwas lernt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordenten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Das zeigt außerdem, welches Bild Sie von den Soldaten
haben. Die Soldaten verstehen das Signal, das Sie ihnen
senden, dass Sie sich nicht um ihren Einsatz kümmern.
Nein, in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik
darf eine Opposition selbstverständlich die Regierung
kritisieren und anderer Meinung sein.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Großzügig!)
Aber in der Geschichte unseres Landes hat sich eine Opposition
in einer ernsten und schwierigen Situation nie
so billig und schändlich aus einem Minimum an Verantwortung,
die wir alle als Demokraten spüren sollten, gestohlen,
wie es die Linken bei diesem Thema tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der FDP)
Lassen Sie mich zu Wichtigerem kommen, zu Fragen
der Strategie; dazu wurde schon sehr viel gesagt. Natürlich
wird die Strategie in vielen Konferenzen ständig
nachjustiert. Natürlich braucht man sie nicht neu zu erfinden.
Es wurde schon deutlich, was konsequenter gemacht
werden muss. Man muss das, was man in Afghanistan
erkannt hat, entschlossen tun. Das ist eines der
Probleme.
Ich möchte zwei Bereiche ansprechen, von denen ich
glaube, dass man weiterdenken muss. Wir reden zum einen
davon, dass der zivile Aufbau zu schleppend ist. Ich
habe manchmal den Eindruck, dass wir da einen falschen
Maßstab anlegen. In Deutschland kann sich niemand
mehr vorstellen, dass in Afghanistan der Brunnen
für die Familie, das Dach und die Heizung für eine
Schule oder eine Hebamme, die das Leben eines Kindes
rettet, ein ungeheurer Fortschritt sind. Wir sollten dieses
Land nicht an uns messen, sondern an anderen bettelarmen
Ländern. Im Vergleich zum Sudan, zum Kongo, zu
Somalia und vielen anderen geht es in Afghanistan
voran. Dies ist die Orientierung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wir sollten zum anderen daran denken, dass es vor
wenigen Monaten einen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker
gab, der, als er aus Afghanistan zurückgekommen
ist, gesagt hat: Man muss natürlich auch verhandeln,
und zwar an der Spitze der Regierung, aber auch
draußen, dezentral, bei den PRTs. – Über ihn ist Häme
und Spott ausgeschüttet worden. Heute, vor einer
Stunde, hat der amerikanische General Petraeus genau
dies gefordert. Dies ist natürlich ein notwendiger und
richtiger Weg. Um auf diese Idee zu kommen, brauchen
wir überhaupt keine Linke in diesem Bereich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE
LINKE]: Ihr seid oberschlau!)
Ich bekenne mich dazu, dass ich nicht alles über
Afghanistan weiß und in zwei Punkten immer wieder
mit mir ringe. Ich glaube, das geht vielen so. Die erste
Frage ist: Haben wir noch die richtige Antwort auf diese
ernste Situation im Norden, in der Provinz Kunduz? Das
ist ein Thema, das uns beschäftigen muss. Ich weiß
nicht, ob die deutsche Vorgehensweise ausreichend ist.
Ich bin sehr dafür, dass die deutschen Soldaten vorsichtig
und besonnen sind. Das macht sie stark. Aber ich
habe manchmal die Sorge, dass wir zu oft fragen: Was
wollen wir, was dürfen wir? Ich glaube, wir müssten
häufiger fragen: Was hilft in dieser Situation? Ich wünsche
mir – das sage ich mit Blick auf die militärische
Führung –, dass die Soldaten, die Erfahrungen vor Ort
haben, die besonnen sind und ihre Einschätzungen nach
Deutschland tragen, von der militärischen Führung ernst
genommen werden und ihr Rat abgewogen wird und in
die weitere Strategie einfließt.
Das Zweite, wovon ich meine, dass wir darüber nachdenken
müssen, ist ein Thema, das hier schon angesprochen
worden ist: der Faktor Zeit. Wir alle sagen: Wir
brauchen Geduld. Gleichzeitig spüren wir in der deutschen
Debatte ebenso wie in Afghanistan: Die Zeit läuft
uns in Afghanistan davon. Wenn dies so ist, ist es schlüssig,
dass wir jetzt mehr tun müssen – dies gilt auch für
die 1 000 Soldaten –, damit wir dieses Mandat eines Tages
so verändern können, dass die deutschen Soldaten
nicht in erster Linie draußen für Stabilität sorgen müssen,
sondern dass sie zunehmend, Schritt für Schritt, in
eine Assistentenfunktion für die afghanischen Sicherheitsorgane
kommen. Das ist etwas ganz Wichtiges.
Herr Kollege Trittin, an einem Punkt machen Sie einen
Fehler. Den Faktor Zeit sozusagen einem Gleis
gleichzusetzen und einen Bahnhof zu definieren, an dem
man anhalten muss, kann nicht funktionieren. Ich glaube
schon, dass es richtig ist, ein grobes Ziel zu definieren.
Es lautet, Stabilität zu schaffen, Terror zurückzudrängen
und gleichzeitig afghanische Sicherheitsorgane aufzubauen,
damit sie selbst damit umgehen können. Es ist
richtig: Die Regierung wird Evaluierungsberichte vorlegen.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das hat sie noch nie gemacht! –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das wäre aber neu, Herr Arnold!)
– Die Regierung hat zugesagt, dass zukünftig jedes Jahr
ein solcher Bericht erstellt wird. Das begrüßen wir ausdrücklich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU)
Die einzelnen Etappen muss man prüfen. Man kann
sie aber nicht mit einem Datum versehen.
Herr Trittin, ich möchte an die drei Länder Norwegen,
Kanada und Niederlande erinnern.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Arnold, darf ich Sie an Ihre Zeit erinnern?
Rainer Arnold (SPD):
– Ich komme sofort zum Ende. – Die Niederländer
zum Beispiel, die eine Armee von 46 000 Soldaten haben,
sind mit 1 700 Soldaten in Afghanistan. Das halten
sie nicht auf Dauer durch. Ich glaube, Deutschland muss
sich an Frankreich und Großbritannien orientieren, aber
da wird die Sache eben kompliziert.
Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Wir alle
wissen, dass es um deutsche Interessen der Stabilität und
der Sicherheit geht.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Arnold!
Rainer Arnold (SPD):
Ich bin fertig.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Danke schön.
Rainer Arnold (SPD):
Es geht auch um die Menschen in Afghanistan.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Arnold!
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU)
Rainer Arnold (SPD):
Wir sehen, dass der Erfolg die Mühen und Anstrengungen
der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen
Aufbauhelfer, die hohe Risiken eingehen, wert ist. Wir
unterstützen sie auch in Zukunft. Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard
Beck, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Auf der Tribüne sitzen Soldaten der Luftlandeaufklärungskompanie
260 aus Zweibrücken, die in
Afghanistan im Einsatz waren und diese Debatte sicher
mit großem Interesse verfolgen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ISAF-Mandat, wie es heute zur Abstimmung
steht, unterscheidet sich in mehreren Punkten von dem
bisherigen: Es ist auf 14 statt auf 12 Monate angelegt;
das Kontingent umfasst 4 500 statt wie bisher 3 500 Soldatinnen
und Soldaten, darunter auch Kräfte, die im Süden
Afghanistans eingesetzt sind, nämlich unsere Fernmelder
in Kandahar.
Es ist schon oft gesagt worden, dass es auch im siebten
Jahr des Afghanistan-Einsatzes Licht und Schatten
gibt. Es ist nicht entscheidend, ob wir den Einsatz als
Stabilisierungs- oder als Kampfeinsatz bezeichnen.
Wichtig ist, wie der Einsatz von der afghanischen Bevölkerung,
von unseren Bürgerinnen und Bürgern hier im
Land, aber auch von den Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan wahrgenommen und erlebt wird. Zu einem
realistischen Umgang gehört – daran muss man auch
hier erinnern; es ist bereits gesagt worden –, dass Probleme,
Gefahren und Risiken angesprochen werden:
schleppender Aufbau, Korruption, Drogen, nichtkooperative
Nachbarländer. Es geht darum, Chancen und Risiken
beim Namen zu nennen, aber auch darum, bereits erzielte
Erfolge nicht kleinzureden.
Ich glaube, dass wir uns manchmal fragen müssen:
Führen wir hier in Deutschland, auch hier im Parlament,
die richtigen Diskussionen, die richtigen Debatten, wenn
wir operative Details des Einsatzes in den Mittelpunkt
stellen? Wir erwarten und fordern regelmäßig, wie ich
meine, zu Recht eine verantwortliche militärische Führung
vor Ort. Dann müssen wir aber auch darauf vertrauen,
dass diese Führung die richtigen Entscheidungen
trifft. Das haben unsere Soldaten und ihre verantwortlichen
militärischen Führer verdient. Solidarität und nicht
Distanzierung ist gefragt, auch wenn einmal Fehler gemacht
werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD und der FDP)
Der Erfolg des Einsatzes hängt letztlich von vielen
Faktoren ab, ganz entscheidend ist aber die Motivation
unserer Soldaten vor Ort. Das sind nicht nur die Stäbe,
sondern auch die Feldwebel und Mannschaften, die in
Afghanistan auf Patrouille und an Checkpoints unterwegs
sind. Sie wissen, wofür sie stehen. Sie genießen bei
der afghanischen Bevölkerung Vertrauen, ein Vertrauen,
das der afghanischen Regierung vielerorts abgeht, um
das sie sich, wie ich meine, viel stärker bemühen muss.
Verunsichert werden unsere Soldaten weniger durch
den Gegner als durch Diskussionen, wie sie hier bei uns
regelmäßig nach Anschlägen oder aus Anlass von zivilen
Opfern ausbrechen. Jedes Mal, wenn Zivilisten bei
militärischen Einsätzen verletzt oder gar getötet werden
– das sage ich ganz klar –, ist das eine Tragödie und
schmälert zudem die Sicherheit unserer Soldatinnen und
Soldaten vor Ort. Dennoch – das gehört zur Realität –
wird das auch in Zukunft nicht völlig zu vermeiden sein.
Potenzielle Attentäter sind äußerlich von Zivilisten nicht
zu unterscheiden. Genau das nützen die Taliban und die
Aufständischen ja aus. Gerade das macht den Einsatz so
gefährlich und so unberechenbar. Wir, die wir uns hier,
im tiefen Frieden, die außerordentliche nervliche Anspannung
unserer Soldaten vorstellen, die im Grunde
hinter jedem Abfalleimer, hinter jedem Baum, an jeder
Ecke und in jedem Auto einen Selbstmordattentäter oder
eine Sprengfalle vermuten müssen, wir müssen auch sagen,
dass das die Realität des Einsatzes unserer Soldaten
ist.
Als Ende August dieses Jahres drei afghanische Zivilisten
bei einem Zwischenfall in Kunduz starben, war
erst klar, dass es sich um Unschuldige handelte, nachdem
die Schüsse gefallen waren. Dass dieser Vorfall untersucht
wird, ist notwendig und richtig. Ich erinnere
aber auch daran, dass der örtliche paschtunische Stammesführer
Otmansei für die betroffene Familie erklärte:
Nicht die deutschen Soldaten waren schuld, sondern der
afghanische Fahrer, der sich falsch verhalten hat.
Als Folge dieses Vorfalls soll nun der Rechtsschutz
für Soldatinnen und Soldaten verbessert werden. Ich
halte diesen Schritt für überfällig und begrüße ihn ausdrücklich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Es kann nicht sein, dass gegen einen Soldaten, der im
Einsatz von seiner Schusswaffe Gebrauch macht und dabei
jemanden tötet, die Staatsanwaltschaft ermittelt und
ihm der Dienstherr keinen Rechtsbeistand zur Verfügung
stellt.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir stimmen der Aufstockung des Mandats um
1 000 Soldaten zu, weil wir durch die Aufstockung mehr
Flexibilität im Kontingentwechsel erreichen, weil wir
dadurch besser auf eine veränderte Sicherheitslage reagieren
können, weil wir seit dem 1. Juli dieses Jahres die
schnelle Eingreiftruppe für das Regionalkommando
Nord stellen, weil wir unsere Unterstützung bei der Ausbildung
der afghanischen Armee verstärken und nicht
zuletzt die Absicherung der afghanischen Wahlen im
Herbst 2009 unterstützen wollen.
Ich möchte an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten,
die in Afghanistan unter Einsatz ihres Lebens einen
wertvollen und wichtigen Dienst leisten oder geleistet
haben – dies tun sie unter anderem für unsere
Interessen und unsere Sicherheit –, herzlich danken. Ich
werbe deshalb für eine breite Unterstützung in diesem
Haus. Denn unsere Soldatinnen und Soldaten haben
diese Unterstützung nötig. Sie haben sie auch verdient.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich freue mich sehr über die Stiftung des Ehrenkreuzes
der Bundeswehr für Tapferkeit. Ich danke dem Bundespräsidenten
und dem Verteidigungsminister für diese
Entscheidung. Die Soldatinnen und Soldaten können
fortan für besonders herausragende Leistungen im Einsatz
ausgezeichnet werden. Angesichts der neuen Anforderungen
in den Einsätzen ist dies ein wichtiges Zeichen
unserer Wertschätzung und unserer Anerkennung.
Unser Einsatz in Afghanistan wird nicht einfacher.
Uns stehen schwierige Monate bevor. Wir sind aber der
festen Überzeugung, dass dieser Einsatz richtig und derzeit
ohne Alternative ist. Deshalb stimmen wir der Verlängerung
des Mandats zu. Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Henry Nitzsche.
Henry Nitzsche (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
mittlerweile sechs Jahren kämpft die Bundeswehr in
Afghanistan. Dieser Einsatz kostete den deutschen Steuerzahler
bisher rund 3 Milliarden Euro. Jetzt sollen weitere
700 Millionen Euro draufgesattelt werden.
Eine Sache wiegt aber noch schwerer: Mindestens
22 deutsche Soldaten verloren bisher in Afghanistan ihr
Leben. Die meisten von ihnen starben durch Feindeinwirkung.
Wir können also getrost von gefallenen Soldaten
sprechen, auch wenn sich die Bundesregierung
krampfhaft bemüht, diese Bezeichnung zu vermeiden.
Was haben all diese Opfer gebracht? Was haben wir
in diesen sechs Jahren erreicht? Ich zitiere aus einem
Text, der auf der Internetseite der Bundesregierung zu
finden ist:
Zunehmend kann die afghanische Regierung Verantwortung
für den Wiederaufbau und die Sicherheit
übernehmen. Dies zeigt die Übernahme der
Sicherheitsverantwortung für das Stadtgebiet von
Kabul …
Ist das alles? Derzeit sind fast 53 000 Soldaten aus
40 Staaten im Einsatz. Insgesamt 900 Soldaten verloren
bisher ihr Leben. Und wofür? Damit Kabul halbwegs
kontrolliert werden kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung,
die afghanische Regierung, die Sie uns
hier als Erfolgsmeldung verkaufen, existiert überhaupt
nicht. Es gibt vielleicht einen Bürgermeister von Kabul
namens Hamid Karzai, aber selbst er ist zum Erhalt seiner
Macht auf ausländische Soldaten angewiesen. So
sieht die Wahrheit aus.
Zu dieser Wahrheit gehört auch, dass wir von der
Mehrheit der Afghanen nicht als Befreier, sondern als
Besatzer angesehen werden, die diesem Land ein politisches
System überstülpen wollen, das dort vehement abgelehnt
wird. Woher nehmen wir eigentlich die Arroganz,
zu glauben, dass dieses an simple Hierarchien
gewöhnte Bergvolk nach dem strebt, was wir als Demokratie
bezeichnen? Dort zählen ganz andere Werte. Die
Afghanen mögen sich heutzutage für ihr Drogengeld
westliche Musik und Kaugummi kaufen können. Der
Verkaufsschlager ist aber nach wir vor die Kalaschnikow.
„Waffen für Drogen“ heißt die Devise. Wer die
meisten Waffen hat, hat die meiste Macht. Das ist das
wahre afghanische Staatsmodell.
Seit dem Sturz der Taliban blüht der Mohnanbau in
Afghanistan. Betrug die afghanische Opiumproduktion
im Jahre 2001 noch 185 Tonnen, liegt sie heute bei fast
8 000 Tonnen.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Und warum ist er im Norden wieder
zurückgegangen? Haben Sie das nicht mitbekommen?)
Das sind mittlerweile 90 Prozent der weltweiten Opiumproduktion.
Die Ankündigungen der afghanischen Regierung,
den Drogenhandel zu bekämpfen, sind nicht
mehr als Lippenbekenntnisse. Niemand, weder die afghanische
Regierung noch die internationale Schutztruppe,
wagt es, sich mit den Drogenbaronen anzulegen.
Verteidigungsminister Jung wusste schon, warum er sich
vergangene Woche gegen eine Bekämpfung des Opiumhandels
durch deutsche Soldaten aussprach.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sind Sie für den Drogenkrieg?)
Man muss das einmal klarmachen: Wir lassen unsere
Soldaten bei ihrer Vereidigung schwören, dass sie der
Bundesrepublik Deutschland treu dienen und das Recht
und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen.
Dann schicken wir sie ins afghanische Bergland, um dort
Opiumplantagen zu beschützen. Das ist eine unglaubliche
Schande.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist eine Lüge!)
Deutschland setzt dem Ganzen zudem mit 10 Millionen
Euro für die afghanischen Polizeigehälter die Krone auf.
Es ist an der Zeit, dass wir diesen sinnlosen Einsatz endlich
beenden. Für Deutschland gibt es keinen Grund,
sich in Afghanistan zu engagieren. Auch das Gerede,
dass der internationale Terrorismus von irgendwelchen
Berghöhlen in Afghanistan aus gelenkt wird, glaubt
doch niemand mehr. Die Mehrheit der Deutschen lehnt
diesen Einsatz ab.
Unsere Soldaten haben ein Recht darauf, dass wir unsere
Entscheidung sorgfältig und gewissenhaft treffen.
Dabei sollten allein der Sinn des Einsatzes und der
Schutz unserer Soldaten ausschlaggebend sein und nicht
die Fraktionsdisziplin oder parteitaktische Überlegungen.
Das gilt vor allem auch für Sie, meine Damen und
Herren von der Linken.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Mit Ihnen
wollen wir nichts zu tun haben!)
Ihre „Soldaten sind Mörder“-Fraktion schreit immer am
lautesten, dass die Bundeswehr aus Afghanistan gehen
soll. In Wahrheit scheren Sie sich einen Dreck um unsere
Soldaten. Sie nutzen das Thema nur zu Ihrer Profilierung.
Sie haben von allen hier die geringsten Skrupel,
unsere Soldaten in Afghanistan zu verheizen. Sie begrüßen
doch insgeheim deren Tod.
(Widerspruch bei der LINKEN – Volker
Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Frau
Präsidentin, das geht ein bisschen zu weit!)
Wer mit einer Gruppe zusammenarbeitet, die den Tod
deutscher Soldaten als Schritt zur Abrüstung feiert,
sollte hier und heute besser schweigen.
(Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Hetze!)
Der ranghöchste Befehlshaber in Afghanistan, Mark
Carleton-Smith, hat vor kurzem gesagt: „Wir werden
diesen Krieg nicht gewinnen.“ Recht hat er. Wir sollten
diese Realität akzeptieren. Wir haben heute die Möglichkeit,
einen schwerwiegenden Fehler, den wir vor sechs
Jahren begangen haben, zu korrigieren.
Diejenigen von Ihnen, denen Afghanistan wirklich so
sehr am Herzen liegt, können sich als Erntehelfer auf
den Opiumplantagen melden. Die Bundeswehr jedenfalls
hat nichts in diesem Land verloren. Jeder weitere
Euro, den wir für diesen sinnlosen Einsatz vergeuden, ist
einer zu viel.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Nitzsche, ich muss Sie an Ihre Redezeit
erinnern.
Henry Nitzsche (fraktionslos):
Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin. –
Wenn Ihnen also schon unsere Soldaten egal sind, dann
tun Sie wenigstens etwas für die Haushaltskonsolidierung,
und stimmen Sie gegen den Antrag der Bundesregierung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem
Kollegen Gehrcke.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Ich war ja schon froh, dass am Ende der Rede, die
hier gehalten worden ist – eine, wie ich finde, rechtsextreme
Rede –, eine deutliche Distanz zur Fraktion Die
Linke dargelegt worden ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
In dieser Nachbarschaft möchte ich mich nicht einmal
im Dunkeln bewegen. Wir möchten auf keinen Fall, dass
unsere Position mit dieser verwechselt wird. Hier gibt es
ganz klare und deutliche Trennungsstriche, die verständlich
sein müssen. Man weiß ja, was woher kommt. Ich
möchte mich dagegen verwahren und finde es empörend,
wenn irgendjemand behauptet, dass es in der Fraktion
Die Linke Freude darüber gäbe, dass Soldatinnen
und Soldaten in Afghanistan umkommen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier
[fraktionslos])
Ganz im Gegenteil: Jeder Zivilist, der umkommt, und jeder
Soldat, der umkommt, ist entschieden zu viel. Ich
möchte, dass endlich eine Politik gemacht wird, die dazu
beiträgt, dass niemand in Afghanistan aufgrund von
Krieg bzw. Kriegseinwirkung sein Leben lassen muss,
ob Zivilist oder Soldat.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Hier müssen, wie gesagt, klare Trennungsstriche gezogen
werden. So kann man keinen Frieden schaffen. Die
Art und Weise, in der hier gerade gesprochen wurde,
muss man bekämpfen.
Danke sehr.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Nitzsche, Sie können antworten.
(Zurufe von der SPD: Oh nein! – Bitte nicht! –
Nicht der schon wieder!)
Henry Nitzsche (fraktionslos):
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie unterstützen
eine Organisation, die ein Plakat veröffentlicht
hat, auf dem es heißt: „Die Bundeswehr auf dem richtigen
Weg“, „Schritt zur Abrüstung“ und „Wieder einer
weniger“. Diese Organisation wird von Ihnen unterstützt.
Sie geben ihr Ihre Stimme. Das war der Grund,
warum ich Sie so genannt habe.
(Zuruf von der LINKEN: Nazi! – Gegenrufe
von der CDU/CSU: Na, na, na! – Das ist wirklich
allerhand! – Unerhört!)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Frau Präsidentin! Ich erinnere an Malalai Kakar.
Malalai Kakar ist vor 18 Tagen erschossen worden. Sie
war die bekannteste Polizistin Afghanistans. Ein Sprecher
der Taliban hat den Mord an ihr wie folgt kommentiert:
Sie war unser Ziel, und wir haben unser Ziel eliminiert.
– Das ist die Sprache von Hinrichtern. Das ist die
Sprache der Taliban. Genau dagegen müssen wir uns
wenden. Wer sich bei der Abstimmung über die Fortsetzung
des Mandats, die die Bundesregierung heute vorschlägt,
der Stimme verweigert oder der Stimme enthält,
stärkt die Taliban
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wie bitte? Das, was du da sagst,
ist unerhört!)
und jene Exekutoren; das muss hier ganz deutlich gesagt
werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist doch Unsinn! Überleg dir bitte
noch mal, was du gerade gesagt hast! – Zurufe
von der LINKEN: Das ist doch Quatsch! – Das
ist eine Frechheit von Ihnen!)
– Lieber Winni, es tut mir leid.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Mit „leidtun“ hat das nichts zu tun! Dafür
entschuldigt man sich!)
Ich gehöre zu denen, die vor vielen Jahren, vor über
einem Jahrzehnt, der Meinung waren, dass die rot-grüne
Koalition die Perspektive hat, unser Land zu verwandeln
und zu verbessern. Ich beklage, dass die Grünen nicht in
der Lage sind, sich in der jetzigen Situation klar zu bekennen
und entweder Ja oder Nein zu sagen. Durch eine
Enthaltung sorgt man auch dafür, dass diese Unsicherheit
übertragen wird. Winni, diejenigen, die eine andere
Perspektive für Afghanistan für richtig und sinnvoll erachten,
bitte ich darum, sich darüber klar zu werden,
dass eine Enthaltung in dieser Situation auch bedeutet,
die Taliban zu stärken. Ich bitte euch, darüber noch einmal
neu nachzudenken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE
LINKE]: Und wie ist das mit den Kollegen in
deiner Fraktion? Unterstützen die etwa auch
die Taliban?)
– Das gilt auch für alle anderen, die nicht den Mut haben,
sich deutlich für das Mandat der Bundesregierung
auszusprechen.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Brunnenvergifter!
Das ist wirklich eine Frechheit, was
Sie da von sich geben!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Argument, dass
es für die Region eine andere Perspektive geben muss
– dieses Argument ist vorgetragen worden –, ist richtig
und zutreffend. Aber wer hat denn dafür gesorgt, dass
die beiden Außenminister Afghanistans und Pakistans
zum G-8-Gipfel nach Potsdam eingeladen werden? Wer
hat dafür gesorgt, dass ein Prozess eingeleitet wurde, der
in der Region dazu führen wird, dass die Kooperationsbeziehungen
zwischen Indien, Pakistan, Afghanistan
und Iran vorangebracht werden? – Es war Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier, der dafür gesorgt hat,
dass sich diese Beziehungen entwickeln, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Ein Zweites. Wer sagt, dass die Peace Jirga richtig
und sinnvoll ist, der hat recht. Sie ist ein richtiges Konzept.
Dann muss allerdings auch hinzugefügt werden,
dass sich der pakistanische Ministerpräsident und Präsident
Karzai kürzlich getroffen und die Peace Jirga einberufen haben. Dann muss man auch dafür sorgen, dass
demnächst ein weiteres Treffen der Peace Jirga stattfindet.
Es hat im letzten Jahr bereits mehrere lokale Konferenzen
der Peace Jirga gegeben. Das ist richtig. Aber wer
so tut, als ob die Bundesregierung beziehungsweise der
Außenminister nicht dafür sorgen werde, dass diese Bemühungen
unterstützt werden, der führt die Öffentlichkeit
hier in Deutschland in die Irre. Wir unterstützen diesen
Prozess, und wir sorgen dafür, dass die Peace Jirga
lokal, regional und auf der nationalen Ebene vorangebracht
wird.
Ein Letztes. Es gibt ein neues Buch – es ist gerade erst
erschienen – von Rashid mit dem Titel „Descent into
Chaos“, also „Abstieg ins Chaos“. Der Autor kommt aus
Pakistan und ist einer der besten Kenner der Region. Er
hat am Schluss dieses Buches darauf aufmerksam gemacht,
dass sich Afghanistan gegenwärtig auf einer
schiefen Ebene befindet, und es bestehe die Gefahr, dass
Afghanistan abrutsche. Leider ist dies zutreffend.
Jetzt kommt es darauf an, dass wir unsere Kräfte mobilisieren,
dass wir also zum Beispiel dafür sorgen, dass
die Ergebnisse der Konferenz von Paris – dort waren
80 Nationen dieser Erde vertreten – umgesetzt werden.
Es müssen 21 Milliarden Dollar in die Hand genommen
werden, damit der zivile Aufbau gelingt. Darauf müssen
wir hinwirken, damit die Schieflage in Afghanistan in
Balance gebracht wird.
Das ist die Aufgabe, und sie kann nur gelingen, wenn
wir dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Denn
nur wenn gewährleistet ist, dass der zivile Aufbau vorankommt,
wird auch Afghanistan eine Chance haben, sich
in eine Zukunft zu entwickeln, die am Ende hoffentlich
von Frieden geprägt sein wird.
Aus diesen Gründen stimmen wir dem Antrag der
Bundesregierung zu.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Winfried Nachtwei.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Kollege Gert Weisskirchen, dir geht es in Sachen
Afghanistan so wie mir. Wir sind mit dem Herzen
dabei. Aber wenn man mit dem Herzen dabei ist, muss
man aufpassen, in der Argumentation nicht grob fahrlässig
zu werden. Insofern muss ich Folgendes deutlich zurückweisen:
Diejenigen, die hier mit Nein stimmen oder
sich enthalten, zu bezichtigen, sie würden dadurch die
Taliban unterstützen, ist ungerechtfertigt, falsch und eine
Holzhammermethode.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier
[fraktionslos])
Diese Methode kennen wir noch aus der Zeit des Kalten
Krieges, als allen möglichen Kritikern der etablierten
Sicherheitspolitik vorgeworfen wurde, sie würden die
Geschäfte der anderen Seite unterstützen. Das weißt du
selbst. Du hast dich damals selbst gegen solche Vorwürfe
gewehrt. Insofern waren deine Ausführungen
wirklich völliger Schwachsinn.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN)
Was sollen wir und auch ich persönlich tun? – Seit
zwei Jahren mahne ich drängend in konstruktiver Kritik
an: Bitte, Bundesregierung, strengt euch in der Sache
mehr an. – Das sage ich am wenigsten in Richtung Bundeswehr.
Denn ich bekomme mit, wie sich die Bundeswehr
anstrengt. Das ist kein persönlicher Vorwurf, sondern
betrifft meiner Meinung nach eher ein
Organisationsversagen. Schließlich hängen wir mit dem
Aufbau aus vielerlei Gründen schlimm zurück.
Einerseits haben wir seit dem letzten Herbst zehn Anträge
gestellt und seitens der Großen Koalition zustimmendes
Nicken vernommen. Andererseits laufen wir gegen
die Wand. Sollen wir vor diesem Hintergrund nun
sagen, unsere Kritik sei gar nicht so gemeint gewesen
und wir würden nun immer mit zustimmen? Was sollen
wir als Opposition da machen? Das muss man sich doch
fragen.
Außerdem: Bei der ersten Lesung zum ISAF-Antrag
habe ich hier geredet. Ich habe mitbekommen, wie viel
Beifall ich für meine Kritik an der halbherzigen Politik
der Bundesregierung aus euren Reihen, den Reihen der
CDU/CSU und der SPD, als Reaktion erhalten habe; sie
ist im Protokoll nachzulesen. Ich habe das Gefühl, dass
wir Grünen damit, dass wir dazu sprechen und unsere
konstruktive Kritik für einen vernünftigen und energischen
Aufbau in Afghanistan äußern, vielen Kolleginnen
und Kollegen aus der Koalition aus dem Herzen sprechen.
Ihr könnt nur aus Koalitionsloyalität einfach nicht
immer so abstimmen, wie ihr es eigentlich möchtet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Jetzt hat der Kollege Weisskirchen das Wort.
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Lieber Winni, wir kennen uns gut und lange genug.
Ich sage: Wenn du den Eindruck hast, dass ich mit dem,
was ich gesagt habe, das Ziel, das uns gemeinsam verbindet,
infrage gestellt habe, dann sage ich: Das war
nicht meine Absicht, und das würde ich auch niemals gesagt
haben wollen.
(Dr. Peter Ramsauer ([CDU/CSU]: Macht das
doch bitte draußen! – Dr. Guido Westerwelle
[FDP]: Das ist hier doch kein Kindergarten! –
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, geht raus!
Hier ist das Parlament, nicht eine Selbsterfahrungsgruppe!)
Ich kann nur dem zustimmen, was du gesagt hast. Ich
zitiere Winni Nachtwei:
<
(Hellmut Königshaus [FDP]: Geh doch ein
Bier mit ihm trinken!)
Ich sage ausdrücklich: Die Verlängerung des ISAFMandats
ist richtig und unverzichtbar.
Das hast du hier am 7. Oktober 2008, also vor wenigen
Tagen, gesagt.
Ich hoffe, dass die Sorge, die du hast und die viele
von uns auch haben, dass nämlich mit dem Mandat, das
wir heute verabschieden, die Situation in Afghanistan
gefährdet werden könnte, nicht Wirklichkeit wird. Deswegen
stimme ich dem zu. Damit möchte ich kein Gewissen
von irgendeinem anderen Kollegen in Gefahr
bringen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.
(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt steigern sich
die Beiträge!)
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Mit Genugtuung beobachte ich, dass die Zustimmung zu
den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan hier im
Deutschen Bundestag mehr und mehr bröckelt. Wenn
der Druck der Parteibasis zum richtigen Abstimmungsverhalten
führt, dann finde ich das gut, und die überwältigende
Mehrheit der Deutschen findet das ebenfalls gut.
Vielleicht hat ja auch das eine oder andere Argument
von unserer Seite dazu beigetragen; denn wir erleben gerade
im Zeitraffer, wie die anderen Parteien, nachdem
die ganze Welt ins Finanzdebakel gestürzt wurde, Positionen
der Linken übernehmen. Und das ist auch gut so.
Goethe hatte offensichtlich recht. Zum wiederholten
Male zitiere ich:
Man muss das Wahre immer wieder wiederholen,
weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt
wird ...
Der Irrtum, der an dieser Stelle seit sieben Jahren gepredigt
wurde und auch heute wieder gepredigt wird, heißt:
Mehr Truppen werden Afghanistan befrieden und ihm
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bildung und wirtschaftlichen
Aufschwung bringen. – Wäre die Realität
für die afghanische Bevölkerung nicht so entsetzlich und
grauenvoll, dann müsste man angesichts einer derart verfehlten
Vorgehensweise eigentlich in ein Höllengelächter
ausbrechen.
Zur Rechtsstaatlichkeit will ich nur ein Beispiel nennen,
mit dem die Wirklichkeit wie in einem Brennglas
gespiegelt wird. Noch immer wartet der unter Verletzung
der elementarsten rechtsstaatlichen Regeln zum Tode
verurteilte und in Masar-i-Scharif, also im deutschen
Verantwortungsbereich, festgenommene Journalistik-
Student Kambakhsh in seiner Kabuler Zelle auf sein Berufungsverfahren.
Sein sogenanntes Verbrechen war das
Herunterladen korankritischer Seiten aus dem Internet.
Können Sie sich bitte ein einziges Mal vorstellen,
welche Qualen der Ungewissheit dieser 23-jährige junge
Mann seit seiner Verhaftung im Oktober 2007 erlitten
hat? Offensichtlich hat niemand die objektiv vorhandenen
Möglichkeiten gegenüber dem afghanischen Präsidenten
ausgeschöpft. Hier könnte man einem Menschen
ohne Militär konkret helfen.
Beim Thema Bildung sieht die Realität so aus, dass die
Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen von 36 Prozent
im Jahr 1999 auf heute 23,5 Prozent gefallen ist.
Für die sozialistische Regierung nach dem Umsturz von
1978 war die Alphabetisierung der Bevölkerung noch
ein Hauptanliegen auf dem Weg einer nachholenden
Modernisierung des Landes. Es war völlig normal, dass
Frauen und Mädchen dort in die Schule gehen konnten.
Dass dies scheiterte, haben wir unter anderem dem
damaligen US-Sicherheitsberater Brzezinski zu verdanken,
der darauf heute noch stolz ist. Hat man denn im
Dezember 2001 auf dem Petersberg tatsächlich erwartet,
dass sich die vom Westen erkorenen korrupten, reaktionären
afghanischen Politiker und Warlords für Bildung
einsetzen würden? Diese Auswahl war doch der entscheidende
Geburtsfehler, der der gesamten Negativentwicklung
seit 2001 zugrunde liegt.
Die Bundesregierung sollte sich endlich eingestehen,
dass sie sich auf dem Weg in ein Desaster befindet. Sie
sollte die Konsequenzen ziehen, wenn die amerikanischen
Geheimdienste wie kürzlich zu dem Schluss kommen,
dass sich die USA in Afghanistan in einer Abwärtsspirale
befinden. Im Leitartikel des Boston Globe
hieß es gestern: „Mehr Truppen werden diesen höchst
gefährlichen Krieg intensivieren“.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre und angesichts
der Stimmen aus den USA ist mir völlig unverständlich,
dass Sie heute dem Druck der US-Regierung
nachgeben. Wir erleben doch seit 2005, dass der Widerstand
der Afghanen ständig wächst, weil USA und
NATO den Krieg immer mehr ausweiten. Jetzt ist sogar
Pakistan dran: Der Krieg wird nach Pakistan getragen.
Wann wird endlich begriffen, dass das der falsche Weg
ist?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wann wird begriffen und zugegeben, dass dies nicht
unser Krieg ist? Der ehemalige Vizefinanzminister von
Ronald Reagan, Paul Craig Roberts, schreibt in seiner
Kolumne am 6. Oktober – ich zitiere –: „Europäer sterben
in Afghanistan für die amerikanische Hegemonie“.
Was aber macht die Bundesregierung? Sie nötigt den
deutschen ISAF-General Domröse zu einem PR-Interview
in der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung,
in dem er das Wort „Krieg“ zum „fight“ – also
wohl zu einer Art sportlichen Wettkampf – umdefiniert.
Solche Spielchen mit der Öffentlichkeit werden Sie
sich und uns allerdings sehr bald ersparen können. Denn
die globale Finanzkrise wird dazu führen, dass der Rest
der Welt – besonders Asien – nicht mehr bereit ist, die
Kriege der USA mit seinen Exporterlösen zu finanzieren.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Winkelmeier, Ihre Redezeit ist abgelaufen,
und Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Ich komme zum Schluss. – Schon allein deswegen
muss der Rückzug der Bundeswehr unverzüglich erfolgen.
Handeln Sie jetzt! Denn jetzt haben Sie noch die
Entscheidungsfreiheit. Wenn die Folgen der Finanzkrise
erst einmal durchschlagen, wird das nicht mehr der Fall
sein. Danke.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Holger Haibach (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, es lohnt sich am Ende dieser Debatte, einen
Moment darüber nachzudenken, worüber wir eigentlich
sprechen. Wir sprechen über eine Mitverantwortung, die
wir beim Wiederaufbau und bei der Befriedung Afghanistans
übernommen haben. Wir sprechen über 4 500
deutsche Soldatinnen und Soldaten, die wir – wenn wir
die Mandatsverlängerung heute beschließen – in einen
nicht ganz ungefährlichen Einsatz schicken. Wir reden
über sehr viele freiwillige Helfer von Nichtregierungsorganisationen,
die jeden Tag unter sehr schwierigen Bedingungen
ihrer Arbeit nachgehen.
Unter diesen Bedingungen finde ich das Niveau dieser
Debatte ehrlich gesagt mehr als bedauerlich. Wenn
von „Schwachsinn“ geredet wird und historisch falsche
Zitate in den Mund genommen werden, dann ist das, wie
ich finde, dieser Debatte nicht würdig und dem deutschen
Engagement in Afghanistan nicht angemessen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist auch nicht angemessen, alles gutzureden oder
alles schlechtzureden. Wenn man der einen Seite zugehört
hat, hätte man meinen können, alles sei wunderbar.
Wenn man der anderen Seite zugehört hat, hätte man
meinen können, alles sei ganz furchtbar und schrecklich.
Eines ist auf jeden Fall richtig: Es kann keine Entwicklung
ohne Sicherheit geben, genauso wie es keine Sicherheit
ohne Entwicklung geben kann. Insofern gehören
die beiden Komponenten zusammen. Dass die
Bundeswehr in ihrem Verantwortungsbereich einiges erreicht
hat, ist unbestritten. Wenn Sie mir nicht glauben,
dann empfehle ich Ihnen einen Blick in die Presse in der
letzten Woche. Ich zitiere als Beispiel den Stern: Man
mag es Kunduz nicht ansehen, aber es ist eine prosperierende
Stadt. Die Märkte sind voll, und in der ganzen Provinz
gehen mehr als 200 000 Kinder zur Schule im Vergleich
zu 15 000 im Jahr 2001. Eins greift in das andere.
Gibt es Kleinkredite, können Bauern neues Land urbar
machen. Gibt es Straßen, können sie ihre Produkte zu
den Märkten bringen. – Das heißt nicht, dass dort alles in
Ordnung wäre. Aber eines steht fest: Es gibt andere Gegenden
in Afghanistan, über die man das nicht sagen
kann. Insofern ist der Einsatz der Bundeswehr und der
vielen zivilen Helfer erfolgreich gewesen. Das sollten
wir nicht kleinreden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Zum Thema ziviler Aufbau möchte ich gerne sagen:
Es ist richtig, dass wir dafür finanzielle Mittel einstellen
müssen. Aber die finanziellen Mittel können nur dann
greifen, wenn wir die entsprechenden Strukturen vor Ort
haben. Was nutzen uns mehr Mittel für den Aufbau von
Polizei, Armee und Rechtsstaatlichkeit, wenn wir dafür
keine Strukturen haben? Beides muss Hand in Hand gehen.
Natürlich ist es auch richtig, die Nachbarstaaten einzubinden.
Es kann keine Befriedung Afghanistans ohne
Pakistan geben. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Verantwortung
in der Region gewachsen ist. Aber ich will an
dieser Stelle klar sagen: Das ist nichts, was der deutsche
Außenminister verantworten und von sich aus verordnen
kann; das geht nicht. Wir müssen ein Bewusstsein dafür
schaffen, dass internationale und regionale Kooperationen
notwendig sind. Dass dieses Bewusstsein wächst, ist
trotz allem Negativen sicherlich ein gutes Zeichen. Das
ist nicht zuletzt auf das Engagement der Bundesregierung
zurückzuführen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diejenigen, die heute – aus welchen Gründen auch
immer – der Fortsetzung des Engagements nicht ihre Zustimmung
geben, müssen eine Alternative aufzeigen. Ich
erkenne, dass das keine ganz einfache Sache ist. Ich erkenne
auch ausdrücklich an, dass sich jeder von uns
große Gedanken darüber macht, ob er dieses Engagement
weiterhin unterstützen will oder nicht. Aber eines
ist klar – ich habe eben versucht, das deutlich zu machen
–: Es gibt eine gute deutsche Strategie. Dass die
deutsche Strategie nicht nur in Deutschland, sondern inzwischen
auch anderswo Früchte trägt, kann man daran
erkennen, dass zum Beispiel der US-amerikanische Generalstabschef
Michael Mullen gesagt hat: Ohne einen
„breiteren Ansatz“ zur Bekämpfung der Probleme und
eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Pakistan
würden „die Feinde immer nur weiterkommen“.
Nach der Auffassung Admiral Mullens sind größere ausländische
Investitionen in Afghanistan und erheblich
verstärkte Bemühungen beim Aufbau politischer Institutionen
und der Entwicklung wirtschaftlicher Stabilität
notwendig. Ein amerikanischer Generalstabschef sagt
dies vor zwei Monaten! Wenn das nicht auch ein Umdenken
bei anderen Verbündeten bewirkt, die das vielleicht
bis vor kurzem nicht so gesehen haben, weiß ich
nicht, worin der Fortschritt bestehen soll.
Ich plädiere insofern für einen nüchternen Blick auf
die Dinge. Es ist nicht alles schwarz. Es ist bei weitem
nicht alles weiß. Aber eines ist klar: Wenn wir heute
Afghanistan verlassen und dort kein Engagement mehr
zeigen, wird dieses Land im Terror versinken und unregierbar werden. All die Erfolge, die erzielt wurden – die
Schulbildung wurde verbessert; junge Frauen können
Schulen und Universitäten besuchen; die Rechtsstaatlichkeit
wurde verbessert –, werden in dem Moment verschwunden
sein, in dem wir unser Engagement ohne
eine vernünftige Lösung einstellen. Insofern gibt es gute
Gründe, nicht im Sinne von „Weiter so“, sondern im
Sinne einer Neujustierung und Prüfung – was muss anders
gemacht werden? – das Engagement auszurichten,
heute der Fortsetzung des Mandats zuzustimmen und
weiterhin daran zu arbeiten, dass diese für uns wichtige
Region befriedet und stabilisiert werden kann.
Danke sehr.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
16/10567 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan unter Führung der
NATO. Ich weise darauf hin, dass uns zu dieser Abstimmung
viele persönliche Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vorliegen.1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung,
den Antrag auf Drucksache 16/10473 anzunehmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. (...)
* Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 16/183, S. 19491-19512;
Internet: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16183.pdf
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