Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): "Wer sich bei der Abstimmung der Stimme verweigert, stärkt die Taliban"

Abschließende Debatte und Abstimmung über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes - Alle Reden

Am 16. Oktober 2008 debattierte der Bundestag abschließend über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF. Die Debatte zur 1. Lesung (am 7. Oktober) haben wir >>> hier <<< dokumentiert. Im Folgenden dokumentieren wir die ganze Debatte der 2. und 3. Lesung im Wortlaut. Es sprachen in dieser Reihenfolge:

Kritische Erklärungen aus der Friedensbewegung haben wir an anderer Stelle dokumentiert:



Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 183. Sitzung.
Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2008

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
– Drucksachen 16/10473, 16/10567 –
(...)

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Antrag der Bundesregierung (...)

Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen weiterhin je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Walter Kolbow für die SPD-Fraktion das Wort.

Walter Kolbow (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wissen alle, dass dieser Tagesordnungspunkt nicht nur in dieser Woche, sondern auch im Weiteren im Mittelpunkt unserer parlamentarischen Erörterungen und Beratungen steht, auch wenn entschuldigt die Frau Bundeskanzlerin und der Herr Außenminister heute nicht anwesend sein können.

Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Verlängerung des ISAF-Mandates mit sehr großer Mehrheit zu. Diese Entscheidung ist eindeutig, spiegelt den schwierigen Abwägungs- und Entscheidungsprozess – das versteht sich – aber nur unzureichend wider. Auch die siebte Verlängerung dieses Mandates hat sich meine Fraktion mit unserer Taskforce Afghanistan und durch intensive Fraktions-, Arbeitsgruppen- und Ausschusstätigkeit im wahrsten Sinne des Wortes erarbeitet.

(Beifall bei der SPD)

Zwingendes Argument für eine weitere Verlängerung ist zunächst sicherlich die mangelnde Alternative zur Fortführung des Engagements. Der sofortige Abzug der Bundeswehr – wie es der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke verlangt – stellt keine wirkliche Alternative dar. Dies wäre ein Wortbruch gegenüber unseren afghanischen Partnern und die Flucht aus einer gemeinsam übernommenen internationalen Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn wir gingen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann wäre dies eine Verletzung der Solidarität all denen gegenüber, die bleiben. Wir würden das Ziel aufgeben, für das wir sieben Jahre lang in Afghanistan gearbeitet haben, nämlich dem Land eine gute Zukunft zu sichern und dabei für unsere eigene Sicherheit zu sorgen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das geht nicht ohne den weiteren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Wir wissen, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten weiter viel zumuten müssen. Namens meiner Fraktion danke ich allen herzlich, die sich in Afghanistan bemühen und dort für uns sehr wichtige Aufgaben erfüllen. Dies gilt auch heute wieder besonders für die Bundeswehrangehörigen, für die das Parlament mit seiner Entsendungsentscheidung wieder und weiter große Verantwortung übernimmt. Nehmen Sie auf der Tribüne und Sie, Herr Bundesminister der Verteidigung, das bitte für unsere Fraktion mit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich denke, dass aber auch all die anderen Frauen und Männer, die mit ihrer hohen fachlichen und sozialen Kompetenz unter Entbehrungen und Risiken Hoffnungsanker und Mutmacher für die Überwindung der Gewalt und für den friedlichen Aufbau sind, diesen Dank verdienen. Über die Tätigkeit beim Wiederaufbau wird Frau Ministerin Wieczorek-Zeul berichten.

(Beifall bei der SPD)

Unser Ziel ist es, die Lebensbedingungen in Afghanistan zu verbessern, die afghanische Eigenverantwortung zu stärken und lokale Kapazitäten sowie Strukturen aufzubauen. Sicherheit, Good Governance und Entwicklung sind die Pfeiler, auf denen der erfolgreiche Wiederaufbau in Afghanistan ruhen muss. Wir wissen von unseren afghanischen Partnern, dass sie Vorsorge für ihre eigene Sicherheit zwar leisten wollen und können. Aber sie brauchen noch die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft, also unsere Hilfe. Dabei müssen sie sich darauf verlassen können, dass diese Hilfe in nächster Zeit weiter geleistet wird. Es geht um Verlässlichkeit und um Vertrauen. Deswegen ist es richtig, die ISAFMandatierung heute zu verlängern.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion verbindet mit der Zustimmung Erwartungen auf Fortsetzung und sukzessive Anpassung der strategischen Zielsetzungen der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen Regierung. Dies spiegelt sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in Ihrem Entschließungsantrag wider. Auch wir erwarten, dass wir vor dem Hintergrund der Auffassung, dass dies ein dynamisches Mandat ist, stets eine ehrliche und selbstkritische Bilanz der Leistungen, der Defizite und der Fehler sowie des internationalen und auch des deutschen Engagements vornehmen. Dass wir dazu fähig sind, beweisen der Afghanistan-Bericht der Bundesregierung und seine Fortschreibung, der Fortschrittsbericht der Taskforce meiner Fraktion unter Leitung von Detlef Dzembritzki, aber auch die Berichte der zuständigen Ressorts sowie die weitere Bereitschaft der Bundesregierung zur Evaluierung und zu künftigen Benchmarks.

Dazu gehört, dass wir den Kampf gegen Korruption, Ineffizienz und Missmanagement nicht nur auf der afghanischen Seite, sondern auch aufseiten der internationalen Gemeinschaft fortführen. Dazu gehört die Klärung von strategischem Dissens und, dass die Verpflichtung aller internationalen Truppen auf den Unterstützungsansatz gerichtet ist und wir den dezentralen Governance- Ansatz intensivieren. Das heißt, wir wollen eine nachhaltige Förderung lokaler Strukturen vornehmen, ohne die Zentralregierung zu vernachlässigen. Dazu gehören eine regionale Einbettung des Konfliktes in Afghanistan mit allen Nachbarstaaten unter besonderer Berücksichtigung des Schlüssellandes Pakistan und die weitere intensive Bekämpfung des Drogenanbaus; dies werden weitere Redner meiner Fraktion ansprechen.

Ich will abschließend in Respekt vor der Arbeit der Menschenrechtspolitiker in diesem Hause und in meiner Fraktion einen Blick auf die Situation der Menschenrechte werfen. Nach internationalem Rechtsverständnis ist es völlig unverständlich, dass dem inhaftierten Journalisten Pervez Kambakhsh die Todesstrafe droht, weil er einen Artikel über die Rechte der Frauen im Islam aus dem Internet heruntergeladen und verbreitet hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE])

Ich sage – sicherlich in Übereinstimmung mit allen hier im Hause –, dass es unverständlich ist, dass Präsident Karzai dessen mögliche Begnadigung wegen angeblich drohender Straßenrevolten immer noch ablehnt. Dies erwarten wir nicht vom Staatspräsidenten Afghanistans. Wir erwarten hier die Anwendung selbstverständlicher Menschenrechte. Diese Forderungen dürfen und müssen wir stellen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich denke, dass die Verlängerung des ISAF-Mandates auch angesichts dieses Hinweises kein Weiter-so bedeuten kann. Sie ist, wie die Bundesregierung schlüssig dargelegt hat, auf die Bedürfnisse der nächsten 14 Monate zugeschnitten. Mit all dem sorgen wir dafür, dass die Menschen – in erster Linie die Afghanen selbst – die Entwicklung in Afghanistan tatsächlich spüren, sehen und am eigenen Leib erfahren.

Der Antrag der Bundesregierung verdient die Zustimmung des Deutschen Bundestages, so wie es die SPD-Fraktion mit großer Mehrheit tun wird.

Ich danke.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion wird mit großer Mehrheit der Verlängerung des ISAF-Mandats zustimmen. Für uns sind dafür vier Gründe ausschlaggebend. Wir sind auf Bitten der afghanischen Regierung zur Unterstützung und zum Aufbau in Afghanistan. Dabei hat es in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gegeben. Dies gilt zunächst für den Bereich der Sicherheit. Ich denke daran, dass beispielsweise im Bezirk Kabul Ende August die Übergabe an einheimische Kräfte stattgefunden hat, sodass dort jetzt afghanische Kräfte allein und selbstständig für Sicherheit sorgen. Es gibt aber auch erhebliche Fortschritte im zivilen Bereich: 75 Prozent der Jungen und 35 Prozent der Mädchen gehen mittlerweile in die Schule. Wenn man weiß, dass 45 Prozent der Bevölkerung Afghanistans unter 14 Jahre alt sind, dann erkennt man, wie wichtig der Bildungsaspekt ist. Es gibt Fortschritte in Afghanistan. Es gibt eine Chance auf ein besseres Leben. Das wollen die Menschen dort. Der Fortschritt bringt Stabilität, und die Stabilität Afghanistans liegt im Sicherheitsinteresse Deutschlands. Wir hören immer wieder: Wir wollen den Aufbau, aber ohne Militär. – Das ist eine Illusion.

(Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])

Bei der Instandsetzung des Kajaki-Staudamms, der im Frühjahr 2009 ans Netz gehen und weite Teile des Landes mit Strom versorgen soll, gibt es häufig Widerstand, vor allem durch Aufständische. Weil diese Stromversorgung für große Teile des Landes wichtig ist und dieser Staudamm ein Symbol für Fortschritt und Entwicklung ist, wird dagegen vorgegangen. Deshalb gab es beim Einbau der Turbinen eine große Schießerei. Das zeigt: Aufbau in Afghanistan ist ohne militärische Absicherung derzeit nicht möglich. Auch deshalb stimmen wir dem Antrag zu.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die terroristischen Aktivitäten sind zurückgedrängt worden. Natürlich gibt es immer noch terroristische Aktivitäten; es gibt immer noch Ausbildungscamps in der Grenzregion zu Pakistan. Die FDP-Bundestagsfraktion ist überzeugt: Wenn wir das Land jetzt verlassen, bedeutet das, dass wir zurückgeworfen werden. Bei einem Besuch ist uns nicht nur von der afghanischen Regierung, sondern auch von der Opposition sehr klar gesagt worden: Wenn die internationale Gemeinschaft Afghanistan jetzt verlässt, dann ist Kabul morgen die Hauptstadt des Terrors. – Und das wollen wir nicht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Der Abzug – jetzt – würde alles gefährden, was bisher erreicht wurde. Diejenigen, die im Einsatz in Afghanistan ihr Leben ließen, wären umsonst gestorben. Der Abzug würde sofort zu einer Destabilisierung Afghanistans, zu einer Destabilisierung Pakistans und der ganzen Region führen und damit unmittelbar eine Verschlechterung der Sicherheitslage mit sich bringen. Deshalb sagen wir sehr deutlich: Dieser Einsatz erfolgt nicht nur, weil wir den Afghanen helfen wollen, sondern er erfolgt auch – wir stimmen dem Antrag zu –, weil er im Interesse unserer eigenen Sicherheit, weil er im Interesse der Sicherheit Deutschlands ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion ist klar. Die Grünen sind hier ohne Linie. Herr Trittin, ich möchte Sie ganz bewusst ansprechen: Sie haben hier, in diesem Haus, meine Fraktion für eine einmütig getroffene Entscheidung in anderer Sache kritisiert, weil sie nicht Ihrer Meinung entsprach.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat gesessen!)

Ich kann dazu nur sagen: Wir brauchen keine Vorträge von Ihnen über außenpolitische Handlungsfähigkeit. Die FDP ist außenpolitisch handlungsfähig. Kümmern Sie sich um Ihre eigene Fraktion! Da haben Sie genug zu tun!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ein überzeugendes Argument!)

Wenn wir mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen, hören wir immer wieder die Frage: Haben die Afghanen eigentlich ein Interesse am Wiederaufbau? Wie sieht es in der Bevölkerung aus? Ich möchte an dieser Stelle sagen: Ja, sie engagieren sich, und zwar trotz erheblicher Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind. Immer wieder kommen Stammesfürsten aus entlegenen Winkeln des Landes zur Bundeswehr und bitten um Unterstützung, beispielsweise beim Aufbau einer Schule. Je öfter das passiert, desto schlechter ist das für die Taliban und die Aufständischen. Die eigentliche Bedrohung der Taliban ist nämlich nicht das Militär, die eigentliche Bedrohung sind die Schulen, ist die Bildung.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb werden Lehrer eingeschüchtert und bedroht; es kommt sogar zu Erschießungen. Je mehr der Aufbau voranschreitet, desto größer wird die Bedrohung, und zwar nicht nur für Lehrer, sondern auch für Sprachmittler, für Landarbeiter und für Polizisten. Den höchsten Blutzoll in der Auseinandersetzung mit den Aufständischen zahlt die afghanische Polizei. Das zeigt, dass viele Afghanen bereit sind, zum Aufbau ihres eigenen Landes beizutragen. Dabei verdienen sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir verbinden mit unserer Zustimmung die Erwartung an die Bundesregierung, dass das Konzept des vernetzten Ansatzes endlich umgesetzt wird. Dabei geht es um den Wiederaufbau, nicht nur um mehr Geld, sondern um eine bessere Koordination; es geht um den Aufbau von Sicherheitsstrukturen in Afghanistan. An dieser Stelle sagen wir der Bundesregierung sehr deutlich: Wir erwarten, dass über die Polizeiausbildung nicht nur geredet wird, sondern dass Sie wirklich etwas tun. Es nützt überhaupt nichts, wenn Sie in dieser Woche bereits zum vierten Mal öffentlich erklären, dass in Masar-i-Scharif eine Polizeiausbildungsschule eröffnet wird. Den Worten müssen Taten folgen. Es ist entscheidend wichtig, dass es jetzt beim Aufbau der Sicherheitsstrukturen besser und schneller vorangeht.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich möchte an dieser Stelle allen Dank sagen, die sich engagieren: den Entwicklungshelfern, den Diplomaten, den Polizisten und den Soldatinnen und Soldaten. Sie machen im Einsatz für die Sicherheit Deutschlands eine exzellente Arbeit unter Gefahr für Leib und Leben. Das verdient Dank und Anerkennung aller in diesem Haus. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des ISAF-Mandats. Aber von der Mammutaufgabe, Afghanistan zu stabilisieren, kann das Militär, also auch die Bundeswehr, nur 20 Prozent übernehmen. Die restlichen 80 Prozent müssen durch zivile Anstrengungen erreicht werden. Gerade beim zivilen Teil, beim Aufbau des Landes, müssen wir viele Rückschläge hinnehmen. Zudem hat die Korruption ein enormes Ausmaß erreicht. Die Drogenwirtschaft floriert. Das wiederum stärkt die Aufständischen und erschwert die Stabilisierung.

Wir hören zwar immer mehr Erfolgsmeldungen: Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, Strom und Krankenhäusern; Kinder, vor allem Mädchen, in den Schulen; Studentinnen an den Universitäten. Aber die guten Nachrichten wechseln sich mit Meldungen über wiedererstarkende Taliban ab, über hinterhältige Anschläge nicht nur gegen unsere Soldaten, sondern auch gegen Helfer von internationalen Organisationen und – wir haben es gerade gehört – gegen die Afghanen, die mit dem Westen zusammenarbeiten, zum Beispiel afghanische Lehrer oder Polizisten. Es gibt Warnungen vor einer Abwärtsspirale oder gar vor einem Scheitern.

Das hat bei vielen Zweifel an unserem Einsatz in Afghanistan ausgelöst. 70 Prozent der Bevölkerung lehnen den Einsatz ab, das ist eine katastrophale Zahl. Sie macht deutlich, wie schwierig es ist, die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Einsatzes zu überzeugen und ihr die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung zu vermitteln. Dennoch werden wir das ISAF-Mandat heute verlängern und wohl noch einige Jahre verlängern müssen. Unsere Soldaten, die sich dieser gefährlichen Aufgabe stellen, verdienen dabei unsere besondere Würdigung; der Dank gilt ebenso ihren Familien.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Angesichts der Zweifel und Widerstände ist es bequem, aber in keinster Weise verantwortungsvoll, den Einsatz abzulehnen oder sich, wie die meisten Grünen, zu enthalten, erst recht nicht gegenüber unseren Soldaten im Einsatz, die Sie noch in der letzten Wahlperiode in Ihrer eigenen Regierungszeit dorthin entsandt haben. Ihr Auftrag von damals hat sich doch heute nicht verändert. Der Einsatz unserer Soldaten darf nicht von den Stimmungsschwankungen der grünen Basis abhängen. Die Bundeswehr ist keine Parteitagsarmee.

Ich anerkenne deshalb umso mehr, dass sich die Mehrheit hier im Hause darin einig ist, dass erstens die deutsche Sicherheitspolitik die Probleme vor Ort zu lösen versucht, bevor sie unser Land erreichen, und dass zweitens die Reaktion auf die schlechten Nachrichten aus Afghanistan nicht etwa ein Rückzug sein kann. Vielmehr können wir den Rückschlägen nur entgegensteuern, wenn alle Beteiligten ihre Anstrengungen verstärken, noch zielgerechter anpassen und das Konzept der vernetzten Sicherheit, wie wir es in unserer Sicherheitsstrategie vorgeschlagen haben, konsequent umsetzen.

Es ist richtig, dass die Bundesregierung in ihrem aktualisierten Afghanistan-Konzept ankündigt, auch ihr ziviles Engagement zu verstärken. Wir sollten uns dabei vorrangig auf drei Probleme fokussieren: Wir sollten erstens Alternativen zum Schlafmohnanbau schaffen, um die Drogenwirtschaft und die Drogenkriminalität abzubauen, zweitens die Korruption eindämmen und die Regierungsführung verbessern und drittens Pakistan stärker in die Bekämpfung der Aufständischen einbinden.

Ich hoffe, dass die zusätzlichen 70 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte helfen, die Wiederaufbauerfolge für die Menschen in Afghanistan schneller sichtbar zu machen und Alternativen zum Opiumanbau zu schaffen. Die Bekämpfung der Drogenwirtschaft ist und bleibt primär die Aufgabe der afghanischen Sicherheitskräfte. Dabei müssen wir sie unterstützen. Im Norden gibt es bereits viele drogenfreie Gebiete; am größten ist das Problem im Süden. Wenn die dort eingesetzten NATOPartner von mehr Rauschgifttransporten, Laboren oder Aktivitäten von Drogenbaronen wissen, als die neu ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte bekämpfen können, dann ist es richtig, wenn sie zusätzlich einige Operationen selbst durchführen. Dabei müssen sie den schwierigen Balanceakt vollbringen, die afghanische Eigenverantwortung trotzdem weiter zu fördern und mit ihren Aktivitäten nicht die Bevölkerung gegen sich aufzubringen.

Zugleich möchte ich daran erinnern, dass wir die unterstützende Rolle der Bundeswehr bei der Drogenbekämpfung im Mandat detailliert definiert haben. Erstens: Unterstützung der afghanischen Streitkräfte durch Bereitstellung und Austausch von Informationen über Drogenaktivitäten, die bei Routineoperationen gewonnen werden; zweitens: Unterstützung durch logistische und medizinische Hilfe; drittens: Unterstützung bei Zufallsfunden der Drogenkriminalität. Hier kann die Bundeswehr im Zusammenwirken mit den afghanischen Behörden auch unter Einsatz von Zwang Sicherungsmaßnahmen vornehmen.

Wir unterstützen, dass die Bundesregierung beim Aufbau der afghanischen Justiz mehr tun will. Ein funktionierendes Rechtssystem ist der Schlüssel zur Drogenbekämpfung. Das Gleiche gilt für die Bekämpfung der Korruption.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Bei der Reform des Sicherheitssektors sind die Steigerung der Qualität der landesweiten Regierungsführung und der Aufbau eines Rechtsstaats die zentralen Ziele, auf die wir alle Anstrengungen konzentrieren müssen. Wir unterstützen ebenfalls, dass die Bundesregierung sowohl für die EU-Mission als auch bilateral mehr Polizeiausbilder nach Afghanistan entsendet. Ich wünsche mir, dass wir nicht nur beim Polizeiaufbau, sondern bei allem, was wir zum Aufbau Afghanistans beitragen, noch schneller, unbürokratischer und beherzter handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Afghanistan läuft uns die Zeit weg. Deswegen ist jeder zusätzliche Helfer, ob Polizist oder Experte für Rechtsstaat, Landwirtschaft, Gesundheitswesen oder Erziehung, höchst willkommen. Wenn wir militärisch nicht mehr machen können, müssen wir mehr Softpower zur Verfügung stellen. Ich sage das in Kenntnis unserer begrenzten Kapazitäten. Deshalb muss es doch als Erstes darum gehen, die vorhandenen Fähigkeiten noch gezielter einzusetzen und die vorhandenen Reibungsverluste auszuräumen. Hier kann noch einiges verbessert werden!

Zu mehr Konsequenz gehört auch, dass wir den regionalen Ansatz weiterverfolgen. Wir haben Afghanistan zu lange isoliert betrachtet. Dabei ist Pakistan in seinem Grenzgebiet durch die dort agierenden Taliban und al- Qaida genauso bedroht wie Afghanistan. Mit der neuen Regierung Zardari besteht die Möglichkeit, die Kooperation bei der Bekämpfung der Aufständischen zu verstärken und damit die Grenzregion sicherer für Entwicklungsprojekte zu machen.

Wenn wir also gemeinsam mit den über 40 Bündnispartnern in den Vereinten Nationen, in der EU, in der NATO und mit der afghanischen Regierung selbst in Afghanistan koordinierter, lernfähiger, unbürokratischer, konsequenter und beherzter handeln, dann erhöht das nicht nur die Aussichten auf Erfolg, sondern auch die Akzeptanz für diesen Einsatz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

In diesem Sinne möchte ich zum Schluss ein Vorhaben des Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung besonders betonen, nämlich dass die Bundesregierung – so wörtlich – der Öffentlichkeit die Notwendigkeit des Einsatzes aktiv vermitteln wird. Wir Parlamentarier stellen uns der schwierigen Aufgabe, der Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz zu erklären, nicht nur in unseren Wahlkreisen. Dabei können wir die Unterstützung der gesamten Bundesregierung sehr gut gebrauchen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Paul Schäfer, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die NATO steht in Afghanistan nicht vor dem Scheitern. Sehen wir uns die Lage an: Sieben Jahre nach Kriegsbeginn hat sich die Sicherheitslage immer weiter verschärft. An circa 27 von 31 Tagen wehen die Fahnen im Camp Marmal, dem Bundeswehrcamp, auf Halbmast, weil ISAF wieder Leute verloren hat. Inzwischen beurteilt eine Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans die Sicherheitslage, wie die NATO selber ermittelt hat, als eher schlecht bis schlecht, was auch damit zu tun hat, dass die Zahl der zivilen Opfer weiter steigt. Die Entfremdung zwischen einem wachsenden Teil der Bevölkerung und einer Regierung, die sich in Kabul buchstäblich eingemauert hat – ich habe es gesehen –, wächst. Wenn man sich das klarmacht, dann muss man zum Schluss kommen: Die NATO-Mission am Hindukusch ist gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Zur ungeschminkten Wahrheit gehört: Die Zahl der NATO/ISAF-Truppen ist von 32 000 Soldaten am Ende des Jahres 2006 auf inzwischen 53 000 Soldaten gestiegen. Die Gewalt hat aber nicht ab-, sondern zugenommen. Die Zahl der Luftwaffeneinsätze mit Bombenabwurf im Rahmen von OEF ist – hören Sie jetzt gut zu – von 176 im Jahre 2005 auf 1 770 im Jahre 2006 und auf 3 247 im Jahre 2007 gestiegen; die Air Force hat darüber berichtet.

Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb die Kommandeure und Soldaten vor Ort mit unserer abstrakten Diskussion, ob in Afghanistan ein Krieg stattfindet bzw. ob sich die NATO in einem Kriegseinsatz befindet, nichts anfangen können. Bei ihnen hat sich längst der Begriff „Insurgenten“, Aufständische, durchgesetzt. Sie wissen, dass sie mitten in einer militärischen Aufstandsbekämpfung sind. Dabei hat man aber verdammt schlechte Karten, weil die Aufständischen nicht gewinnen müssen und die NATO nicht gewinnen kann. Die Frage ist nicht: Sollten wir gehen, wenn es schwierig wird?

Die Linke war von vornherein gegen diesen Einsatz. Aber selbst nach Ihrer Logik muss doch jetzt gelten: Wenn man sich in einer solchen Sackgasse befindet, dann muss man umkehren und einen neuen Weg einschlagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Nun wird gesagt: Wir sind dabei. Es gibt ja kein „Weiter so“. Wir haben eine neue Strategie. – Die Grünen und die FDP setzen darauf ihre Hoffnung. Es stimmt, dass die Mittel für den Polizeiaufbau und für den Zivilaufbau in nicht unbeträchtlichem Umfang aufgestockt werden; das habe auch ich gesehen. Dennoch bezweifle ich, dass ein grundlegender Strategiewechsel stattfindet. Als ein britischer General gesagt hat, man könne militärisch nicht gewinnen, hat sich prompt der kommandierende US-General zu Wort gemeldet und gesagt: Nein, wir können sehr wohl obsiegen. – Das ist nicht nur Rhetorik. Das zeigt sich an der Tatsache, dass die USA eine Aufstockung ihrer Truppen um 20 000 Soldaten in den nächsten zwei Jahren planen. Die Ausweitung der Kampfzone nach Pakistan ist ein weiteres Indiz.

Ich ziehe das Fazit: Der Militäreinsatz wird erheblich intensiviert, in der vagen Hoffnung, dadurch das Blatt wenden zu können. Das gilt leider auch für die Bundeswehr.

Selbst wenn man unterstellt, dass der Einsatz im Norden bisher einen ganz anderen Charakter als die harten Kämpfe im Süden und im Osten hatte, ist festzustellen: Die Intensität des deutschen Militäreinsatzes nimmt immer weiter zu: Tornados, schnelle Eingreiftruppen, Anhebung der Obergrenze und jetzt AWACS. Wir sind genauso auf der Rutschbahn gelandet wie die anderen. Aber ein Mehr an Falschem kann nicht zu Richtigem führen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ich sage Ihnen noch eines: Diese Doppelstrategie wird nicht funktionieren. Mehr Entwicklungshilfe und mehr Infanterie bzw. Luftwaffe, das passt nicht zusammen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Afghaninnen und Afghanen. Das klingt zwar platt, ist aber so. In diesem Zusammenhang muss leider auch gesagt werden, dass Sie die Sünden der Vergangenheit nicht loswerden. Wenn man eine Art Protektorat aufbaut und auf eine zentralistische Staatsführung setzt – Hauptsache loyal –, dann hat das in der Regel zwei Konsequenzen: Erstens züchtet man die Korruption auf diese Art und Weise erst richtig – Kai Eide hat bei unserem Gespräch in Kabul keinen Zweifel daran gelassen, dass es damit zu tun hat –, und zweitens blockiert man den langwierigeren, aber nachhaltigen Staatsaufbau von unten, bei dem die Menschen Staatlichkeit vor Ort positiv erfahren können. Das ist genau die Fehlentwicklung, mit der wir zu tun haben.

Nun scheint zum Glück die Anzahl der Afghaninnen und Afghanen zu wachsen, die sagen: Wir haben genug vom Krieg, und wir müssen jetzt unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen. – Davon zeugt die Friedens- Jirga-Bewegung, die von paschtunischen Stammesführern ausgegangen ist und die versucht, mit den Menschen in den Dörfern zu reden. Das ist der Ansatz der Selbstbestimmung, den wir nachdrücklich fördern müssen. Eine andere Perspektive gibt es nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Meine Damen und Herren, der britische General Carleton-Smith hat etwas sehr Richtiges gesagt: Wir müssen davon wegkommen, die Dinge mit den Gewehrläufen zu regeln, die durch Verhandlungen geregelt werden müssen. – Der Mann hat recht. Die Sprache der Gewehre muss jetzt durch die Sprache der Diplomatie ersetzt werden. Das heißt, alle Kräfte müssen auf eine politische Konfliktlösung konzentriert werden, und man muss diesen Prozess – man sagt ja, dass in Mekka lediglich Smalltalk-Gespräche stattfinden, aber es ist doch mehr – von außen fördern und Wege zu einem nationalen Aussöhnungsprozess öffnen.

Dabei steht für uns eines fest: Der Abzug der NATOTruppen wird nicht am Ende eines solchen Prozesses stehen. Er ist eine Vorbedingung dafür. Darüber müssen Sie nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ohne den unverzüglichen Beginn eines geordneten Rückzugs und ohne eine konkrete Abzugsperspektive wird der Frieden nicht zu erreichen sein. Wir können damit beginnen, indem wir den Antrag, das Mandat für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan zu verlängern, ablehnen. Und das sollten wir dann auch tun. Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Paul Schäfer, es ist ein Irrtum, zu glauben: Wenn man die von den Vereinten Nationen beauftragten Truppen zur Unterstützung der gewählten afghanischen Regierung – über das diskutieren wir hier – sofort abzieht, dann führt dies zu mehr Frieden. – Ein Abzug würde ein Wiederaufleben genau jenes blutigen Bürgerkrieges bedeuten, der Afghanistan seit über 30 Jahren heimsucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Liebe Frau Homburger, ich empfehle Ihnen, sich einmal das Abstimmungsverhalten der FDP zu ISAF von 2001 bis heute anzuschauen. Dann werden Sie eine ganz gerade Linie entdecken – aber nur, wenn Sie so viel Promille im Blut haben, wie Herr Haider sie hatte.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das war wirklich voll daneben!)

Es sollte allen zu denken geben –

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Pietätlos!)

– ich weiß nicht, was daran pietätlos ist, wenn man darauf hinweist, dass man sich mit 1,8 Promille nicht hinters Steuer setzen sollte –, die hier für einen sofortigen Abzug plädieren und dafür sogar demonstrieren, dass gerade die, die dort Hilfe leisten – die Welthungerhilfe, Medica Mondiale oder die Malteser –, in einer Stellungnahme eines ganz klar gefordert haben: Sie wollen einen Vorrang für zivile Hilfe, und sie wollen eine andere Militärstrategie. Sie wollen aber, wie auch jene bei uns in der Fraktion, die mit Nein stimmen – nachzulesen ist dies in der Stellungnahme von VENRO vom 6. Oktober dieses Jahres –, keinen Abzug. Und sie haben recht damit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Aber wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind, was dann?)

Meine Damen und Herren, genauso, wie es auf der einen Seite naiv und verantwortungslos ist, jetzt sofort die deutschen Truppen aus Afghanistan abzuziehen, so ist es auf der anderen Seite fahrlässig und verantwortungslos, sich immer noch um die Beantwortung der Frage zu drücken, mit welcher Perspektive wir in Afghanistan präsent bleiben.

Peter Ramsauer hat dieser Tage gesagt, er fordere von seiner Kanzlerin eine klare Perspektive für die Beendigung dieser Militäraktion in absehbarer Zeit. Ich stimme ja nicht oft mit CSUlern überein, aber in diesem Punkt hat Peter Ramsauer recht. Die Bundeswehrsoldaten, die zivilen Helfer und die Polizisten in Afghanistan haben ein Recht darauf, zu wissen, welche Ziele sich die Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan setzt. Man kann sich dabei nicht mit dem allgemeinen Satz begnügen, dass man so lange dort bleiben wolle, bis – ich zitiere aus dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung – die afghanische Regierung selbst für ein sicheres Umfeld sorgen kann, das Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung erlaubt.

Das ist Ihre Zeitperspektive. Was machen Sie aber mit dieser Ansage, wenn die Niederländer im Jahre 2010 ihren Auftrag in Uruzgan beenden? Das wollen sie ja; dazu gibt es einen Kabinettsbeschluss. Was machen Sie 2011, wenn die Kanadier aus Kandahar abziehen und wenn zu dem Zeitpunkt genau dieses sichere Umfeld, das Sie angesprochen haben, nicht erreicht ist? Wollen Sie dann den Abzug der anderen durch weitere Aufstockungen ausgleichen, oder wollen Sie dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit nicht vielmehr endlich einmal verbindliche und überprüfbare, das heißt auch mit Zeitangaben versehene, Zielvereinbarungen darüber vorlegen, was Deutschland in Afghanistan erreichen will? Daran fehlt es doch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen keine Durchhalteparolen. Wir erwarten von Ihnen lediglich ein realistisches Lagebild und einen Stufenplan dafür, in welchen Schritten die Verantwortung an die Afghanen übergeben werden soll. Ich sage Ihnen auch: Die Zögerlichkeiten im zivilen Aufbau müssen endlich beseitigt werden.

Es stimmt: Es kommt jetzt zu einer Aufstockung. Ich sage übrigens, dass diese Aufstockung des Militärs richtig ist. Ich habe kein Problem damit. Ich füge aber hinzu, dass sie in den nächsten 14 Monaten 200 Millionen Euro kosten wird. Wenn Sie die Zahlen vergleichen – ich weiß, dass militärische Kräfte teurer als zivile sind –, dann kommen Sie zu der Feststellung, dass wir es geschafft haben – von 80 Millionen Euro im Jahre 2006 über 100 Millionen Euro im Jahre 2007 bis zu 140 Millionen Euro im nächsten Jahr –, außerordentlich „bescheidene“ Steigerungsraten zu erreichen.

Nun kann man sagen, dass mehr vielleicht gar nicht nötig ist. Sie belegen aber selber, dass mehr nötig ist; denn für das nächste Jahr stellen Sie zusätzlich zu diesen Beträgen 30 Millionen Euro für Soforthilfe zur Verfügung, um eine sich abzeichnende Hungerkatastrophe abzuwenden. Auch das ist richtig. Aber was heißt das? Das heißt, dass die Situation nach sieben Jahren so ist, dass wir akut zusätzlich Geld in die Hand nehmen müssen, um eine Hungerkatastrophe abzuwenden, und dass der Aufbau nicht in dem Ausmaß im Lande angekommen ist, wie wir alle uns das gewünscht und gemeinsam vorgenommen haben. Daraus muss man an einem solchen Tag doch einmal eine Konsequenz ziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])

Das ist der Grund dafür, dass die Akzeptanz der internationalen Präsenz vom letzten bis zu diesem Jahr geringer geworden ist.

Ich kann Ihnen ein anderes Beispiel nennen, den Polizeiaufbau. In diesem Bereich hat Deutschland die Führung. Schauen Sie sich die Zahlen an: Die USA geben für den Polizeiaufbau 800 Millionen Dollar aus, während Deutschland 36 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Zählen wir die 9,9 Millionen Euro hinzu, die in das EU-Projekt fließen, dann ist das gegenüber dem, was die USA tun, noch immer vergleichsweise wenig. Selbst den eigenen Ansprüchen werden Sie nicht gerecht. Sie haben 60 Polizisten für EUPOL zugesagt; es sind 33 vor Ort. Sie haben 100 Kurzzeittrainer zugesagt; es sind 40 vor Ort. Das größte Kontingent für die Polizeiausbildung stellen noch immer die Soldaten, nämlich 45 Feldjäger. Ich kann mich bei diesen Soldaten nur bedanken, weil sie das Versagen von Herrn Schäuble an dieser Stelle ausgleichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie gleichen im Übrigen – diese Bemerkung sei mir erlaubt – auch das Versagen Bayerns aus, das es bis heute nicht geschafft hat, einen einzigen Polizisten nach Afghanistan zu schicken. Ich finde, auch damit sollte sich der Freistaat beschäftigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schließlich müssen wir uns sehr ernsthaft mit der Sicherheitslage beschäftigen. Seit zwei Jahren diskutieren wir in diesem Hause darüber, wie wir den Schutz der Zivilbevölkerung endlich sicherstellen können. Sie, Herr Jung, haben uns in der Debatte um den letzten Einsatz erklärt, dass es neue Einsatzrichtlinien gebe, die für ISAF verbindlich und von OEF übernommen worden seien. Das Problem ist, Herr Jung – Sie haben zwar recht; für Ihren unmittelbaren Verantwortungsbereich stimmt das auch –, dass man aber in Afghanistan im Ganzen gesehen von dieser Änderung der Einsatztaktik nichts gemerkt hat.

Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der Toten in Afghanistan in 2007 so hoch war wie seit sieben Jahren nicht. Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in diesem Jahr gegenüber 2007 um 40 Prozent gestiegen ist. Es ist auch eine Tatsache, dass dieser Anstieg der Zahl ziviler Opfer zur Hälfte auf Militäraktionen von ISAF, OEF und den afghanischen Sicherheitskräften zurückgeht.

Es ist mittlerweile eine Tatsache, dass die Hälfte der Provinzen für zivile Hilfsorganisationen nicht mehr zugänglich ist. Das ist keine Polemik von Herrn Schäfer oder sonst wem. Das belegen die offiziellen Zahlen der Vereinten Nationen.

Herr Jung, ich weise darauf hin, dass auch die andere Feststellung von VENRO richtig ist – Sie haben vorhin dazu applaudiert –, die besagt, „dass ein Strategie- und Prioritätenwechsel beim deutschen und internationalen Afghanistan-Engagement nicht erfolgt ist“. Sie sind dafür. Sie haben ihn programmiert, und Sie stimmen uns in dieser Hinsicht zu. Aber tatsächlich ist dieser Strategiewechsel in Afghanistan bis heute nicht erfolgt. Das ist das Problem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt droht etwas anderes. Die verfehlte Strategie der Luftschläge und offensiven Militäraktionen droht sich auf Pakistan auszuweiten. Ich betone das ausdrücklich, obwohl und weil die Bundeswehr im Norden einen exzellenten Job macht. Sie führen dort keinen Krieg, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, sondern sie sichern dort den Aufbau ab. Das ist eine Tatsache. Dafür haben wir uns bei ihnen zu bedanken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die andere Seite der Wahrheit ist aber, dass die Stabilisierung scheitern wird, wenn beim Aufbau weiterhin gekleckert wird, statt endlich zu klotzen, liebe Heidi Wieczorek-Zeul. Sie wird auch scheitern, wenn das Desaster beim Polizeiaufbau weitere zwei Jahre anhält. Stabilisierung wird aber vor allen Dingen nur dann gelingen, wenn Afghanistan nicht weiter durch offensive Kriegsführung in der Form, wie wir sie zuletzt in Shindand – übrigens wie vor zwei Jahren – erlebt haben, destabilisiert wird. Wer erst militärisch siegen will, um dann aufzubauen, zerstört die Grundlagen für einen Aufbau und den Stabilisierungsansatz, wie ihn Deutschland über Jahre hinweg praktiziert hat. Dieser Wahrheit haben Sie sich nie gestellt.

Die Verschlechterung der Sicherheitslage zeigt, dass die Kriegsstrategie, wie sie im Süden praktiziert wird, dabei ist, die Aufbauerfolge im Norden existenziell zu gefährden. Weil es diesen Strategiewechsel nicht gegeben hat, wird die Mehrheit meiner Fraktion der in Ihrem Antrag vorgesehenen Mandatsverlängerung nicht zustimmen können. Das wird der Verantwortung nicht gerecht.

Aber umgekehrt sagen Ihnen auch diejenigen, die heute zustimmen werden, in aller Deutlichkeit: So, wie Sie es bisher praktiziert haben, können Sie im zivilen Aufbau und in der Feigheit, sich mit der verfehlten Strategie auseinanderzusetzen, nicht weitermachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

(Beifall bei der SPD)

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bürgerkrieg in Afghanistan hat 2001 geendet. Das ist sieben Jahre her; das ist eine lange Zeit. Es ist aber auch wahr, dass dies in der Entwicklung eines solchen Landes eine Zeit ist, in der man dranbleiben muss; denn der Prozess bedarf der Nachhaltigkeit.

Jürgen Trittin, wir haben einer Regierung angehört. Wir sind im Jahr 2001 gemeinsam eine Verpflichtung gegenüber der afghanischen Bevölkerung eingegangen. Wir haben gesagt: Wir stehen an eurer Seite. – Es ist schwieriger geworden; das ist richtig. Aber wir können uns nicht auf einmal zurückziehen; das geht nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Konsequenz eines Rückzugs wäre – das hat Jürgen Trittin schon gesagt; das sage ich auch an die Adresse der Linkspartei – ein Bürgerkrieg, in dem auch Frauen massakriert würden. Ich habe 2001 versprochen, dass wir an der Seite der afghanischen Frauen stehen werden und es auch bleiben. Ich stehe zu dieser Verpflichtung und fühle mich daran gebunden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Ruprecht Polenz [CDU/CSU])

Wenn ich das sagen darf: Links bedeutet aus meiner Sicht, dazu beizutragen, die Freiheitsrechte der Menschen auszuweiten, wo auch immer sie leben. Wenn das in Afghanistan geschehen soll, bedeutet das, dazu beizutragen, dass niemand, auch Frauen nicht, die entrechtet sind, massakriert wird. Links bedeutet nicht, sich herauszuhalten, sondern an der Seite der Menschen zu stehen. Das ist meine feste Überzeugung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass die Situation schwieriger geworden ist. Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen: Es hat große Fortschritte gegeben. Ich erinnere daran, dass die Kindersterblichkeit zurückgegangen ist und dass 85 Prozent der Menschen in Afghanistan Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Wir, das Entwicklungsministerium, zeigen Ihnen auf – das liegt Ihnen vor; das werden wir künftig für die ISAF-Mandatsdauer von einem Jahr bzw. 14 Monaten immer machen –, welche Erfolge beim Aufbau und welche entwicklungspolitischen Fortschritte durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan erzielt wurden. Die Bilanz kann sich sehen lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich nenne nur ein paar Punkte. Mit unserer Unterstützung ist die erste Mikrofinanzbank Afghanistans aufgebaut worden. Sie hat 13 Filialen und hat 70 000 Kredite vergeben. Das bedeutet, 70 000 Existenzen zu schaffen und zu unterstützen. Das ist wichtig und eine wunderbare Leistung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mithilfe des nationalen Solidaritätsprogramms sind über 20 000 Projekte fertiggestellt worden. 18 000 laufen noch. Diese Projekte werden von 21 000 gewählten Gemeinderäten im gesamten Land gesteuert. Die Wasserkraftwerke Mahipar und Sarobi funktionieren und geben 800 000 Menschen wieder Zugang zu stabiler Stromversorgung. Mithilfe der Provinz- und Distriktentwicklungsfonds sind allein in diesem Jahr einkommenschaffende Maßnahmen für über eine Million Menschen in den Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan durchgeführt worden. Das sind reale Fortschritte.

Jürgen Trittin, du selber weißt das doch viel besser. Es gibt 30 Geberländer für Afghanistan. Deutschland muss den Aufbau dort doch nicht allein stemmen. Es handelt sich vielmehr um eine große Gemeinschaftsaufgabe. Deshalb müssen sowohl der Wiederaufbau als auch die militärischen Aktionen im Zusammenhang gesehen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Seit fast einem Jahr unterstützt die GTZ International Services auf Bitten der Niederlande – Sie haben es angesprochen – den zivilen Wiederaufbau im Süden und versucht, Alternativen zum Mohnanbau anzubieten. Es geht um einen Beitrag zur ländlichen Entwicklung in einem Gesamtrahmen von bis zu 34 Millionen Euro. Diese Erfolge schaffen den Boden, auf dem Eigenverantwortung Wurzeln schlagen kann.

Wir haben allen Anlass, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dort Wiederaufbau leisten, seien sie aus den staatlichen Institutionen, seien sie aus Nichtregierungsorganisationen, ein herzliches Dankeschön für die Arbeit zu sagen, die sie dort leisten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben aber auch allen Anlass, den deutschen Soldatinnen und Soldaten zu danken, die in der Region, in der sie stationiert sind, ein Klima der Sicherheit schaffen sollen. Der zivile Wiederaufbau ist Voraussetzung für den Erfolg Afghanistans. Die ISAF ist die Voraussetzung für den Erfolg des Wiederaufbaus und für die politische Stabilisierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die deutschen Soldaten werden von der Bevölkerung in Afghanistan als Helfer verstanden, und ihnen wird für ihre Unterstützung von der Bevölkerung außerordentlich gedankt. Das kann jeder, der selbst im Land war, bestätigen.

Notwendig sind Fortschritte bei der Regierungsführung, im Kampf gegen Korruption und Drogenhandel und bei der Ablösung korrupter Regierungsvertreter und korrupter Polizisten. In diesem Zusammenhang möchte ich meine große Erwartung und meine Hoffnung auf den Innenminister, Herrn Athmar, setzen. Der hat einen klasse Job als Bildungsminister gemacht. Wir setzen alle Erwartungen und Hoffnungen auf ihn, dass seine Amtsführung im Sinne dessen, was ich gesagt habe, erfolgreich sein möge.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eines, was Herr Kollege Schockenhoff vorhin angesprochen hat, ist wichtig: Im Jahr 2008 sind 18 von 34 Provinzen in Afghanistan ohne Schlafmohnanbau, und zwar in der Region, in der Deutsche Wiederaufbauhilfe leisten und die deutschen ISAF-Soldaten stationiert sind. Das ist doch ein Erfolg, zu dem man weiterhin beitragen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch ein Wort – Jürgen Trittin, du hast das angesprochen – zu den Finanzen. Wir haben 30 Millionen Euro zusätzlich für die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung zur Verfügung gestellt. Was sind die Ursachen dafür? Dürre und hohe Nahrungsmittelpreise. Das ist auch in anderen Ländern so. Das hat doch nichts damit zu tun, dass wir in diesem Bereich bisher zu wenig Mittel investiert hätten. Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben diese zusätzlichen 30 Millionen Euro dem Welternährungsprogramm zur Verfügung gestellt, und wir werden auf bilateraler Ebene Nothilfemaßnahmen in Nord- und Südostafghanistan durchführen, damit die Nahrungsmittelkrise bekämpft wird und auf lokaler Ebene Beschäftigung geschaffen wird. 10 Millionen Euro werden in den Bereich der Energieversorgung und der beruflichen Bildung gehen. Das heißt, die Bundesregierung stellt allein im Bereich des zivilen Wiederaufbaus 170,7 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen humanitäre Hilfe, Nothilfe und Sondermittel des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Im Übrigen darf man nicht nur die bilateralen Mittel sehen. Wir sind Mitglied der Weltbank, die ihrerseits zusammen mit der Asiatischen Entwicklungsbank tätig ist.

Für die Zukunft Afghanistans – das haben viele von Ihnen angesprochen; diese Ansicht teile ich – ist die Stabilisierung der Nachbarregionen von besonderer Bedeutung.

Dieser Stabilisierung dient es nicht, wenn US-Militär unterschiedslos Raketenangriffe auf die sogenannten FATAs, also die Stammesgebiete an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan, durchführt und mutmaßlich Militante erschießt. Dies ist falsch und kontraproduktiv.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der pakistanische Finanzminister, mit dem ich am Rande der Weltbanktagung ein längeres Gespräch hatte, hat deutlich gesagt, er halte das für eine völlig falsche Strategie der USA. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich gerade dadurch die Bevölkerungsgruppen in den FATAs mit den Taliban solidarisieren, obwohl sie in keiner Position miteinander verbunden sind.

Wir sind im Übrigen bemüht, unser Engagement in der Northwest Frontier Province auszudehnen. Das ist unter den jetzigen Bedingungen – auch für die Durchführung – sehr schwierig. Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben das auch der pakistanischen Seite angeboten, damit die Menschen in diesen Regionen die Chance haben, zu sehen, dass der Wiederaufbau auch in ihrem Sinne vorankommt.

Ich komme zum Schluss. Ich habe der Verlängerung dieses Einsatzes im Kabinett zugestimmt, und ich tue das auch als Abgeordnete. Das Ziel ist, die Eigenverantwortung der afghanischen Seite und damit der Menschen zu stärken und ihnen Hoffnung zu geben. Dafür arbeiten wir. Ich bitte Sie, das zu unterstützen. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Hellmut Königshaus (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Fortschritte – das haben wir jetzt mehrfach gehört –, aber leider nicht genug. Wer wirklich Fortschritt will, der muss nicht nur schön reden, sondern auch entschlossen handeln, und er muss auch zurückschauen, damit er für die Zukunft weiß, wie man das Ganze vernünftig angeht. Man sollte zum Beispiel betrachten, was in der Vergangenheit versäumt wurde.

Als die Lage noch ruhig war – darüber waren wir damals alle sehr froh –, ist es versäumt worden, wirklich schnell für einen spürbaren Aufschwung und Aufbau zu sorgen. Jetzt wird es natürlich immer schwieriger. Das gilt für den Polizeiaufbau, das gilt für ein funktionierendes Justizsystem. Wir wurden und werden unserer besonderen Verantwortung dort bisher nicht gerecht. Denken Sie nur an die bereits angesprochenen Fälle wie Korruption und Drogenanbau. Der Drogenanbau geht in einigen Bereichen zurück; das ist wahr. Er geht übrigens überall dort zurück, wo sich die zuständigen Gouverneure dafür verantwortlich fühlen; aber insgesamt gibt es eben noch keinen signifikanten Rückgang. Das ist leider traurige Wahrheit.

(Beifall bei der FDP)

Es wird jetzt immer schwieriger, Aufbauarbeit zu leisten. Dabei ist das die zentrale Frage, auch bei der Lösung der Sicherheitsprobleme, die wir dort leider immer noch haben. Oberst Gertz vom Deutschen Bundeswehr- Verband hat das noch einmal deutlich gemacht: Ohne Aufbau wird sich die Sicherheitslage dauerhaft nicht verbessern lassen. Wir müssen den Teufelskreis dort endlich durchbrechen. Wir müssen mit dem Wiederaufbau endlich ernst machen. Lieber Kollege Trittin – auch ich habe mir das aufgeschrieben –, wir müssen endlich aufhören zu kleckern, wir müssen endlich klotzen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das gilt, trotz eines Aufwuchses im Entwicklungshaushalt, auch für Afghanistan. Die Koalition tut derzeit viel zu wenig.

Wir haben im Rahmen der Haushaltsberatungen versucht, an verschiedenen Stellen etwas voranzubringen. Im Auswärtigen Ausschuss wurde ein Antrag der FDP, zusätzlich 10 Millionen Euro für den Polizeiaufbau zur Verfügung zu stellen – immerhin sind wir dort eine der entscheidenden Kräfte; wir haben dort Verantwortung übernommen –, abgelehnt. Im Entwicklungsausschuss haben wir gefordert – im Übrigen in Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Zielsetzung der Grünen und auch der Linken, wenn ich das recht verstanden habe –, dass wir für den Aufbau in Afghanistan 50 Millionen Euro draufsatteln. Auch das wurde abgelehnt. Wenn wir diesen Auftrag in Afghanistan wirklich ernst nehmen, wenn wir den Zusammenhang zwischen Aufbau und militärischer Sicherheit ernst nehmen, wenn wir unsere Kräfte dort baldmöglichst wieder abziehen wollen, dann müssen wir den Aufbau voranbringen und dann müssen wir eben auch im finanziellen Bereich nicht so zurückhaltend sein, sondern noch etwas dazulegen.

Es gibt nach wie vor ein groteskes Missverhältnis zwischen den Kosten für den Militäreinsatz und den tatsächlich erbrachten Aufbauleistungen. Wir sind dort militärisch engagiert, weil wir aufbauen wollen, weil es rückwärtsgewandte Kräfte gibt, die den Aufbau verhindern wollen, und nicht umgekehrt. Deshalb gilt der alte Grundsatz, den wir Ihnen schon seit Jahren nahelegen: Je schleppender der Aufbau ist, desto länger müssen wir dort bleiben.

(Beifall bei der FDP)

Bedarf ist vorhanden. Die Aufbauhelfer, mit denen wir dort gesprochen haben, haben uns ganz dezidiert erklärt, dass sie in der Lage wären, deutlich mehr in ihren konkreten Projekten zu tun, aber auch jederzeit zusätzliche Projekte zu übernehmen. Als wir mit dem Außenminister da waren – ich habe das vor kurzem schon einmal in anderem Zusammenhang gesagt –, war mit Leichtigkeit festzustellen, welche zusätzlichen Projekte sich dort unmittelbar anbieten und auch erforderlich sind.

Die Ministerin hat eben völlig zu Recht die Dürre und die katastrophalen Folgen für die Ernährungslage angesprochen. Pläne für Staudammprojekte sind fertig, man könnte anfangen, es fehlt am Geld – im Norden, in unserem eigenen Zuständigkeitsbereich! Es gäbe Möglichkeiten, Stromverbindungen zu schaffen, um so im Westen den Großraum Herat besser zu versorgen. Viele andere Dinge mehr, Straßenbau zum Beispiel, wären noch zu nennen. Lassen Sie uns doch hier nun endlich Nägel mit Köpfen machen und die Mittel für einen entsprechenden Beitrag zur Verfügung stellen!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine positive Veränderung möchte ich ansprechen, nämlich die Sicherung unserer Aufbauhelfer. Dazu gibt es endlich ein, soweit man das beurteilen kann, wirklich tragfähiges Konzept. Anders als das bisher der Fall war, werden die Mittel für die Sicherheitskosten nunmehr getragen und müssen nicht mehr aus den eigentlichen Projektmitteln bestritten werden. Dafür vielen Dank! Das ist richtig. Das ist etwas, was unsere Aufbauhelfer dort verdient haben. Wirkliche Hilfe ist viel wichtiger als der Dank an die Aufbauhelfer, der natürlich auch sein muss und den ich hier für meine Fraktion ebenfalls gern ausspreche.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Walter Kolbow [SPD])

Nicht nur beim Aufbau haben wir bisher zu zurückhaltend agiert. Auch beim Militäreinsatz haben wir nach wie vor die alten Probleme. Die Ausrüstung ist nicht ausreichend. Fahrzeuge fehlen. Ich nenne die Frage der Hubschrauber. Herr Verteidigungsminister, das ist doch nach wie vor eine Katastrophe. Während die Chinesen in der Zeit, in der wir dort engagiert sind, ein Weltraumprogramm aus dem Boden gestampft haben und Taikonauten in den Weltraum schicken, waren der Verteidigungsminister und seine Vorgänger hier nicht in der Lage, noch zwei oder drei zusätzliche Hubschrauber dahinzuschicken. Was wir dort erleben, ist eine Katastrophe.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber Sie wollen doch alles abrüsten!)

– Wir wollen nicht abrüsten. Da irren Sie sich gewaltig, Herr von Klaeden. Was für einen Quatsch erzählen Sie denn da?

(Beifall bei der FDP)

Es gilt, jetzt wirklich ein bisschen mehr Druck zu machen. Wenn es an der Industrie liegen sollte, muss man eben deutlich machen, dass man das auf Dauer nicht akzeptieren kann.

Ich muss leider zum Ende kommen – ich sehe das Zeichen, Frau Präsidentin –, und deshalb möchte ich nur noch sagen: Es sollte aufhören, dass Leute der Bundesregierung, die dafür nicht zuständig sind, insbesondere der Außenminister, hier über die Rolle des KSK schwafeln. Das KSK hat mit dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag nichts zu tun. Das ist eine andere Frage. Aber wenn wir schon über das KSK reden, dann müssen wir uns doch darüber im Klaren sein, dass das eine Truppe mit besonderen Fähigkeiten ist, die wir möglicherweise einmal brauchen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Königshaus.

Hellmut Königshaus (FDP):

Ich komme zum Schluss. – So etwas ohne Not zur Disposition zu stellen, ist schlichtweg unverantwortlich. Das sollten Sie hier wirklich klarstellen, Herr Verteidigungsminister; denn Sie sind dafür zuständig und auch verantwortlich.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Für die CDU/CSU-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Manfred Grund (CDU/CSU):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Afghanistan-Verantwortung geht weit über die Beseitigung humanitärer Notlagen oder die militärische Absicherung der gewählten Regierung Karzai hinaus. Es ist schlichtweg die Handlungsfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft, die Handlungsfähigkeit der NATO und des Westens gegenüber Extremisten und Terroristen, die hier auf dem Prüfstand steht. Ein Versagen unsererseits hätte unabsehbare Folgen, Folgen, die sich bis vor unsere Haustür erstrecken würden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Richtig ist auch – dies wurde bereits gesagt –, dass die Taliban nicht allein mit militärischen Mitteln zu verdrängen sind. Weil wir wissen, dass es auf absehbare Zeit keinen Wiederaufbau und keine Entwicklung ohne Sicherheit gibt, ist die heutige Mandatsverlängerung für die Sicherheit und damit die Zukunft Afghanistans von so großer Bedeutung. Um unsere Soldaten aus Afghanistan wieder abziehen zu können, müssen wir an einen Punkt gelangen, an dem sich die Afghanen selber gegen die Taliban wehren, für ihre innere Sicherheit sorgen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Griff bekommen können.

Ein zentraler Punkt auf dem Weg dorthin ist die Entwicklungszusammenarbeit, die wirtschaftliche Zusammenarbeit.

So hat allein die deutsche Entwicklungsarbeit über die Investitionsagentur dazu beigetragen, dass bis Ende dieses Jahres etwa 19 000 Unternehmen mit nahezu 550 000 neuen Arbeitsplätzen entstehen können. Über Mikrofinanzierung – die Ministerin hat es bereits ausgeführt – wurden 56 Millionen Euro an 52 000 Handwerker, Gewerbetreibende, Privatpersonen und Dienstleister vergeben. Mit Darlehen zwischen 130 und 1 300 Euro wurde ihnen der Aufbau einer Existenz erleichtert. Insgesamt sind rund ein Viertel der 34 000 Kilometer ländlicher Straßen wiederhergestellt. Es können 7 Millionen junger Menschen – viele davon Mädchen – wieder in die Schule gehen. Es hat sich vieles getan, und dies wird von den Afghanen auch geschätzt.

Wir wissen um einige grundsätzliche und strukturelle Probleme, etwa den Mangel an qualifiziertem Personal in der afghanischen Verwaltung, Defizite in der Verwaltung, die den wirkungsvollen Staatsaufbau behindern, die landesweite Korruption und die Verwicklung offizieller Mandatsträger in Drogenanbau und -handel. Wir wissen auch um Probleme bei der inhaltlichen und organisatorischen Abstimmung der vielen internationalen Geber mit der afghanischen Regierung. Deshalb ist Folgendes zu tun:

Erstens. Die Kapazitäten zur Selbsthilfe sind auf afghanischer Seite auszubauen.

Zweitens. Die internationale Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit den afghanischen Regierungsstellen ist deutlich zu verbessern. Dazu gehören klare Zielvorgaben für die internationalen Geldgeber, aber auch für die Regierung Karzai. Auch könnte und sollte die Zusammenarbeit unserer deutschen Regierungsstellen enger werden.

Drittens. Wir müssen – das ist beim Kampf um die Herzen ein zentraler Punkt – unsere Mittel im zivilen Bereich noch unmittelbarer der Bevölkerung und damit den Bedürftigen zukommen lassen. Wir fangen da nicht bei null an. Es gibt sehr erfolgreiche Arbeiten und gute Ansätze, die weiterzuführen und zu stärken sind. So erhalten beim arbeitsintensiven Straßenausbau in unserem Verantwortungsbereich im Norden des Landes Arbeiter circa zwei Euro am Tag, was dort relativ viel Geld ist, für ihre sehr verantwortungsvolle Arbeit. Mit diesen Arbeiten werden bisherige Trampelpfade in entlegene Dörfer befahrbar gemacht. Damit wird den örtlichen Händlern die Möglichkeit gegeben, Zugang zu den lokalen Märkten und Dienstleistungsmärkten zu finden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben unsere finanziellen Ansätze für die Entwicklungszusammenarbeit mehrfach aufgestockt. Es ist richtig, dass wir für das nächste Jahr wieder einen bilateralen Verpflichtungsspielraum in Höhe von 70 Millionen Euro vorsehen. Diese Mittel sind so einzusetzen, dass die Bevölkerung unmittelbar etwas davon hat, also im Straßenausbau, in der Wasserversorgung und in der Energieversorgung. Diese Leistungen kommen der afghanischen Bevölkerung direkt zugute; sie werden von ihr anerkannt. Es sind Leistungen, die die Taliban nicht erbringen können und nicht erbringen wollen.

Bei der Drogenbekämpfung sind wir dann am erfolgreichsten, wenn wir die afghanischen Bauern in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt ohne Drogenanbau zu bestreiten, etwa durch die Instandsetzung der alten Bewässerungssysteme. Die entwicklungsorientierte Drogenbekämpfung muss durch Maßnahmen der aktiven Drogenbekämpfung flankiert werden. Erfolge zeigen sich – auch dies wurde zweimal gesagt – in dem von uns betreuten Norden, wo der Drogenanbau praktisch zum Erliegen gekommen ist.

Meine Damen und Herren, ohne ein stabiles Pakistan ist – das ist eben schon gesagt worden – auch nicht an ein stabiles Afghanistan zu denken. Doch angesichts der angespannten Sicherheitslage in den Grenzgebieten zu Pakistan sind Entwicklungsmaßnahmen dort schwerer umzusetzen. Wir sollten dennoch auf die dortige Lage reagieren. Wir sollten unser Engagement, auch unser ziviles, auf das benachbarte Pakistan und die dort vorhandenen sensiblen Armutsregionen ausweiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch hier geht es um Mikrofinanzierung, um Gesundheit und Bildung. Grenzüberschreitende Pilotprojekte zwischen Pakistan und Afghanistan könnten so die regionale Stabilität erhöhen. Wir können mit unserer Entwicklungszusammenarbeit auch zur Stärkung der inneren Stabilität beitragen. Dazu sollten wir den Aufbau verantwortungsvoller staatlicher Strukturen fördern. Es gilt, die bisherige Arbeit im Sozialsektor voranzubringen und durch die Arbeit von Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes die Zivilgesellschaft zu stärken.

Lassen Sie uns gemeinsam einen Ansatz für eine konzertierte, im besten Sinne grenzüberschreitende Zusammenarbeit finden! Vielen Dank allen, die kooperativ daran mitwirken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich über die große Verdrängungsleistung in dieser Debatte; denn viele Tatsachen werden einfach ausgeblendet. Ich wundere mich, dass man nicht bereit ist, einen anderen politischen Grundansatz, der nicht auf militärische Lösungen setzt, ernsthaft zu durchdenken. Ich unternehme noch einmal den Versuch, Ihnen die Friedensvorschläge der Linken darzustellen, und erwarte, dass diese Vorschläge ernsthaft diskutiert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ich nenne Ihnen auch die Bedingungen dafür. Es ist doch auffällig, dass in der ganzen Debatte nur von der Linken der Begriff „Selbstbestimmung“ in Bezug auf das afghanische Volk verwandt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Christian Carstensen [SPD]: Was? – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben doch gar keine Chance!)

Ich möchte, dass die Afghaninnen und Afghanen endlich selber bestimmen. Es ist unerträglich, dass der afghanische Präsident und die Regierung nicht einmal darüber entscheiden können, wo welche Bomben in Afghanistan abgeworfen werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

All das wird in Washington bzw. von den Militärs entschieden. Es ist unerträglich, dass der Präsident von Pakistan nicht darüber entscheiden kann, ob sein Land bombardiert wird oder nicht. Wir fordern Selbstbestimmung. Das ist der erste Ansatz.

Zweitens möchte ich, dass von der deutschen Politik der Prozess einer nationalen Versöhnung in Afghanistan gefördert wird. Auf diesen Prozess muss man bauen. Ich halte die Friedens-Jirga für einen ganz bedeutenden Fortschritt; denn so versuchen die Afghaninnen und Afghanen, ihre Probleme selber zu lösen. Ich denke, es wäre sinnvoll, eine Politik zu machen, die bereits im nächsten Jahr Waffenstillstandsvereinbarungen ermöglicht, damit die Waffen in Afghanistan endlich schweigen. Darüber muss ernsthaft verhandelt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Waffenstillstand wäre ein denkbarer nächster Schritt, wenn man ernsthaft in dieser Richtung vorgehen will. (Zuruf von der SPD: Wer hat denn was dagegen?) Interessant war, dass niemand von Ihnen den Mekka- Prozess hier erwähnt hat. Auch der Außenminister spricht nicht darüber. Im Ausschuss sagte er, er müsse telefonieren, um zu erfahren, was dort los sei. Sie sind in keinem Friedensprozess richtig verankert und täuschen das Parlament mit Ihren Aussagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: An diesem Platz hat Herr Steinmeier darüber geredet!)

– Das beweise ich Ihnen.

In das Waffenstillstandspaket gehört, dass Fortschritte in Afghanistan festgeschrieben und gesichert werden. Dazu gehören Bildung, Frauenrechte, Rechtstaatlichkeit und Polizeiaufbau, der Aufbau einer nicht korrupten Polizei, die dann auch besser bezahlt werden kann. Es ist Unsinn, wenn Sie hier behaupten, dass zur Absicherung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen Militär unbedingt notwendig sei. Indien hat 3 000 Entwicklungshelfer nach Afghanistan entsandt, aber keinen einzigen Militär. Die indische Regierung hat uns immer gesagt, dass der Einsatz von Militär den Einsatz der Entwicklungshelfer eher gefährdet als erleichtert.

(Beifall bei der LINKEN)

Also, Bildung, Frauenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Polizeiaufbau. Wenn man diese Wege geht, muss drittens eine Hilfe für eine andere Ökonomie in Afghanistan dazugehören. In Afghanistan braucht man Infrastrukturhilfe. Die Afghaninnen und Afghanen sagen aber immer auch, dass sie gern selbst darüber entscheiden möchten, welches Projekt umgesetzt und welches Projekt nicht umgesetzt wird. Auch in diesem Fall entsteht der Eindruck, dass die eigentlichen Entscheidungen im Ausland, aber nicht in Afghanistan selbst fallen. Deshalb muss man eine andere Ökonomie durchsetzen, die wegführt von der Drogenökonomie. Wenn erst einmal ein Krieg gegen Drogen geführt wird, wenn Sie glauben, das Problem durch das Abbrennen der Drogenfelder zu lösen, dann schaffen Sie sich noch ganz andere Probleme an den Hals.

Dieser Prozess muss in eine regionale Sicherheitskonferenz und in regionale Sicherheitsstrukturen eingebaut werden. Es ist notwendig, dass man in der UNO dafür wirbt. Es wäre interessant – Sie haben diese Idee ebenfalls vertreten, Kollege Erler –, zu erfahren, was Deutschland in diese Richtung unternehmen will. Ohne die Zusammenarbeit mit Pakistan – die Destabilisierung Pakistans geht auch vom Krieg in Afghanistan aus –, ohne eine Stabilisierung Pakistans, ohne Krieg und Bombenangriffe, ohne eine Kooperation mit Indien, ohne eine Kooperation mit Iran – der Iran ist wichtig für diese Zusammenarbeit –, ohne dass man die Schanghai- Gruppe mit China und Russland in diesen Prozess einbezieht, schafft man keine Stabilisierung in der Region. Das ist Politik. Politik ist aber nicht gleichzusetzen mit Militär.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Das sind die Wege, die gegangen werden können. Wenn Sie aber aus der Logik des Militärischen nicht herauskommen, dann wird eine andere Logik Raum greifen. Die Spirale ist doch: mehr Militär, mehr der Eindruck der Besatzung in Afghanistan, mehr Widerstand, und dann kommen Sie wieder mit der Forderung nach mehr Militär.

Deutschland stellt einen Teil der NATO-Truppen in Afghanistan. Somit verantwortet Deutschland auch die Gesamtpolitik der NATO in Afghanistan. Diese Spirale muss man durchbrechen. Das kann man nur mit Politik, aber nicht dadurch, dass man immer mehr Soldaten schickt. Das ist das, was jetzt getan werden kann. Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rainer Arnold von der SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Gehrcke, während Ihrer Rede musste ich manchmal auf die Uhr schauen, weil ich das Gefühl hatte, dass es nicht 16 Uhr, sondern dass es schon Geisterstunde ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie zeichnen ein Bild, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Als ob wir nicht wüssten, dass Bildung und Aufbau zentral sind. Wir bemühen uns doch jeden Tag darum. Zudem lügen Sie, wenn Sie sagen, Frank-Walter Steinmeier hätte nichts zu den Verhandlungen gesagt. Von hier aus hat er in seiner letzten Rede zu diesem Thema gesprochen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Lesen Sie doch die Rede nach!)

Lesen Sie doch einmal das ISAF-Mandat. Dort heißt es, dass wir in Afghanistan sind, um die Afghanen zu unterstützen. Das ist alles festgeschrieben, und so verstehen wir diesen Auftrag.

Der Unterschied besteht darin, dass Sie versuchen, den Menschen einzureden, dass in Afghanistan einfach alles gut wird, wenn die europäischen und amerikanischen Soldaten gehen. Das ist naiv. Sie könnten als Linke genauso gut beschließen, dass der Himmel grün sei. Der Himmel wird aber nicht grün, wenn Sie das beschließen. Die Welt ist nun einmal anders.

Es lohnt sich, die Art und Weise zu betrachten, wie Ihre Partei mit diesem Thema umgeht. In diesem Hohen Hause sitzen viele Kolleginnen und Kollegen, die in Afghanistan waren. Ich glaube, alle führenden Politiker der Parteien haben sich dieser Mühe unterzogen. Die beiden politischen „Vorderlader“ Ihrer Fraktion jedoch waren nie in Afghanistan. Dies zeigt, dass Ihnen die Menschen in Afghanistan, um die es geht, ziemlich egal sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt auch, dass es sehr bequem ist, am warmen Schreibtisch in Deutschland Anträge zu Afghanistan zu schreiben, während man die Wirklichkeit in Afghanistan gar nicht kennenlernen will. Es könnte ja sein, dass man dabei etwas lernt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordenten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt außerdem, welches Bild Sie von den Soldaten haben. Die Soldaten verstehen das Signal, das Sie ihnen senden, dass Sie sich nicht um ihren Einsatz kümmern. Nein, in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik darf eine Opposition selbstverständlich die Regierung kritisieren und anderer Meinung sein.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Großzügig!)

Aber in der Geschichte unseres Landes hat sich eine Opposition in einer ernsten und schwierigen Situation nie so billig und schändlich aus einem Minimum an Verantwortung, die wir alle als Demokraten spüren sollten, gestohlen, wie es die Linken bei diesem Thema tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich zu Wichtigerem kommen, zu Fragen der Strategie; dazu wurde schon sehr viel gesagt. Natürlich wird die Strategie in vielen Konferenzen ständig nachjustiert. Natürlich braucht man sie nicht neu zu erfinden. Es wurde schon deutlich, was konsequenter gemacht werden muss. Man muss das, was man in Afghanistan erkannt hat, entschlossen tun. Das ist eines der Probleme.

Ich möchte zwei Bereiche ansprechen, von denen ich glaube, dass man weiterdenken muss. Wir reden zum einen davon, dass der zivile Aufbau zu schleppend ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir da einen falschen Maßstab anlegen. In Deutschland kann sich niemand mehr vorstellen, dass in Afghanistan der Brunnen für die Familie, das Dach und die Heizung für eine Schule oder eine Hebamme, die das Leben eines Kindes rettet, ein ungeheurer Fortschritt sind. Wir sollten dieses Land nicht an uns messen, sondern an anderen bettelarmen Ländern. Im Vergleich zum Sudan, zum Kongo, zu Somalia und vielen anderen geht es in Afghanistan voran. Dies ist die Orientierung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten zum anderen daran denken, dass es vor wenigen Monaten einen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker gab, der, als er aus Afghanistan zurückgekommen ist, gesagt hat: Man muss natürlich auch verhandeln, und zwar an der Spitze der Regierung, aber auch draußen, dezentral, bei den PRTs. – Über ihn ist Häme und Spott ausgeschüttet worden. Heute, vor einer Stunde, hat der amerikanische General Petraeus genau dies gefordert. Dies ist natürlich ein notwendiger und richtiger Weg. Um auf diese Idee zu kommen, brauchen wir überhaupt keine Linke in diesem Bereich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ihr seid oberschlau!)

Ich bekenne mich dazu, dass ich nicht alles über Afghanistan weiß und in zwei Punkten immer wieder mit mir ringe. Ich glaube, das geht vielen so. Die erste Frage ist: Haben wir noch die richtige Antwort auf diese ernste Situation im Norden, in der Provinz Kunduz? Das ist ein Thema, das uns beschäftigen muss. Ich weiß nicht, ob die deutsche Vorgehensweise ausreichend ist. Ich bin sehr dafür, dass die deutschen Soldaten vorsichtig und besonnen sind. Das macht sie stark. Aber ich habe manchmal die Sorge, dass wir zu oft fragen: Was wollen wir, was dürfen wir? Ich glaube, wir müssten häufiger fragen: Was hilft in dieser Situation? Ich wünsche mir – das sage ich mit Blick auf die militärische Führung –, dass die Soldaten, die Erfahrungen vor Ort haben, die besonnen sind und ihre Einschätzungen nach Deutschland tragen, von der militärischen Führung ernst genommen werden und ihr Rat abgewogen wird und in die weitere Strategie einfließt.

Das Zweite, wovon ich meine, dass wir darüber nachdenken müssen, ist ein Thema, das hier schon angesprochen worden ist: der Faktor Zeit. Wir alle sagen: Wir brauchen Geduld. Gleichzeitig spüren wir in der deutschen Debatte ebenso wie in Afghanistan: Die Zeit läuft uns in Afghanistan davon. Wenn dies so ist, ist es schlüssig, dass wir jetzt mehr tun müssen – dies gilt auch für die 1 000 Soldaten –, damit wir dieses Mandat eines Tages so verändern können, dass die deutschen Soldaten nicht in erster Linie draußen für Stabilität sorgen müssen, sondern dass sie zunehmend, Schritt für Schritt, in eine Assistentenfunktion für die afghanischen Sicherheitsorgane kommen. Das ist etwas ganz Wichtiges. Herr Kollege Trittin, an einem Punkt machen Sie einen Fehler. Den Faktor Zeit sozusagen einem Gleis gleichzusetzen und einen Bahnhof zu definieren, an dem man anhalten muss, kann nicht funktionieren. Ich glaube schon, dass es richtig ist, ein grobes Ziel zu definieren. Es lautet, Stabilität zu schaffen, Terror zurückzudrängen und gleichzeitig afghanische Sicherheitsorgane aufzubauen, damit sie selbst damit umgehen können. Es ist richtig: Die Regierung wird Evaluierungsberichte vorlegen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie noch nie gemacht! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber neu, Herr Arnold!)

– Die Regierung hat zugesagt, dass zukünftig jedes Jahr ein solcher Bericht erstellt wird. Das begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die einzelnen Etappen muss man prüfen. Man kann sie aber nicht mit einem Datum versehen. Herr Trittin, ich möchte an die drei Länder Norwegen, Kanada und Niederlande erinnern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Arnold, darf ich Sie an Ihre Zeit erinnern?

Rainer Arnold (SPD):

– Ich komme sofort zum Ende. – Die Niederländer zum Beispiel, die eine Armee von 46 000 Soldaten haben, sind mit 1 700 Soldaten in Afghanistan. Das halten sie nicht auf Dauer durch. Ich glaube, Deutschland muss sich an Frankreich und Großbritannien orientieren, aber da wird die Sache eben kompliziert.

Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Wir alle wissen, dass es um deutsche Interessen der Stabilität und der Sicherheit geht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Arnold!

Rainer Arnold (SPD):

Ich bin fertig.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Danke schön.

Rainer Arnold (SPD):

Es geht auch um die Menschen in Afghanistan.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Arnold!

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Rainer Arnold (SPD):

Wir sehen, dass der Erfolg die Mühen und Anstrengungen der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Aufbauhelfer, die hohe Risiken eingehen, wert ist. Wir unterstützen sie auch in Zukunft. Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tribüne sitzen Soldaten der Luftlandeaufklärungskompanie 260 aus Zweibrücken, die in Afghanistan im Einsatz waren und diese Debatte sicher mit großem Interesse verfolgen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ISAF-Mandat, wie es heute zur Abstimmung steht, unterscheidet sich in mehreren Punkten von dem bisherigen: Es ist auf 14 statt auf 12 Monate angelegt; das Kontingent umfasst 4 500 statt wie bisher 3 500 Soldatinnen und Soldaten, darunter auch Kräfte, die im Süden Afghanistans eingesetzt sind, nämlich unsere Fernmelder in Kandahar.

Es ist schon oft gesagt worden, dass es auch im siebten Jahr des Afghanistan-Einsatzes Licht und Schatten gibt. Es ist nicht entscheidend, ob wir den Einsatz als Stabilisierungs- oder als Kampfeinsatz bezeichnen. Wichtig ist, wie der Einsatz von der afghanischen Bevölkerung, von unseren Bürgerinnen und Bürgern hier im Land, aber auch von den Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan wahrgenommen und erlebt wird. Zu einem realistischen Umgang gehört – daran muss man auch hier erinnern; es ist bereits gesagt worden –, dass Probleme, Gefahren und Risiken angesprochen werden: schleppender Aufbau, Korruption, Drogen, nichtkooperative Nachbarländer. Es geht darum, Chancen und Risiken beim Namen zu nennen, aber auch darum, bereits erzielte Erfolge nicht kleinzureden.

Ich glaube, dass wir uns manchmal fragen müssen: Führen wir hier in Deutschland, auch hier im Parlament, die richtigen Diskussionen, die richtigen Debatten, wenn wir operative Details des Einsatzes in den Mittelpunkt stellen? Wir erwarten und fordern regelmäßig, wie ich meine, zu Recht eine verantwortliche militärische Führung vor Ort. Dann müssen wir aber auch darauf vertrauen, dass diese Führung die richtigen Entscheidungen trifft. Das haben unsere Soldaten und ihre verantwortlichen militärischen Führer verdient. Solidarität und nicht Distanzierung ist gefragt, auch wenn einmal Fehler gemacht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Der Erfolg des Einsatzes hängt letztlich von vielen Faktoren ab, ganz entscheidend ist aber die Motivation unserer Soldaten vor Ort. Das sind nicht nur die Stäbe, sondern auch die Feldwebel und Mannschaften, die in Afghanistan auf Patrouille und an Checkpoints unterwegs sind. Sie wissen, wofür sie stehen. Sie genießen bei der afghanischen Bevölkerung Vertrauen, ein Vertrauen, das der afghanischen Regierung vielerorts abgeht, um das sie sich, wie ich meine, viel stärker bemühen muss.

Verunsichert werden unsere Soldaten weniger durch den Gegner als durch Diskussionen, wie sie hier bei uns regelmäßig nach Anschlägen oder aus Anlass von zivilen Opfern ausbrechen. Jedes Mal, wenn Zivilisten bei militärischen Einsätzen verletzt oder gar getötet werden – das sage ich ganz klar –, ist das eine Tragödie und schmälert zudem die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort. Dennoch – das gehört zur Realität – wird das auch in Zukunft nicht völlig zu vermeiden sein.

Potenzielle Attentäter sind äußerlich von Zivilisten nicht zu unterscheiden. Genau das nützen die Taliban und die Aufständischen ja aus. Gerade das macht den Einsatz so gefährlich und so unberechenbar. Wir, die wir uns hier, im tiefen Frieden, die außerordentliche nervliche Anspannung unserer Soldaten vorstellen, die im Grunde hinter jedem Abfalleimer, hinter jedem Baum, an jeder Ecke und in jedem Auto einen Selbstmordattentäter oder eine Sprengfalle vermuten müssen, wir müssen auch sagen, dass das die Realität des Einsatzes unserer Soldaten ist.

Als Ende August dieses Jahres drei afghanische Zivilisten bei einem Zwischenfall in Kunduz starben, war erst klar, dass es sich um Unschuldige handelte, nachdem die Schüsse gefallen waren. Dass dieser Vorfall untersucht wird, ist notwendig und richtig. Ich erinnere aber auch daran, dass der örtliche paschtunische Stammesführer Otmansei für die betroffene Familie erklärte: Nicht die deutschen Soldaten waren schuld, sondern der afghanische Fahrer, der sich falsch verhalten hat. Als Folge dieses Vorfalls soll nun der Rechtsschutz für Soldatinnen und Soldaten verbessert werden. Ich halte diesen Schritt für überfällig und begrüße ihn ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es kann nicht sein, dass gegen einen Soldaten, der im Einsatz von seiner Schusswaffe Gebrauch macht und dabei jemanden tötet, die Staatsanwaltschaft ermittelt und ihm der Dienstherr keinen Rechtsbeistand zur Verfügung stellt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stimmen der Aufstockung des Mandats um 1 000 Soldaten zu, weil wir durch die Aufstockung mehr Flexibilität im Kontingentwechsel erreichen, weil wir dadurch besser auf eine veränderte Sicherheitslage reagieren können, weil wir seit dem 1. Juli dieses Jahres die schnelle Eingreiftruppe für das Regionalkommando Nord stellen, weil wir unsere Unterstützung bei der Ausbildung der afghanischen Armee verstärken und nicht zuletzt die Absicherung der afghanischen Wahlen im Herbst 2009 unterstützen wollen.

Ich möchte an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan unter Einsatz ihres Lebens einen wertvollen und wichtigen Dienst leisten oder geleistet haben – dies tun sie unter anderem für unsere Interessen und unsere Sicherheit –, herzlich danken. Ich werbe deshalb für eine breite Unterstützung in diesem Haus. Denn unsere Soldatinnen und Soldaten haben diese Unterstützung nötig. Sie haben sie auch verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich freue mich sehr über die Stiftung des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit. Ich danke dem Bundespräsidenten und dem Verteidigungsminister für diese Entscheidung. Die Soldatinnen und Soldaten können fortan für besonders herausragende Leistungen im Einsatz ausgezeichnet werden. Angesichts der neuen Anforderungen in den Einsätzen ist dies ein wichtiges Zeichen unserer Wertschätzung und unserer Anerkennung.

Unser Einsatz in Afghanistan wird nicht einfacher. Uns stehen schwierige Monate bevor. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass dieser Einsatz richtig und derzeit ohne Alternative ist. Deshalb stimmen wir der Verlängerung des Mandats zu. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Henry Nitzsche.

Henry Nitzsche (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit mittlerweile sechs Jahren kämpft die Bundeswehr in Afghanistan. Dieser Einsatz kostete den deutschen Steuerzahler bisher rund 3 Milliarden Euro. Jetzt sollen weitere 700 Millionen Euro draufgesattelt werden. Eine Sache wiegt aber noch schwerer: Mindestens 22 deutsche Soldaten verloren bisher in Afghanistan ihr Leben. Die meisten von ihnen starben durch Feindeinwirkung. Wir können also getrost von gefallenen Soldaten sprechen, auch wenn sich die Bundesregierung krampfhaft bemüht, diese Bezeichnung zu vermeiden. Was haben all diese Opfer gebracht? Was haben wir in diesen sechs Jahren erreicht? Ich zitiere aus einem Text, der auf der Internetseite der Bundesregierung zu finden ist:

Zunehmend kann die afghanische Regierung Verantwortung für den Wiederaufbau und die Sicherheit übernehmen. Dies zeigt die Übernahme der Sicherheitsverantwortung für das Stadtgebiet von Kabul …

Ist das alles? Derzeit sind fast 53 000 Soldaten aus 40 Staaten im Einsatz. Insgesamt 900 Soldaten verloren bisher ihr Leben. Und wofür? Damit Kabul halbwegs kontrolliert werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, die afghanische Regierung, die Sie uns hier als Erfolgsmeldung verkaufen, existiert überhaupt nicht. Es gibt vielleicht einen Bürgermeister von Kabul namens Hamid Karzai, aber selbst er ist zum Erhalt seiner Macht auf ausländische Soldaten angewiesen. So sieht die Wahrheit aus.

Zu dieser Wahrheit gehört auch, dass wir von der Mehrheit der Afghanen nicht als Befreier, sondern als Besatzer angesehen werden, die diesem Land ein politisches System überstülpen wollen, das dort vehement abgelehnt wird. Woher nehmen wir eigentlich die Arroganz, zu glauben, dass dieses an simple Hierarchien gewöhnte Bergvolk nach dem strebt, was wir als Demokratie bezeichnen? Dort zählen ganz andere Werte. Die Afghanen mögen sich heutzutage für ihr Drogengeld westliche Musik und Kaugummi kaufen können. Der Verkaufsschlager ist aber nach wir vor die Kalaschnikow. „Waffen für Drogen“ heißt die Devise. Wer die meisten Waffen hat, hat die meiste Macht. Das ist das wahre afghanische Staatsmodell.

Seit dem Sturz der Taliban blüht der Mohnanbau in Afghanistan. Betrug die afghanische Opiumproduktion im Jahre 2001 noch 185 Tonnen, liegt sie heute bei fast 8 000 Tonnen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum ist er im Norden wieder zurückgegangen? Haben Sie das nicht mitbekommen?)

Das sind mittlerweile 90 Prozent der weltweiten Opiumproduktion. Die Ankündigungen der afghanischen Regierung, den Drogenhandel zu bekämpfen, sind nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Niemand, weder die afghanische Regierung noch die internationale Schutztruppe, wagt es, sich mit den Drogenbaronen anzulegen. Verteidigungsminister Jung wusste schon, warum er sich vergangene Woche gegen eine Bekämpfung des Opiumhandels durch deutsche Soldaten aussprach.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sind Sie für den Drogenkrieg?)

Man muss das einmal klarmachen: Wir lassen unsere Soldaten bei ihrer Vereidigung schwören, dass sie der Bundesrepublik Deutschland treu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen. Dann schicken wir sie ins afghanische Bergland, um dort Opiumplantagen zu beschützen. Das ist eine unglaubliche Schande.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Lüge!)

Deutschland setzt dem Ganzen zudem mit 10 Millionen Euro für die afghanischen Polizeigehälter die Krone auf. Es ist an der Zeit, dass wir diesen sinnlosen Einsatz endlich beenden. Für Deutschland gibt es keinen Grund, sich in Afghanistan zu engagieren. Auch das Gerede, dass der internationale Terrorismus von irgendwelchen Berghöhlen in Afghanistan aus gelenkt wird, glaubt doch niemand mehr. Die Mehrheit der Deutschen lehnt diesen Einsatz ab.

Unsere Soldaten haben ein Recht darauf, dass wir unsere Entscheidung sorgfältig und gewissenhaft treffen. Dabei sollten allein der Sinn des Einsatzes und der Schutz unserer Soldaten ausschlaggebend sein und nicht die Fraktionsdisziplin oder parteitaktische Überlegungen. Das gilt vor allem auch für Sie, meine Damen und Herren von der Linken.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Mit Ihnen wollen wir nichts zu tun haben!)

Ihre „Soldaten sind Mörder“-Fraktion schreit immer am lautesten, dass die Bundeswehr aus Afghanistan gehen soll. In Wahrheit scheren Sie sich einen Dreck um unsere Soldaten. Sie nutzen das Thema nur zu Ihrer Profilierung. Sie haben von allen hier die geringsten Skrupel, unsere Soldaten in Afghanistan zu verheizen. Sie begrüßen doch insgeheim deren Tod.

(Widerspruch bei der LINKEN – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Frau Präsidentin, das geht ein bisschen zu weit!)

Wer mit einer Gruppe zusammenarbeitet, die den Tod deutscher Soldaten als Schritt zur Abrüstung feiert, sollte hier und heute besser schweigen.

(Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Hetze!)

Der ranghöchste Befehlshaber in Afghanistan, Mark Carleton-Smith, hat vor kurzem gesagt: „Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen.“ Recht hat er. Wir sollten diese Realität akzeptieren. Wir haben heute die Möglichkeit, einen schwerwiegenden Fehler, den wir vor sechs Jahren begangen haben, zu korrigieren.

Diejenigen von Ihnen, denen Afghanistan wirklich so sehr am Herzen liegt, können sich als Erntehelfer auf den Opiumplantagen melden. Die Bundeswehr jedenfalls hat nichts in diesem Land verloren. Jeder weitere Euro, den wir für diesen sinnlosen Einsatz vergeuden, ist einer zu viel.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Nitzsche, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Henry Nitzsche (fraktionslos):

Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin. – Wenn Ihnen also schon unsere Soldaten egal sind, dann tun Sie wenigstens etwas für die Haushaltskonsolidierung, und stimmen Sie gegen den Antrag der Bundesregierung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Ich war ja schon froh, dass am Ende der Rede, die hier gehalten worden ist – eine, wie ich finde, rechtsextreme Rede –, eine deutliche Distanz zur Fraktion Die Linke dargelegt worden ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

In dieser Nachbarschaft möchte ich mich nicht einmal im Dunkeln bewegen. Wir möchten auf keinen Fall, dass unsere Position mit dieser verwechselt wird. Hier gibt es ganz klare und deutliche Trennungsstriche, die verständlich sein müssen. Man weiß ja, was woher kommt. Ich möchte mich dagegen verwahren und finde es empörend, wenn irgendjemand behauptet, dass es in der Fraktion Die Linke Freude darüber gäbe, dass Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan umkommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ganz im Gegenteil: Jeder Zivilist, der umkommt, und jeder Soldat, der umkommt, ist entschieden zu viel. Ich möchte, dass endlich eine Politik gemacht wird, die dazu beiträgt, dass niemand in Afghanistan aufgrund von Krieg bzw. Kriegseinwirkung sein Leben lassen muss, ob Zivilist oder Soldat.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Hier müssen, wie gesagt, klare Trennungsstriche gezogen werden. So kann man keinen Frieden schaffen. Die Art und Weise, in der hier gerade gesprochen wurde, muss man bekämpfen.
Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Nitzsche, Sie können antworten.

(Zurufe von der SPD: Oh nein! – Bitte nicht! – Nicht der schon wieder!)

Henry Nitzsche (fraktionslos):

Meine Damen und Herren von der Linken, Sie unterstützen eine Organisation, die ein Plakat veröffentlicht hat, auf dem es heißt: „Die Bundeswehr auf dem richtigen Weg“, „Schritt zur Abrüstung“ und „Wieder einer weniger“. Diese Organisation wird von Ihnen unterstützt. Sie geben ihr Ihre Stimme. Das war der Grund, warum ich Sie so genannt habe.

(Zuruf von der LINKEN: Nazi! – Gegenrufe von der CDU/CSU: Na, na, na! – Das ist wirklich allerhand! – Unerhört!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Frau Präsidentin! Ich erinnere an Malalai Kakar. Malalai Kakar ist vor 18 Tagen erschossen worden. Sie war die bekannteste Polizistin Afghanistans. Ein Sprecher der Taliban hat den Mord an ihr wie folgt kommentiert: Sie war unser Ziel, und wir haben unser Ziel eliminiert. – Das ist die Sprache von Hinrichtern. Das ist die Sprache der Taliban. Genau dagegen müssen wir uns wenden. Wer sich bei der Abstimmung über die Fortsetzung des Mandats, die die Bundesregierung heute vorschlägt, der Stimme verweigert oder der Stimme enthält, stärkt die Taliban

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Das, was du da sagst, ist unerhört!)

und jene Exekutoren; das muss hier ganz deutlich gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch Unsinn! Überleg dir bitte noch mal, was du gerade gesagt hast! – Zurufe von der LINKEN: Das ist doch Quatsch! – Das ist eine Frechheit von Ihnen!)

– Lieber Winni, es tut mir leid.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mit „leidtun“ hat das nichts zu tun! Dafür entschuldigt man sich!)

Ich gehöre zu denen, die vor vielen Jahren, vor über einem Jahrzehnt, der Meinung waren, dass die rot-grüne Koalition die Perspektive hat, unser Land zu verwandeln und zu verbessern. Ich beklage, dass die Grünen nicht in der Lage sind, sich in der jetzigen Situation klar zu bekennen und entweder Ja oder Nein zu sagen. Durch eine Enthaltung sorgt man auch dafür, dass diese Unsicherheit übertragen wird. Winni, diejenigen, die eine andere Perspektive für Afghanistan für richtig und sinnvoll erachten, bitte ich darum, sich darüber klar zu werden, dass eine Enthaltung in dieser Situation auch bedeutet, die Taliban zu stärken. Ich bitte euch, darüber noch einmal neu nachzudenken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und wie ist das mit den Kollegen in deiner Fraktion? Unterstützen die etwa auch die Taliban?)

– Das gilt auch für alle anderen, die nicht den Mut haben, sich deutlich für das Mandat der Bundesregierung auszusprechen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Brunnenvergifter! Das ist wirklich eine Frechheit, was Sie da von sich geben!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Argument, dass es für die Region eine andere Perspektive geben muss – dieses Argument ist vorgetragen worden –, ist richtig und zutreffend. Aber wer hat denn dafür gesorgt, dass die beiden Außenminister Afghanistans und Pakistans zum G-8-Gipfel nach Potsdam eingeladen werden? Wer hat dafür gesorgt, dass ein Prozess eingeleitet wurde, der in der Region dazu führen wird, dass die Kooperationsbeziehungen zwischen Indien, Pakistan, Afghanistan und Iran vorangebracht werden? – Es war Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der dafür gesorgt hat, dass sich diese Beziehungen entwickeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Ein Zweites. Wer sagt, dass die Peace Jirga richtig und sinnvoll ist, der hat recht. Sie ist ein richtiges Konzept. Dann muss allerdings auch hinzugefügt werden, dass sich der pakistanische Ministerpräsident und Präsident Karzai kürzlich getroffen und die Peace Jirga einberufen haben. Dann muss man auch dafür sorgen, dass demnächst ein weiteres Treffen der Peace Jirga stattfindet. Es hat im letzten Jahr bereits mehrere lokale Konferenzen der Peace Jirga gegeben. Das ist richtig. Aber wer so tut, als ob die Bundesregierung beziehungsweise der Außenminister nicht dafür sorgen werde, dass diese Bemühungen unterstützt werden, der führt die Öffentlichkeit hier in Deutschland in die Irre. Wir unterstützen diesen Prozess, und wir sorgen dafür, dass die Peace Jirga lokal, regional und auf der nationalen Ebene vorangebracht wird.

Ein Letztes. Es gibt ein neues Buch – es ist gerade erst erschienen – von Rashid mit dem Titel „Descent into Chaos“, also „Abstieg ins Chaos“. Der Autor kommt aus Pakistan und ist einer der besten Kenner der Region. Er hat am Schluss dieses Buches darauf aufmerksam gemacht, dass sich Afghanistan gegenwärtig auf einer schiefen Ebene befindet, und es bestehe die Gefahr, dass Afghanistan abrutsche. Leider ist dies zutreffend. Jetzt kommt es darauf an, dass wir unsere Kräfte mobilisieren, dass wir also zum Beispiel dafür sorgen, dass die Ergebnisse der Konferenz von Paris – dort waren 80 Nationen dieser Erde vertreten – umgesetzt werden. Es müssen 21 Milliarden Dollar in die Hand genommen werden, damit der zivile Aufbau gelingt. Darauf müssen wir hinwirken, damit die Schieflage in Afghanistan in Balance gebracht wird.

Das ist die Aufgabe, und sie kann nur gelingen, wenn wir dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Denn nur wenn gewährleistet ist, dass der zivile Aufbau vorankommt, wird auch Afghanistan eine Chance haben, sich in eine Zukunft zu entwickeln, die am Ende hoffentlich von Frieden geprägt sein wird.

Aus diesen Gründen stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung zu.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Winfried Nachtwei.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Kollege Gert Weisskirchen, dir geht es in Sachen Afghanistan so wie mir. Wir sind mit dem Herzen dabei. Aber wenn man mit dem Herzen dabei ist, muss man aufpassen, in der Argumentation nicht grob fahrlässig zu werden. Insofern muss ich Folgendes deutlich zurückweisen: Diejenigen, die hier mit Nein stimmen oder sich enthalten, zu bezichtigen, sie würden dadurch die Taliban unterstützen, ist ungerechtfertigt, falsch und eine Holzhammermethode.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Diese Methode kennen wir noch aus der Zeit des Kalten Krieges, als allen möglichen Kritikern der etablierten Sicherheitspolitik vorgeworfen wurde, sie würden die Geschäfte der anderen Seite unterstützen. Das weißt du selbst. Du hast dich damals selbst gegen solche Vorwürfe gewehrt. Insofern waren deine Ausführungen wirklich völliger Schwachsinn.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Was sollen wir und auch ich persönlich tun? – Seit zwei Jahren mahne ich drängend in konstruktiver Kritik an: Bitte, Bundesregierung, strengt euch in der Sache mehr an. – Das sage ich am wenigsten in Richtung Bundeswehr. Denn ich bekomme mit, wie sich die Bundeswehr anstrengt. Das ist kein persönlicher Vorwurf, sondern betrifft meiner Meinung nach eher ein Organisationsversagen. Schließlich hängen wir mit dem Aufbau aus vielerlei Gründen schlimm zurück. Einerseits haben wir seit dem letzten Herbst zehn Anträge gestellt und seitens der Großen Koalition zustimmendes Nicken vernommen. Andererseits laufen wir gegen die Wand. Sollen wir vor diesem Hintergrund nun sagen, unsere Kritik sei gar nicht so gemeint gewesen und wir würden nun immer mit zustimmen? Was sollen wir als Opposition da machen? Das muss man sich doch fragen.

Außerdem: Bei der ersten Lesung zum ISAF-Antrag habe ich hier geredet. Ich habe mitbekommen, wie viel Beifall ich für meine Kritik an der halbherzigen Politik der Bundesregierung aus euren Reihen, den Reihen der CDU/CSU und der SPD, als Reaktion erhalten habe; sie ist im Protokoll nachzulesen. Ich habe das Gefühl, dass wir Grünen damit, dass wir dazu sprechen und unsere konstruktive Kritik für einen vernünftigen und energischen Aufbau in Afghanistan äußern, vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition aus dem Herzen sprechen. Ihr könnt nur aus Koalitionsloyalität einfach nicht immer so abstimmen, wie ihr es eigentlich möchtet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Jetzt hat der Kollege Weisskirchen das Wort.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Lieber Winni, wir kennen uns gut und lange genug. Ich sage: Wenn du den Eindruck hast, dass ich mit dem, was ich gesagt habe, das Ziel, das uns gemeinsam verbindet, infrage gestellt habe, dann sage ich: Das war nicht meine Absicht, und das würde ich auch niemals gesagt haben wollen.

(Dr. Peter Ramsauer ([CDU/CSU]: Macht das doch bitte draußen! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist hier doch kein Kindergarten! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, geht raus! Hier ist das Parlament, nicht eine Selbsterfahrungsgruppe!)

Ich kann nur dem zustimmen, was du gesagt hast. Ich zitiere Winni Nachtwei:

< (Hellmut Königshaus [FDP]: Geh doch ein Bier mit ihm trinken!)

Ich sage ausdrücklich: Die Verlängerung des ISAFMandats ist richtig und unverzichtbar.

Das hast du hier am 7. Oktober 2008, also vor wenigen Tagen, gesagt.

Ich hoffe, dass die Sorge, die du hast und die viele von uns auch haben, dass nämlich mit dem Mandat, das wir heute verabschieden, die Situation in Afghanistan gefährdet werden könnte, nicht Wirklichkeit wird. Deswegen stimme ich dem zu. Damit möchte ich kein Gewissen von irgendeinem anderen Kollegen in Gefahr bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt steigern sich die Beiträge!)

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Genugtuung beobachte ich, dass die Zustimmung zu den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan hier im Deutschen Bundestag mehr und mehr bröckelt. Wenn der Druck der Parteibasis zum richtigen Abstimmungsverhalten führt, dann finde ich das gut, und die überwältigende Mehrheit der Deutschen findet das ebenfalls gut. Vielleicht hat ja auch das eine oder andere Argument von unserer Seite dazu beigetragen; denn wir erleben gerade im Zeitraffer, wie die anderen Parteien, nachdem die ganze Welt ins Finanzdebakel gestürzt wurde, Positionen der Linken übernehmen. Und das ist auch gut so. Goethe hatte offensichtlich recht. Zum wiederholten Male zitiere ich:

Man muss das Wahre immer wieder wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird ...

Der Irrtum, der an dieser Stelle seit sieben Jahren gepredigt wurde und auch heute wieder gepredigt wird, heißt: Mehr Truppen werden Afghanistan befrieden und ihm Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bildung und wirtschaftlichen Aufschwung bringen. – Wäre die Realität für die afghanische Bevölkerung nicht so entsetzlich und grauenvoll, dann müsste man angesichts einer derart verfehlten Vorgehensweise eigentlich in ein Höllengelächter ausbrechen.

Zur Rechtsstaatlichkeit will ich nur ein Beispiel nennen, mit dem die Wirklichkeit wie in einem Brennglas gespiegelt wird. Noch immer wartet der unter Verletzung der elementarsten rechtsstaatlichen Regeln zum Tode verurteilte und in Masar-i-Scharif, also im deutschen Verantwortungsbereich, festgenommene Journalistik- Student Kambakhsh in seiner Kabuler Zelle auf sein Berufungsverfahren. Sein sogenanntes Verbrechen war das Herunterladen korankritischer Seiten aus dem Internet. Können Sie sich bitte ein einziges Mal vorstellen, welche Qualen der Ungewissheit dieser 23-jährige junge Mann seit seiner Verhaftung im Oktober 2007 erlitten hat? Offensichtlich hat niemand die objektiv vorhandenen Möglichkeiten gegenüber dem afghanischen Präsidenten ausgeschöpft. Hier könnte man einem Menschen ohne Militär konkret helfen.

Beim Thema Bildung sieht die Realität so aus, dass die Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen von 36 Prozent im Jahr 1999 auf heute 23,5 Prozent gefallen ist.

Für die sozialistische Regierung nach dem Umsturz von 1978 war die Alphabetisierung der Bevölkerung noch ein Hauptanliegen auf dem Weg einer nachholenden Modernisierung des Landes. Es war völlig normal, dass Frauen und Mädchen dort in die Schule gehen konnten. Dass dies scheiterte, haben wir unter anderem dem damaligen US-Sicherheitsberater Brzezinski zu verdanken, der darauf heute noch stolz ist. Hat man denn im Dezember 2001 auf dem Petersberg tatsächlich erwartet, dass sich die vom Westen erkorenen korrupten, reaktionären afghanischen Politiker und Warlords für Bildung einsetzen würden? Diese Auswahl war doch der entscheidende Geburtsfehler, der der gesamten Negativentwicklung seit 2001 zugrunde liegt.

Die Bundesregierung sollte sich endlich eingestehen, dass sie sich auf dem Weg in ein Desaster befindet. Sie sollte die Konsequenzen ziehen, wenn die amerikanischen Geheimdienste wie kürzlich zu dem Schluss kommen, dass sich die USA in Afghanistan in einer Abwärtsspirale befinden. Im Leitartikel des Boston Globe hieß es gestern: „Mehr Truppen werden diesen höchst gefährlichen Krieg intensivieren“.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre und angesichts der Stimmen aus den USA ist mir völlig unverständlich, dass Sie heute dem Druck der US-Regierung nachgeben. Wir erleben doch seit 2005, dass der Widerstand der Afghanen ständig wächst, weil USA und NATO den Krieg immer mehr ausweiten. Jetzt ist sogar Pakistan dran: Der Krieg wird nach Pakistan getragen. Wann wird endlich begriffen, dass das der falsche Weg ist?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wann wird begriffen und zugegeben, dass dies nicht unser Krieg ist? Der ehemalige Vizefinanzminister von Ronald Reagan, Paul Craig Roberts, schreibt in seiner Kolumne am 6. Oktober – ich zitiere –: „Europäer sterben in Afghanistan für die amerikanische Hegemonie“. Was aber macht die Bundesregierung? Sie nötigt den deutschen ISAF-General Domröse zu einem PR-Interview in der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, in dem er das Wort „Krieg“ zum „fight“ – also wohl zu einer Art sportlichen Wettkampf – umdefiniert. Solche Spielchen mit der Öffentlichkeit werden Sie sich und uns allerdings sehr bald ersparen können. Denn die globale Finanzkrise wird dazu führen, dass der Rest der Welt – besonders Asien – nicht mehr bereit ist, die Kriege der USA mit seinen Exporterlösen zu finanzieren.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Winkelmeier, Ihre Redezeit ist abgelaufen, und Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Ich komme zum Schluss. – Schon allein deswegen muss der Rückzug der Bundeswehr unverzüglich erfolgen. Handeln Sie jetzt! Denn jetzt haben Sie noch die Entscheidungsfreiheit. Wenn die Folgen der Finanzkrise erst einmal durchschlagen, wird das nicht mehr der Fall sein. Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Holger Haibach (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es lohnt sich am Ende dieser Debatte, einen Moment darüber nachzudenken, worüber wir eigentlich sprechen. Wir sprechen über eine Mitverantwortung, die wir beim Wiederaufbau und bei der Befriedung Afghanistans übernommen haben. Wir sprechen über 4 500 deutsche Soldatinnen und Soldaten, die wir – wenn wir die Mandatsverlängerung heute beschließen – in einen nicht ganz ungefährlichen Einsatz schicken. Wir reden über sehr viele freiwillige Helfer von Nichtregierungsorganisationen, die jeden Tag unter sehr schwierigen Bedingungen ihrer Arbeit nachgehen.

Unter diesen Bedingungen finde ich das Niveau dieser Debatte ehrlich gesagt mehr als bedauerlich. Wenn von „Schwachsinn“ geredet wird und historisch falsche Zitate in den Mund genommen werden, dann ist das, wie ich finde, dieser Debatte nicht würdig und dem deutschen Engagement in Afghanistan nicht angemessen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist auch nicht angemessen, alles gutzureden oder alles schlechtzureden. Wenn man der einen Seite zugehört hat, hätte man meinen können, alles sei wunderbar. Wenn man der anderen Seite zugehört hat, hätte man meinen können, alles sei ganz furchtbar und schrecklich. Eines ist auf jeden Fall richtig: Es kann keine Entwicklung ohne Sicherheit geben, genauso wie es keine Sicherheit ohne Entwicklung geben kann. Insofern gehören die beiden Komponenten zusammen. Dass die Bundeswehr in ihrem Verantwortungsbereich einiges erreicht hat, ist unbestritten. Wenn Sie mir nicht glauben, dann empfehle ich Ihnen einen Blick in die Presse in der letzten Woche. Ich zitiere als Beispiel den Stern: Man mag es Kunduz nicht ansehen, aber es ist eine prosperierende Stadt. Die Märkte sind voll, und in der ganzen Provinz gehen mehr als 200 000 Kinder zur Schule im Vergleich zu 15 000 im Jahr 2001. Eins greift in das andere.

Gibt es Kleinkredite, können Bauern neues Land urbar machen. Gibt es Straßen, können sie ihre Produkte zu den Märkten bringen. – Das heißt nicht, dass dort alles in Ordnung wäre. Aber eines steht fest: Es gibt andere Gegenden in Afghanistan, über die man das nicht sagen kann. Insofern ist der Einsatz der Bundeswehr und der vielen zivilen Helfer erfolgreich gewesen. Das sollten wir nicht kleinreden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Zum Thema ziviler Aufbau möchte ich gerne sagen: Es ist richtig, dass wir dafür finanzielle Mittel einstellen müssen. Aber die finanziellen Mittel können nur dann greifen, wenn wir die entsprechenden Strukturen vor Ort haben. Was nutzen uns mehr Mittel für den Aufbau von Polizei, Armee und Rechtsstaatlichkeit, wenn wir dafür keine Strukturen haben? Beides muss Hand in Hand gehen. Natürlich ist es auch richtig, die Nachbarstaaten einzubinden. Es kann keine Befriedung Afghanistans ohne Pakistan geben. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Verantwortung in der Region gewachsen ist. Aber ich will an dieser Stelle klar sagen: Das ist nichts, was der deutsche Außenminister verantworten und von sich aus verordnen kann; das geht nicht. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass internationale und regionale Kooperationen notwendig sind. Dass dieses Bewusstsein wächst, ist trotz allem Negativen sicherlich ein gutes Zeichen. Das ist nicht zuletzt auf das Engagement der Bundesregierung zurückzuführen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diejenigen, die heute – aus welchen Gründen auch immer – der Fortsetzung des Engagements nicht ihre Zustimmung geben, müssen eine Alternative aufzeigen. Ich erkenne, dass das keine ganz einfache Sache ist. Ich erkenne auch ausdrücklich an, dass sich jeder von uns große Gedanken darüber macht, ob er dieses Engagement weiterhin unterstützen will oder nicht. Aber eines ist klar – ich habe eben versucht, das deutlich zu machen –: Es gibt eine gute deutsche Strategie. Dass die deutsche Strategie nicht nur in Deutschland, sondern inzwischen auch anderswo Früchte trägt, kann man daran erkennen, dass zum Beispiel der US-amerikanische Generalstabschef Michael Mullen gesagt hat: Ohne einen „breiteren Ansatz“ zur Bekämpfung der Probleme und eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Pakistan würden „die Feinde immer nur weiterkommen“.

Nach der Auffassung Admiral Mullens sind größere ausländische Investitionen in Afghanistan und erheblich verstärkte Bemühungen beim Aufbau politischer Institutionen und der Entwicklung wirtschaftlicher Stabilität notwendig. Ein amerikanischer Generalstabschef sagt dies vor zwei Monaten! Wenn das nicht auch ein Umdenken bei anderen Verbündeten bewirkt, die das vielleicht bis vor kurzem nicht so gesehen haben, weiß ich nicht, worin der Fortschritt bestehen soll.

Ich plädiere insofern für einen nüchternen Blick auf die Dinge. Es ist nicht alles schwarz. Es ist bei weitem nicht alles weiß. Aber eines ist klar: Wenn wir heute Afghanistan verlassen und dort kein Engagement mehr zeigen, wird dieses Land im Terror versinken und unregierbar werden. All die Erfolge, die erzielt wurden – die Schulbildung wurde verbessert; junge Frauen können Schulen und Universitäten besuchen; die Rechtsstaatlichkeit wurde verbessert –, werden in dem Moment verschwunden sein, in dem wir unser Engagement ohne eine vernünftige Lösung einstellen. Insofern gibt es gute Gründe, nicht im Sinne von „Weiter so“, sondern im Sinne einer Neujustierung und Prüfung – was muss anders gemacht werden? – das Engagement auszurichten, heute der Fortsetzung des Mandats zuzustimmen und weiterhin daran zu arbeiten, dass diese für uns wichtige Region befriedet und stabilisiert werden kann. Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/10567 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Ich weise darauf hin, dass uns zu dieser Abstimmung viele persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen.1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/10473 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. (...)


Die namentliche Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung ergab folgendes Ergebnis :
  • Abgegebene Stimmen: 570
  • Ja: 442
  • Nein: 96
  • Enthaltungen: 32
Und hier geht es zum Abstimmungsverhalten aller Abgeordneten nach Fraktionen:
pdf-Datei



* Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 16/183, S. 19491-19512;
Internet: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16183.pdf



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