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Richtig kämpfen in Afghanistan?

Von Peter Strutynski *

Die kaum noch zu verbergende Absicht der Bundesregierung, die Bundeswehr-Truppe in Afghanistan um eine Einheit zu verstärken, die auch richtig kämpfen kann, ist im Grunde genommen eine logische Konsequenz der bisherigen Außenpolitik Berlins und der NATO. Wer meint, die afghanische Frage militärisch lösen zu können, muss auch bereit sein, die entsprechende Kriegsmaschinerie zur Verfügung zu stellen. Horst Teltschik, der demnächst wieder Dutzende von Militärs und Rüstungslobbyisten und deren politische Anhängsel, die Verteidigungsminister diverser Staaten, nach München zur sog. „Sicherheitskonferenz“ empfangen wird, hat dies in einem Interview deutlich zum Ausdruck gebracht: Wenn man die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt sehen will, dann muss man die entsprechenden „Ressourcen“ zur Verfügung stellen (DLF, 17.01.08). Dem entsprach auch der Tenor der meisten Kommentare in den deutschen Medien. "Wo geschossen wird, besteht das Risiko, dass es Tote gibt“, heißt es z.B. in der Financial Times. Und, als hätten sie sich abgesprochen, tönt es am selben Tag auch aus der Frankfurter Rundschau: „Wer sich in einen Krieg begibt, wird irgendwann kämpfen müssen.“

Dass es sich Journalisten so einfach machen, sollte man ihnen nicht durchgehen lassen. Selbst von dieser Zunft kann man hin und wieder verlangen, dass sie sich gründlicher mit einer Materie befassen. Hierzu gehört in erster Linie eine Einschätzung der tatsächlichen Lage in Afghanistan und eine ansatzweise Evaluation (Beurteilung) des bisherigen Militäreinsatzes. Der Krieg in Afghanistan ist sechs Jahre nach Beginn der von der NATO geführten Intervention wieder richtig in Fahrt gekommen. Das Schreckgespenst des Westens, die Taleban, tritt gestärkt wieder zum Kampf gegen die ausländischen Truppen an, und die Verhältnisse im Innern sind so, dass über 70%, der Bevölkerung vor allem aber die Frauen, die Rückkehr der zu Taleban-Zeiten gehassten Religionspolizei fordern. Im Lichte der jüngsten Entwicklung warnen humanitäre Organisationen vor einer Ausweitung des Krieges und plädieren nachdrücklich für eine verstärkte zivile Hilfe an Stelle des Militärs. Die Nervosität der Besatzungstruppen führt in jüngster Zeit zu einer Häufung tödlicher Angriffe auf Zivilisten, woran nicht nur die Truppen der US-geführten Operation Enduring Freedom, sondern auch die Verbände der UN-mandatierten ISAF (International Security Assistance Forces) beteiligt sind. Folge solch asymmetrischer Kriegführung kann sein, dass die provozierte Gegengewalt, die sich nicht der Mittel der High-tech-Kriegführung bedienen kann, sich gegen zivile Ziele in den Herkunftsländern der Truppen entsendenden Staaten richten wird, wovor Oskar Lafontaine in einer ersten Reaktion auf die neuen Planungen des Verteidigungsministeriums besonders eindringlich gewarnt hat.

Sieht man sich die eingesetzten Mittel ein, so wird klar, warum der versprochene zivile Wiederaufbau des Landes nicht gelingen kann. Seit 2002 wurden in Afghanistan 85 Mrd. Dollar für Militärmaßnahmen, dagegen nur 7,5 Mrd. Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Und auch diese Mittel konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Hauptstadt Kabul und vernachlässigten vor allem die Paschtunengebiete. Der Gesamtbetrag für die militärische "Verteidigung" Deutschlands am Hindukusch hat längst die Zwei-Milliarden-Grenze überschritten. Damit gibt Deutschland für einen zweifelhaften Militäreinsatz ein Vielfaches von dem aus, was in dringend notwendige zivile Hilfsprojekte geflossen ist oder noch fließen wird. Die „Kinderhilfe Afghanistan“ rechnete in einer Presseerklärung vom 8. Februar 2007 vor: „Mit weniger als der Hälfte der derzeitigen jährlichen Kosten für den ISAF-und OEF-Einsatz wäre der Bau ausreichender und qualifizierter regulärer Schulen und deren Unterhalt für 10 Jahre möglich. Allein die Kosten des Tornado-Einsatzes für 2007 würden den Bau von ca. 1000 Schulen ermöglichen.“

Afghanistan ist heute von demokratischen Verhältnissen ähnlich weit entfernt wie vor knapp sechs Jahren. In den meisten Regionen regieren Warlords und Drogenbarone. Die Autorität der afghanischen Regierung reicht kaum über die Grenzen der Hauptstadt Kabul hinaus. Wer uns also die Intervention in Afghanistan heute immer noch als Erfolgsgeschichte verkauft – wie z.B. die Bundesregierung in ihrem „Afghanistan-Konzept“ (5. September 2007) oder UN-Generalsekretär Ban Ki-moon -, weiß entweder nicht, wovon er spricht, oder lügt vorsätzlich.

Kurze Beine haben aber auch die Argumente derer, die behaupten, die geplante Erweiterung des Bundeswehr-Einsatzes und eine Schnelle Eingreiftruppe sei vom bisherigen ISAF-Mandat gedeckt. Die Verteidigungsexperten der Grünen, Alexander Bonde und Winfried Nachtwei, hatten z.B. erklärt, sie hätten nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung mit einer deutschen "Quick Reaction Force" den Rahmen des Isaf-Mandats im Norden Afghanistans überschreiten wolle. (Siehe hierzu: "Wo geschossen wird, besteht das Risiko, dass es Tote gibt".) Beide haben offenbar die Debatte im vergangenen Herbst verschlafen. Damals wurde ja gerade von den GRÜNEN auf den ihrer Meinung nach fundamentalen Unterschied zwischen dem Stabilisierungs- und Aufbau-Auftrag von ISAF einerseits und dem sog. Antiterror-Kampfeinsatz im Rahmen von Enduring Freedom andererseits großer Wert gelegt. Weil ISAF dem zivilen Aufbau verpflichtet sei, habe man diesem Teil grundsätzlich zugestimmt, weil Enduring Freedom Rambo-Einsatz à la USA bedeute, habe man dieses Mandat abgelehnt. Nun würde aber mit dem Entsenden einer Rambo-Truppe im Rahmen von ISAF offenkundig, was Friedensforscher und Friedensbewegung schon immer gesagt haben: Die Unterschiede zwischen beiden Mandaten verschwinden. ISAF und Enduring Freedom verschmelzen zu einem einzigen schmutzigen Krieg, der am Hindukusch geführt wird. Und die militärischen Vordenker deutscher Geostrategie wissen auch schon, was die nächste Station sein wird: Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, forderte vor kurzem, das Mandat für den deutschen Einsatz auf das umkämpften Süd-Afghanistan auszuweiten. "Die Pflicht endet nicht in bestimmten Regionen", sagte der Naumann bei einem Vortrag zur Zukunft der Nato in Brüssel (Süddeutsche Zeitung, 17.01.08).

Verantwortliche Politiker/innen sollten eine andere Rechnung aufmachen. Mit jeder Truppenaufstockung in Afghanistan verstärkte sich bisher auch der – aus ganz unterschiedlichen Quellen gespeiste – Widerstand gegen die Besatzung. Die USA, die demnächst 3.200 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan entsenden werden, um eine Frühjahrsoffensive gegen die Taleban zu starten, werden die Quittung in Form vermehrter Anschläge erhalten. Daher kann es nur eine Empfehlung geben: Die Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Das garantiert noch keinen Frieden und keine Stabilisierung des Landes. Aber es könnte eine notwendige Voraussetzung für einen Friedensprozess sein, der von den Afghanen selbst getragen wird. Die internationale Staatengemeinschaft wäre dann mit zivilen Unterstützungsleistungen gefragt, und zwar dort, wo es die Lage erfordert und von der Bevölkerung auch gewünscht wird. Die Friedensbewegung hat allen Grund, ihre Kampagne zur Beendigung des Afghanistankrieges mit noch mehr Elan fortzusetzen. Die besseren Argumente hat sie allemal auf ihrer Seite.

* Dr. Peter Strutynski, Politikwissenschaftler, AG Friedensforschung an der Uni Kassel; Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag


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