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Im September könnte es zu spät sein

Israels Parteien suchen die Anerkennung eines palästinensischen Staates zu verhindern

Von Oliver Eberhardt *

Im September wollen die Palästinenser vor der UN-Vollversammlung die Anerkennung ihres Staates in den Grenzen von 1967 beantragen. Israels Regierung versucht, dies zu verhindern, und hat einen Großteil des politischen Spektrums hinter sich – aber aus unterschiedlichen Motiven.

Israels Nationaler Sicherheitsrat, eine Art Expertengremium, das meist im Verborgenen tagt, ist eigentlich dazu da, die Regierung unabhängig von politischen Erwägungen in Sicherheitsfragen zu beraten. Doch in diesen Tagen ist es eine Krise besonderer Art, die das Gremium beschäftigt.

Im September will die Palästinensische Autonomiebehörde in der UN-Vollversammlung die Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 beantragen. Der Nationale Sicherheitsrat soll eine »moralische Minderheit« aus den USA und den Staaten der Europäischen Union dazu bewegen, gegen diesen Antrag zu stimmen.

Die Idee, die dahinter steckt: »Stimmen Europa und die Amerikaner dagegen, wird ein solches Votum bedeutungslos«, erläutert Akiva Eldar von der Zeitung »Haaretz«. Diese Staaten spielen eine Vermittlerrolle und unterstützen Israel und die Palästinenser mit Finanz- und Militärhilfen, was ihnen ein massives Druckmittel an die Hand gibt. Eldar sagt: »Israels Regierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Palästinenser sagen können, die Vereinten Nationen hätten die Waffenstillstandslinie aus der Zeit vor 1967 als Grenze ihres Staates anerkannt.«

Denn dies würde zugleich das Ende des innerisraelischen Diskurses über die Zukunft des Westjordanlands und Ost-Jerusalems erzwingen, der einer der Hauptgründe für die tiefen Klüfte in der politischen Landschaft ist.

Zwar besteht zumindest im politischen Spektrum von ganz links bis moderat-rechts Einigkeit darüber, dass der Staat Palästina irgendwann kommen wird. Umstritten ist das Wie. »Unserer Ansicht nach sollten wir uns vollständig zurückziehen«, sagt Nitzan Horowitz für die linksliberale Meretz-Partei, »Ich bin mir aber bewusst, dass dies kaum machbar ist.«

Was verschiedene Gründe hat: So verweist das politische Zentrum, das im Parlament von der Arbeitspartei und der Partei Kadima vertreten wird, darauf, dass die Sicherheit des Staates auch bei Bestehen eines unabhängigen Palästinas gewährleistet sein müsse. Dafür wiederum möchte man eine Reihe von Siedlungsblöcken im Westjordanland behalten. Selbst in der Jerusalem-Frage, einer der größten Stolpersteine, sind diese Parteien zu Kompromissen bereit: Wenigstens die Stadtteile, die außerhalb der Altstadt liegen, könne man an die Palästinenser abgeben. Kompliziert wird die Sache jedoch durch die Sichtweise der Rechten: Ein Kompromiss in Sachen Jerusalem kommt für sie nicht in Frage. Und das Westjordanland wird nicht als besetzt, sondern als »umstritten« gesehen. »Dieses Gebiet war auch von Jordanien nur verwaltet (bis 1967 – d.R.), es hat nie zu einem Staat gehört«, sagt der stellvertretende Außenminister Danny Ayalon vom rechtskonservativen Likud- Block Benjamin Netanjahus. »Die Gründung eines palästinensischen Staates kann also nur auf der Grundlage von Verhandlungen erfolgen. Selbst die Vereinten Nationen fordern in ihrer Resolution 242 keinen kompletten Rückzug aus den Gebieten, die wir 1967 erobert haben.« Wie ein Verhandlungsergebnis nach Ansicht seiner Partei aussehen müsste? »Siedlungsräumungen müssen, wenn überhaupt, die absolute Ausnahme bleiben«, fordert Ayalon.

Selbst solche »Ausnahmen« sind indes für viele andere Rechten undenkbar. »Dieses Land gehört zu Israel«, behauptet Arijeh Eldad, Abgeordneter der Nationalen Union, »Wenn die Palästinenser bleiben wollen, können sie das als unsere Gäste tun. Ansonsten haben sie bereits ihren eigenen Staat – in Jordanien.«

Eine ähnliche Position nimmt Jisrael Beitenu ein, die Partei von Außenminister Avigdor Lieberman. Trat sie bei den vergangenen Wahlen noch mit der Forderung an, so gut wie alle Siedlungen zu annektieren und den Palästinensern dafür die von israelischen Arabern bewohnten Gebiete im Norden Israels abzutreten, sperrt sie sich nun zusehends gegen jede Veränderung des derzeitigen Status. »Wir durchleben eine Phase der Sicherheit«, sagt ein Parteisprecher, »Es wäre töricht, diese Situation zu verändern, indem wir den Palästinensern durch einen Rückzug die Möglichkeit geben, neue Angriffe auf unsere Bürger vorzubereiten.«

Inzwischen hat sich auch Präsident Schimon Peres eingemischt. Anfang der 90er Jahre maßgeblich an der Aushandlung der Osloer Übereinkünfte beteiligt, betont er zwar immer wieder, er sei gegen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser. Am vergangenen Freitag ließ er allerdings durchsickern, er habe sich mehrmals mit dem palästinensischen Chefunterhändler Saeb Erekat getroffen, um über eine Grenzziehung zu sprechen. Die Differenzen seien nur noch gering. »Das ist ein deutliches Signal an die Politiker, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren«, glaubt Journalist Eldar, »denn im September könnte es dafür zu spät sein.«

* Aus: Neues Deutschland, 2. August 2011

Dokumentiert: Israel-Lobby wendet sich an Bundeskanzlerin

Die fieberhaften Aktivitäten des israelischen Außenministeriums zur Verhinderung einer diplomatischen Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die UNO haben nun auch ehemalige deutsche Botschafter erfasst. Die israelische Botschaft in Berlin versandte in ihrem Newsletter vom 2. August 2011 einen "Offenen Brief" sechs ehemaliger Botschafter an die deutsche Bundeskanzlerin, worin sie sich für den klaren Standpunkt der Bundesregierung in der Frage bedanken und darum bitten, Berlin möge diesen Standpunkt innerhalb der Europäischen Union offensiver vertreten. Wir dokumentieren im Folgenden den Brief, der zusätzlich noch von Lea Rosh, Vorsitzenden des "Förderkreises zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas", und Jochen Feilcke, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Potsdam, unterschrieben wurde. Wie jeder "Offene Brief" soll auch dieser nicht nur die Adressatin erreich, sondern ist an die Öffentlichkeit gerichtet.

Indirekt stellt dieser Brief auch eine Antwort dar auf einen Offenen Brief von 32 ehemaligen deutschen Botschaftern und Generalkonsuln, die sich für ein "Ja" zur Anerkennung ausgesprochen haben. Dieser Brief ist hier dokumentiert: "Wir bitten Sie um ein JA zu Palästina in den Vereinten Nationen".



Offener Brief an die Bundeskanzlerin

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

Wir bitten Sie dringend, bei Ihrer Ablehnung einer einseitigen Ausrufung eines „Staates Palästina“ zu bleiben. Ebenso, wie Sie es gegenüber Mahmud Abbas in Berlin klargemacht haben, dass einseitige Schritte nicht helfen, bitten wir Sie, diesen Standpunkt auch innerhalb der Europäischen Union offensiv zu vertreten.

Wir betonen in diesem Zusammenhang, dass wir uns einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten nur vorstellen können, wenn zwei Staaten, die sich gegenseitig achten, nebeneinander existieren. In diesem Sinne und mit diesem Ziel müssen aus gegenseitigem Vertrauen heraus unverzüglich Verhandlungen zwischen der Regierung Israels und legitimierten Repräsentanten der Palästinenser wieder aufgenommen werden. Eine Anerkennung eines Staates Palästina ist unseres Erachtens nur vorstellbar, wenn dies verbunden ist mit einer ausdrücklichen Anerkennung und Garantie des Jüdischen Staates.

Die Regierung in Jerusalem hat wiederholt erklärt, dass sie zu Gesprächen bereit ist. Die Palästinenser sollten Israel beim Wort nehmen und ohne Vorbedingungen Gespräche, die zu dauerhaftem friedlichen Miteinander führen sollen, aufnehmen.

Die Führung eines einseitig ausgerufenen „Palästinenserstaates“, in der die Hamas Mitglied ist, wird Verhandlungen mit dem Ziel eines Friedensabkommens verhindern. Wir rufen daher die Bundesregierung und die Europäische Union auf, die Forderung nach Ausrufung eines Staates Palästina solange zurückzuweisen, bis entsprechende Verhandlungen zu einem positiven Ergebnis geführt haben. Wir erinnern daran, dass sich Israelis und Palästinenser im „Osloer Abkommen“ verpflichtet haben, nicht einseitig zu handeln. Daran muss festgehalten werden.

So lange darüber hinaus die Grundvoraussetzungen für eine Staatlichkeit „Palästinas“ fehlen, kann kein Staat anerkannt werden. Es gibt weder ein eindeutig definiertes Staatsgebiet noch ein eindeutig definiertes Staatsvolk noch gar eine Staatsgewalt. Wir wollen, dass die Menschen in Israel und im gesamten Nahen Osten dauerhaft in sicheren Grenzen und in Frieden leben können; deshalb müssen die Wege zu vertrauensvollen Verhandlungen geebnet werden. Eine Mehrheit in den Vereinten Nationen für die Ausrufung eines „Palästinenserstaates“ wäre dabei nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dr. h.c. Klaus Schütz, Botschafter in Israel 1977-1981
Dr. Niels Hansen, Botschafter in Israel 1981-1985
Wilhelm Haas, Botschafter in Israel 1985-1990
Dr. Franz Bertele, Botschafter in Israel 1993-1996
Theodor Wallau, Botschafter in Israel 1996-2000
Rudolf Dreßler, Botschafter in Israel 2000-2005
Lea Rosh Vorsitzende des „Förderkreises zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas“
Jochen Feilcke MdB 1983-1998, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Potsdam

Quelle: Website der israelischen Botschaft in Berlin, 2. August 2011; www.botschaftisrael.de




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