EU-Entwicklungshilfe-Beschluss: Ungedeckte Schecks?
Wieviel Hilfe ist nur Phantom?
Von Rainer Falk*
Nur mit Vorsicht haben die entwicklungspolitischen NGOs in Europa den Durchbruch begrüßt, der unter der Luxemburger Präsidentschaft am 24. Mai in Brüssel erzielt wurde. Denn die eingegangenen Selbstverpflichtungen zur Aufstockung der Hilfe stehen gleich mehrfach unter Vorbehalt. Eine W&E-Nachrichtenanalyse von Rainer Falk.
Natürlich sprach der Luxemburger Minister für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe, Jean-Louis Schiltz, von einem „wesentlichen Durchbruch“. Und natürlich beglückwünschte die Luxemburger NGO-Plattform Cercle de Coopération die eigene Regierung zu diesem Erfolg. Denn für das kleine, aber entwicklungspolitisch stark engagierte Luxemburg war es schon eine herkulische Leistung, die großen, auf die jeweiligen Eigeninteressen fixierten und die hausgemachten Probleme vor sich her tragenden Mitgliedsländer der EU ausgerechnet in Sachen Entwicklungshilfe auf mehr finanzielle Anstrengungen zu verpflichten.
So war es denn eine kleine Überraschung, als das entwicklungspolitische Cluster des Rats für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU am 24. Mai in Brüssel die Vorschläge der EU-Kommission zur Steigerung der europäischen Finanzleistungen im Rahmen der Millenniumsstrategie der Vereinten Nationen (s.
W&E 05/2005) verabschiedete. Danach ist jetzt verbindlich beschlossen, daß die alten Mitgliedsländer der Union (EU-15) – sofern noch nicht geschehen - ihre öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) bis 2010 auf 0,51% ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) anheben, und die neuen Mitgliedsländer auf 0,17% im Jahre 2010 und 0,33% im Jahre 2015. Gemeinsam wollen die EU-Mitgliedsländer ihre ODA-Quote so bis 2010 auf 0,56% und dann bis 2015 auf 0,7% erhöhen. In absoluten Zahlen würde dies eine Verdoppelung der EU-Entwicklungshilfe (Union und Mitgliedsländer zusammengenommen) von heute 40 auf 80 Mrd. US-Dollar im Jahre 2010 bedeuten.
Dennoch bleibt eine Reihe Zweifel, nicht nur weil die Geschichte derartiger Verpflichtungen auch die schier endlose Geschichte gebrochener Versprechen ist. So kamen die Geberländer schon 1970 überein, spätestens bis 1980 das 0,7%-Ziel zu erreichen. 25 Jahre später hatten nur fünf Länder dieses Ziel erreicht, vier davon EU-Mitglieder: Niederlande, Schweden, Dänemark und Luxemburg. Die Vorbehalte knüpfen sich dieses Mal bereits unmittelbar an den Beschluß selbst:
Vorbehalt 1: Mäßige Gesamtbilanz
Wie die Luxemburger NGO-Koordination in ihrer Stellungnahme hervorhebt, ist nicht zu übersehen, daß die Schlußfolgerungen des Rates vom 24. Mai 2005 (englisch:
"Council conclusions: Accelerating progress ...") zwar die besagten Festlegungen über die quantitative Steigerung der Hilfe enthalten, in allen anderen Fragen aber von Stagnation zeugen: Keine konkreten und bezifferten Aussagen zur Reduzierung der Schulden für die ärmsten Länder, nichts Neues zur Verbesserung der Qualität der Hilfe, keine vorwärtsweisende Initiative zur Frage der innovativen Finanzierungsmechanismen (Flugbenzin- oder Ticket-Steuer, Tobin Tax etc.), zur künftigen Handelspolitik der Union und insbesondere zum Abbau der für den Süden so schädlichen Agrarsubventionen im wesentlichen Allgemeinplätze.
Vorbehalt 2: „Haushaltszwänge“
Trotz des positiven Beschlusses zur quantitativen Erhöhung der Entwicklungshilfe gaben Deutschland, Italien und Portugal offiziell zu Protokoll, daß die Umsetzung dieses Stufenplans in ihrem Fall von der Einhaltung der haushaltspolitischen Maastricht-Kriterien abhängig bleibt. Alle Augen sind deshalb jetzt auf das EU-Finanzministertreffen am 7. Juni in Luxemburg gerichtet. Dort, so erklärte der Sprecher des Global Call to Action Against Poverty (GCAP), Kumi Naidoo, müßten der jetzt beschlossene Zeitplan bestätigt und aus Worten Taten werden.
Vorbehalt 3: „Sonderfall“ Deutschland
Zu einem besonderen Fall in diesem Zusammenhang ist inzwischen Deutschland geworden. Wie der Leiter der Advocacy-Abteilung von Oxfam, Jo Leadbeater, sagte, „unterminieren die fortgesetzten widersprüchlichen entwicklungspolitischen Botschaften aus Deutschland ernsthaft dessen Glaubwürdigkeit und Chance auf einen Sitz im Sicherheitsrat“. Der deutsche Finanzminister müsse unverzüglich und öffentlich die Gültigkeit des Zeitplans, bis 2014 das 0,7%-Ziel zu erreichen, bestätigen. Und Kumi Naidoo stieß in das gleiche Horn: „Wir begrüßen die Ankündigung Deutschlands, sich auf 0,7% zu verpflichten, aber wir möchten von Finanzminister Hans Eichel und Kanzler Gerhard Schröder hören, wie Deutschland plant, dabei voranzukommen.“ Letzterer hat inzwischen übrigens auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover gesagt, aus den Haushalten könnten die notwendigen Mittel für die Aufstockung der Entwicklungshilfe nicht kommen, weshalb man neue internationale Quellen, wie die Flugticket-Abgabe oder die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen, die Tobin-Steuer, brauche ("Globalisierung der Herzen",
unten auf dieser Seite).
Vielleicht haben sich aber mit den überraschend angestrebten vorgezogenen Neuwahlen in Deutschland auch die Regeln für das öffentliche Auftreten einzelner Regierungsmitglieder geändert. Interessant ist jedenfalls die folgende Episode: Ohne Rückendeckung durch einen einschlägigen Kabinettsbeschluß und ohne Einladung erschien die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul am Vormittag des 24. Mai zu einem von Oxfam International in Brüssel organisierten Pressetermin, in dessen Mittelpunkt eigentlich die demonstrative Bekräftigung des 0,7%-Ziels durch die Entwicklungsminister der neun EU-Staaten stehen sollte, die dieses entweder bereits erreicht oder sich in einem verbindlichen Zeitplan dazu festgelegt haben. Da wollte Wieczoreck-Zeul nicht abseits stehen, was ihr den Applaus der Kollegen eintrug. Doch: Was immer die Bundesregierung in Berlin jetzt angekündigt oder beschließt, ist für die nächste Regierung, die wahrscheinlich am Wochenende nach dem Millennium+5-Gipfel gewählt werden wird, ohnehin nicht bindend.
Vorbehalt 4: Wieviel Hilfe ist wirklich Hilfe?
Unabhängig von dem Tauziehen um die ODA-Quote werfen NGOs inzwischen verstärkt die Frage nach der Qualität der Entwicklungshilfe auf. Dies u.a. deshalb, weil mehr und mehr Industrieländer dazu übergehen, ihre ODA-Quote „schön“ zu rechnen, etwa durch die Verbuchung von Schuldenerleichterungen als Entwicklungshilfe.
In einer neuen Studie
Die deutschen ODA-Leistungen von 2000 bis 2003/2004 rechnet Germanwatch vor, daß die deutsche Entwicklungshilfe in den letzten fünf Jahren nicht nur „praktisch unverändert“ geblieben ist: „Daß es keinen Einbruch gab, ist 2002 und 2003 auf den starken Anstieg der Schuldenerlasse und 2004 – als die Schuldenerlasse sich fast halbierten – auf die in diesem Jahr besonders hohen Aufstockungen der Einlagen bei den UN-Entwicklungsbanken zurückzuführen.“ Mit dem 80%-Erlaß der Irakschulden in den nächsten drei bis fünf Jahren, werde die Bundesregierung zwar die für 2006 versprochene ODA-Quote von 0,33% erreichen und sogar übetreffen, danach aber – etwa 2009 - schmählich einbrechen. Falls bis dahin keine „frischen“ Finanzmittel aufgetan werden, könne von den von der Ministerin für 2010 angestrebten 0,5% keine Rede sein.
Grundsätzlicher wird das mit der Entwicklungshilfe seit jeher verbundene Problem des Etikettenschwindels in einer neuen Studie von ActionAid International mit dem Titel
Real Aid. An Agenda For Making Aid Work angegangen. Die Autoren haben versucht, die in das Hilfe-System eingebauten finanziellen Verluste zu beziffern – etwa durch die übliche Überbezahlung internationaler Experten in der Technischen Hilfe, durch die Lieferbindung der Hilfe, durch Planungs- und Koordinierungsfehler, durch exzessive Verwaltungskosten, durch übertriebene Berichtspflichten, durch verspätete Auszahlungen oder durch die Anrechnung von Schuldenerlassen. Sie kommen zu dem niederschmetternden Ergebnis, daß nur ein Drittel der 2003 von den G7-Ländern geltend gemachten öffentlichen Entwicklungshilfe diesem Anspruch überhaupt gerecht wird. Der Rest der Hilfe trage „Phantom“-Charakter und mag vielleicht der Erreichung irgendwelcher anderen Ziele dienen, habe mit Armutsbekämpfung oder Entwicklung aber nichts zu tun.
Die geizigsten Länder, so die Studie, seien auch die mit der am wenigsten aufgeklärten Entwicklungspolitik. Bei den USA seien nur 10 Cents eines Dollars „reale Hilfe“. Bei Großbritannien, dem am besten abschneidenden G7-Land, seien es immerhin 71%. Doch Nicht-G7-Länder wie Luxemburg, Norwegen und Dänemark geben, gemessen an ihrem Wohlstand, weit mehr für Entwicklungshilfe aus, und davon sei ein hoher Anteil – im Falle Luxemburgs 81%! – „real“. Rechnet man bei den G7-Ländern dagegen die „Phantom“-Hilfe heraus, so würde die ohnehin schon bescheidene ODA-Quote auf nur 0,07% zusammenschrumpfen. In Wirklichkeit müßten die diesbezüglichen Ausgaben also verzehnfacht werden, um das 0,7%-Ziel zu erreichen.
Wirkliche Hilfe hilft, „Phantom“-Hilfe dagegen nicht, betont ActionAid. Um den Etikettenschwindel zu beseitigen, empfiehlt die Studie den Abschluß eines neuen internationalen Hilfe-Abkommen, das ein ausgewogeneres Kräfteverhältnis zwischen Gebern und Nehmern sicherstellt und die Verantwortung beider für den Einsatz der Hilfe zugunsten der Armen stärkt. – Noch eine Anregung, die der Millennium+5-Gipfel im September berücksichtigen sollte.
Aus: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung
Veröffentlicht: 29.5.2005
Internet-Quelle: www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org
Wenn der Kanzler auf dem Kirchentag ... D O K U M E N T A T I O N
Globalisierung der Herzen
Fr, 27.05.2005
Was hat der Mensch von einer vernetzten Welt? Wie sichern wir Menschlichkeit in einer Wirtschaftssystem, die keine nationalen Grenzen mehr kennt?Friedensnobelpreisträgerin Maathai, Bundeskanzler Schröder und engagierte Jugendliche aus aller Welt diskutieren auf dem evangelischen Kirchentag über die Chancen und Risiken einer globalisierten Welt.
"Am Beginn dieses Jahrhunderts sind wir Zeuge eines tiefgreifenden Wandels", eröffnete Bundeskanzler Gerhard Schröder sein Statement bei der Diskussion zum Thema "WeltPartnerschaft" auf dem 30. evangelischen Kirchentag am 27. Mai in Hannover.
Globalisierung gestalten
Neu sei insbesondere das rasante Tempo, mit dem sich der Wandel vollzieht. Dies wirke sich auf die Handlungsfähigkeit der nationalen Politik aus, sagte Schröder. Dennoch bleibe es die Aufgabe der Politik, auf Globalisierung Einfluss zu nehmen, sie zu steuern.
"Dass mit den Mitteln der internationalen Politik eine Weltpartnerschaft als gemeinsamer Handlungsauftrag politisch und sozial zu gestalten ist, diese Erkenntnis ist die Grundlage der Politik Deutschlands," betonte der Bundeskanzler.
Ein starkes multilaterales System
Schröder hob die Rolle einer starken, reformierten UNO in diesem Prozesse hervor. Ein starkes multilaterales System, das sich zudem auf die regionalen Strukturen ausdehnt, sei nötig, um diese Ziele zu erreichen. An dem Millenniumsziel von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukt bis 2015 halte er fest. Allerdings sein dies nicht allein mit Haushaltsmitteln zu leisten. Dazu müssten auf internationaler Ebene neue Ressourcen, wie zum Beispiel die Tobin-Steuer auf Finanztransaktionen erschlossen werden.
Partnerschaft "in der Zeit und zwischen den Kontinenten"
Deutschland übernimmt seit langem eine Vorreiterrolle bei der Agenda der UNO. Die gemeinsamen Anstrengungen seien aber noch zu verstärken. "Was könnte man mit dem Geld das für den Irak-Krieg ausgegeben wurde alles tun," sagte Schröder unter starkem Beifall.
Deutschlang engagiere sich in zwei Bereichen besonders:
500 Millionen stelle die Bundesregierung für erneuerbare Energien in Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung. Deutschland habe viel Erfahrung in diese Bereich. "Und wir sind nicht bereit diese Erfahrung wieder verschwinden zu lassen," betonte Schröder. 330 Millionen stelle die Bundesregierung für Wasserpolitik zur Verfügung, was vor allem Afrika zugute komme.
Nachhaltige Entwicklungspolitik sei Partnerschaft "in der Zeit, zwischen der heutigen und den künftigen Generationen, und zwischen den Kontinenten".
Verantwortung nicht allein bei den Industrienationen
In einer leidenschaftlichen Ansprache appellierte die Friedensnobelpreisträgerin Maathai an die Verantwortung der politischen Führung in den Entwicklungsländern. Die Kenianerin ist die erste, die den Friedensnobelpreis für ökologisches Engagement bekommen hat. Sie übermittelte Grüße vom afrikanischen Kontinent und dankte Deutschland. "In den zwei Jahren, die ich hier in meiner Jugend verbracht habe, habe ich sehr viel von den Werten mitbekommen, die mich in meiner Arbeit immer wieder stärken."
Schröder lobte, dass inzwischen Entwicklungshilfe nicht nur als Forderung und Anklage an die Industrienationen formuliert werde. Man müsse weg von den großen finanziellen Zahlungen, hin zu kleinen Projekten, neben der Umweltpolitik, sei Gesundheit und Bildung zu nennen.
Fairer Handel
In engagierten Plädoyers trugen die Diskussionsteilnehmer ihre Wünsche für eine gerechtere Welt vor. Alle gemeinsam forderten sie einen gerechten Welthandel. Auch Bundeskanzler Schröder bekannte sich entschieden zu einem fairen Handel, einschließlich einer Öffnung der entwickelten Länder für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern: "Deutschland setzt sich in der EU dafür ein, alle Exportsubventionen auf alle landwirtschaftlichen Produkte zu streichen." Das sei nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Gerade Deutschland als exportabhängiges Land, werde seine Chancen nur wahrnehmen können, wenn es fair mit seinen Handelspartnern umgeht.
Quelle: Homepage der Bundesregierung: www.bundesregierung.de
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