Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von München nach Mainz

Eine Nachbetrachtung zur Münchner Sicherheitskonferenz und eine Vorschau auf den Bush-Besuch in Mainz

Von Peter Strutynski

Spätestens seit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verlauten ließ, dass er entgegen seiner ursprünglichen Zusage nicht nach München kommen würde, hat der Cheforganisator der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, den Ton geändert. So sehr er die Absage auch bedauerte, schlug Teltschik daraus doch politisches Kapital: Ab sofort betonte er viel stärker den friedenspolitischen Charakter der Konferenz. [1] Der Titel „Frieden durch Dialog“ war ohnehin schon bestens geeignet, die Akzente neu zu setzen und aus einer als „Kriegskonferenz“ weithin verschrieenen Versammlung von Militärs und Verteidigungsministern eine Friedenskonferenz zu machen. Der Umstand, dass mit dem UN-Generalsekretär Kofi Annan ein unverdächtiger Mann des Friedens (jedenfalls ist das sein Job laut UN-Charta) sein Kommen angesagt hatte und er sogar eine neu gestiftete „Friedensplakette“ entgegennehmen würde, passte ins Konzept. Die Macher der „Sicherheitskonferenz“, die früher den eindeutigeren Namen „Wehrkundetagung“ führte, schienen plötzlich Kreide gefressen zu haben, wie es in einer Presseerklärung aus der Friedensbewegung formuliert wurde. [2]

Nun kam Rumsfeld schließlich doch – und ausnahmslos freuten sich alle. Die Militärstrategen im Bayerischen Hof (dem traditionellen Tagungsort), die angereisten Politiker aller Couleur, die dem hohen Gast aus dem Pentagon die Hand schütteln durften, aber auch die Organisatoren der Gegenveranstaltungen, die darauf setzten, dass die Anwesenheit des konservativen Hardliners auch jene Friedensbewegten aufrütteln würde, die das Ereignis sonst vielleicht doch nicht so Ernst genommen hätten. Mit der überraschenden Ankündigung, Rumsfeld würde doch kommen, noch dazu direkt aus dem Irak, wo er zuvor einen überraschenden Truppenbesuch absolvierte, kam wieder Leben in und vor die Bude: Es ist eben schon etwas besonderes, wenn der Politiker, der für eine inhumane Kriegführung und für massive Verletzungen des Folterverbots und anderer Regeln der Genfer Konventionen verantwortlich ist, einer hochkarätigen Militärkonferenz auf europäischem Boden seine Aufwartung macht.

Der Generalbundesanwalt hatte seinen Anteil an dieser Entwicklung. Bei ihm war Ende November 2004 eine Klage US-amerikanischer und deutscher Juristen eingegangen [3], die sich auf Rumsfelds Verantwortung für die Folterzustände im US-geführten irakischen Gefangenenlager Abu Ghraib bezog. [4] Solange die Klage in Karlsruhe beim Generalbundesanwalt lag, wollte Rumsfeld nicht nach Deutschland kommen. Nicht weil er Angst haben musste, dass ihm hier ein juristisches Haar gekrümmt würde, wohl aber weil es ihm gegen den Strich ging, dass der deutsche Hauptankläger es überhaupt wagte, die Anklage so lange unbeantwortet liegen und damit in der Schwebe zu lassen. Drei Tage, also gerade noch rechtzeitig vor der Sicherheitskonferenz, kam dann die Entwarnung aus Karlsruhe: „Vorrangig zuständig für die Strafverfolgung sind (...) die Vereinigten Staaten von Amerika als Heimatstaat der Angezeigten. Die angezeigten Handlungen wurden außerhalb des Geltungsbereiches der Strafprozessordnung (...) begangen. Die Bundesrepublik Deutschland ist insoweit auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Anzeigeerstatter weder Handlungs- noch Erfolgsort.“ [5] Das hätte man allerdings auch anders sehen können. Nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Paragraph 1) gilt für die in diesem Gesetzbuch aufgeführten Verbrechen gegen das Völkerrecht das „Weltrechtsprinzip“. Danach sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden nach dem Legalitätsprinzip auch dann zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet, wenn Taten von Ausländern gegen Ausländer im Ausland begangen werden. Doch der Generalbundesanwalt hatte schon bei noch eindeutigeren Klagen, als nämlich eine deutsche Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen Klagegrund war (Jugoslawienkrieg, Afghanistankrieg), die Anzeigen abgeschmettert: Die Kriegsbeteiligung Deutschlands sei immer Rechtens gewesen. [6]

So stimmte also auch wieder der äußere Rahmen der Sicherheitskonferenz: Die in den Augen der Friedensbewegung unerwünschteste Person wurde eingeflogen, die Empörung der Demonstranten machte sich – wie immer friedlich – Luft bei zwei Demonstrationen und Rumsfeld las den Konferenzteilnehmern die Leviten. In Anwesenheit des UN-Generalsekretärs wiederholte er die US-Auffassung, wonach es zwar unmöglich sei, den globalen Herausforderungen (Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, scheiternde Staaten) auf sich allein gestellt begegnen zu können, dass die notwendige kollektive Verteidigung gegen Bedrohungen aber nicht die Vereinten Nationen als Ganzes einbeziehen müsse, sondern dass es auf die Mobilisierung von jeweils geeigneten Partnern ankäme. [7] Das mag in einem Fall die NATO sein, in einem anderen Fall sind es ganz bestimmte Staaten mit besonderen Fähigkeiten oder Interessen (Deutschland wird an verschiedenen Stellen positiv hervorgehoben). Multilateralismus also à la carte – und immer unter Führung der Vereinigten Staaten.

Es ist interessant, dass auch Hillary Clinton, von den Medien zur Strahlefrau stilisierte Senatorin aus New York, in ihrer Rede die führende Rolle der USA herausstrich. [8] Ihr Vortrag war den Vereinten Nationen gewidmet – ihren Erfolgen und ihren Fehlern (letztere sah sie vor allem in einem zu zögerlichen militärischen Engagement). Er gipfelte in dem emphatischen Bekenntnis, dass die Welt eine bessere und nicht etwa eine schwache UNO brauche. Dies könne aber nur funktionieren, wenn die USA die Führung übernähmen: „America must take the lead...“ Besser hätte der außenpolitische Konsens zwischen den beiden großen Parteien in den Vereinigten Staaten nicht zum Ausdruck gebracht werden können. Dieser Konsens ist so groß, dass es der Präsidentschaftskandidat John Kerry nicht einmal in der Hochphase des Wahlkampfs um das Amt übers Herz gebracht hat, Bushs Kriegspolititik grundsätzlich in Frage zu stellen. Kerry hätte den Irakkrieg lediglich besser vorbereitet, hätte mehr Bündnispartner von der Rechtmäßigkeit des Krieges überzeugt und mehr internationale Unterstützung eingefordert. [9]

All das, so hat es gegenwärtig den Anschein, kann Bush aber auch. Genau diesem Zweck diente die Europatournee der neuen US-Außenministerin Condoleezza Rice wenige Tage vor der Münchner Konferenz. In Paris hat sie in einer Rede am Institut d'Etudes Politiques - Sciences Politiques am 8. Februar 2005 ihre Aufgabe so umschrieben: „Die Vereinigten Staaten sind bereit, mit Europa an unserer gemeinsamen Agenda zu arbeiten - und Europa muss bereit sein, mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten.“ [10] Die Lobeshymnen europäischer Politiker und der Mainstream-Presse hier zu Lande auf „Condi“ (für die Außenministerin gebrauchte Koseform in der Familie Bush) haben weitgehend ausgeblendet, dass Condoleezza Rice als Sicherheitsberaterin ihres Präsidenten die US-Außenpolitik auf einem harten Kurs hielt – Colin Powell war da eher zaudernd aufgetreten – und als Vertreterin der Neocons in der US-Administration gilt. Ihr Besuch in Berlin wenige Tage vor der Pariser Rede glich jedenfalls einem Triumphzug, der geradewegs in die Herzen und Hirne der deutschen politischen Klasse führte; die Presse sprach unisono von „Charme-Offensive“. Bundeskanzler Schröder demonstrierte Einigkeit in fast allen Fragen, insbesondere auch in der aktuell brisanten Frage des iranischen Atomprogramms: Mit Rice sei er z.B. einig, „dass eine atomare Bewaffnung des Irans nicht zugelassen werden dürfe“, heißt es in der Pressemitteilung des Kanzleramts. [11] Ähnliche Übereinstimmung herrschte in Bezug auf Afghanistan, den Nahen Osten und den Irak – wobei hier lediglich die obligatorische Fußnote angebracht wurde, dass keine deutschen Soldaten direkt im Irak eingesetzt würden.

Im Lichte dieses transatlantischen Schulterschlusses, der manche Kommentatoren schon von einer „neuen Ära“ im deutsch-amerikanischen Verhältnis schwärmen ließ, musste die Münchner Rede des Bundeskanzlers [12] wie eine Provokation gewirkt haben. Will Schröder die Axt an die NATO legen und damit gleichsam vollziehen, was der grüne Koalitionspartner in den 80er Jahren mit der „Auflösung der Blöcke“ gefordert hatte (wovon Fischer & Co. Heute aber nichts mehr wissen wollen)? Das nun nicht gerade, aber er will die NATO radikal verändern, „reformieren“. Wenn ihm das eine solche Herzensangelegenheit ist wie die innenpolitische „Reform“ des Sozialsystems, dann könnte am Ende tatsächlich die NATO dabei über die Wupper gehen. Das ist aber nicht vorgesehen. Vielmehr hat Schröder erkannt bzw. jetzt offen ausgesprochen, was schon längst bekannt war, dass die NATO mit ihrem alten (Verteidigungs-)Auftrag und ihren US-dominanten Strukturen nicht mehr zeitgemäß ist. Sie müsse sich in zwei Richtungen verändern:
  • Einmal sind ihre geografischen Grenzen und ihre militärischen Fähigkeiten zu überdenken: „Die strategischen Herausforderungen liegen heute sämtlich jenseits der alten Beistandszone des Nordatlantik-Paktes. Und sie erfordern primär keine militärischen Antworten.“ Mit anderen Worten: Die NATO solle nun auch offen den Schritt von einem Verteidigungsbündnis, das auf den euro-atlantischen Raum entsprechend Art. 6 des Nordatlantikvertrags von 1949 beschränkt bleibt, zu einem Militärpakt vollziehen, der grenzenlos operieren kann. Dieser Militärpakt habe aber primär politische Aufgaben wahrzunehmen. An Stichworten hat Schröder u.a. Umweltkatastrophen wie die kürzliche Flutkatastrophe in Asien sowie „Armut und Unterentwicklung“ genannt.
  • Zum anderen müsse die NATO die mittlerweile eingetretenen Veränderungen in den internen Kräfteverhältnissen angemessener berücksichtigen. Nach dem Ende der Blockkonfrontation haben nicht nur die USA als einzig verbliebene Supermacht ihre Position in der Weltpolitik neu justiert. „Auch mein Land hat das Verständnis seiner internationalen Rolle verändert.“ Vor allem sei der – militärische – Beitrag Deutschlands in Europa und der Welt gewachsen, was Schröder mit der Zahl von 7.000 deutschen Soldaten „in zahlreichen Krisenregionen der Welt“ illustriert. Deutschland sei heute - „im europäischen Verbund“ - „mitverantwortlich für internationale Stabilität und Ordnung“. Aus dieser gewachsenen Verantwortung ergibt sich in Schröders Augen der Anspruch auf mehr „Mitsprache“. Diese könne durch einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und durch veränderte europäisch-amerikanische Beziehungen und Entscheidungsstrukturen erreicht werden.
Nun bleiben die Hinweise, in welche Richtung sich solche Strukturen ändern müssten, im Redemanuskript des Bundeskanzlers nebulös. Konkret ist eigentlich nur der Vorschlag, es möge doch ein „hochrangiges Panel unabhängiger Persönlichkeiten von beiden Seiten des Atlantiks“ berufen werden, das „den Staats- und Regierungschefs von NATO und Europäischer Union bis Anfang 2006 einen Bericht vorlegen“ solle. Das wirklich Brisante an Schröders Vorschlag ist der Kontext, in den er ihn gestellt hat. Wenige Sätze vorher sprach er davon, dass es die Vereinigten Staaten und Deutschland waren, die „Jahrzehnte lang gleichsam die Brückenlager“ des „atlantisches Zusammenwirkens“ darstellten, ganz so, als seien hier zwei gleich wichtige Partner am Werk gewesen. Der Schluss liegt nahe, dass nun auch Deutschland eine den USA vergleichbare Rolle in der Weltpolitik beanspruchen könne.

Es geht also nicht nur darum, das europäisch-amerikanische Verhältnis neu zu bestimmen. Zu Beginn seiner Rede hatte Schröder Deutschland noch in den europäischen Kontext gestellt: „Eine enge transatlantische Bindung ist im deutschen, im europäischen und im amerikanischen Interesse.“ Dennoch fällt auch schon hier die Erstnennung des „deutschen Interesses“ auf. Im weiteren Verlauf der Rede spielt die EU keine Rolle mehr, wenn sie erwähnt wird, dann nur als Projektionsfläche für deutsche Wünsche und als Hintergrundfolie, vor der die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ihren besonderen Glanz entfaltet. So werden beispielsweise die deutschen Beiträge zur „Stabilisierung“ des Irak und Afghanistans und zum Friedensprozess im Nahen Osten hervorgehoben. Und zum Iran wird mit Stolz auf die Verhandlungen hingewiesen, „die wir zusammen mit unseren britischen und französischen Freunden und der Europäischen Union führen“ – und die USA sollten sich dieser Initiative gefälligst anschließen. Schröder fast schon im Befehlston: „Ich ermuntere die amerikanische Regierung ausdrücklich, in diesem Einverständnis die diplomatischen Bemühungen der Europäer aktiv zu unterstützen.“

Bundeskanzler Schröder hat schon in mancher Regierungserklärung und Rede zur Außenpolitik von „nationalen Interessen“ gesprochen und die neue Verantwortung der deutschen Außenpolitik in der Welt betont. [13] Er hat aber noch nie so deutlich wie in dieser Rede einen Führungsanspruch in Europa reklamiert und die von Deutschland beherrschte EU strukturell auf eine Ebene mit den USA gestellt. Letzteres könnte man sich gefallen lassen, wenn die Europäer wirklich für eine andere politische Kultur stehen würden, wenn sie der US-amerikanischen Gewaltpolitik eine echte Alternative in Form von zivil orientierten Angeboten zur Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung in der Welt entgegenstellen würden. Davon kann indessen – trotz des von Schröder proklamierten „Primats“ der Politik – nicht die Rede sein. Bei Schröder liest sich das eindeutig militärisch: „Unsere deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ergibt sich aus unserer geographischen und politischen Lage mitten in Europa. Wir gestalten sie in Europa, für Europa und von Europa aus. Es ist im deutschen, aber auch im internationalen Interesse, dass die Europäische Union eine stärkere weltpolitische Verantwortung übernimmt. Der Schritt zur Schaffung eines eigenen politisch-militärischen Instrumentariums mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist daher notwendig.“

Am 22. Februar 2005 besucht der US-Präsident das NATO-Hauptquartier und die EU-Zentrale in Brüssel, am 23. Februar wird Bush mit Bundeskanzler Schröder in Mainz zusammenkommen. [14] Diese erste Auslandsreise des US-Präsidenten George Bush nach seiner zweiten Inauguration verspricht spannend zu werden. Einesteils ist schon die Tatsache, dass Bush als erstes nach Europa kommt, eine Anerkennung des gewachsenen Gewichts der EU in der Welt. Die schier aussichtslose Lage im Irak sowie die massive weltweite Kritik am US-Unilateralismus zwingen Washington zu Zugeständnissen mindestens der politisch-diplomatischen Form nach. Andererseits wird Bush versuchen, die weltpolitischen Ambitionen Deutschlands auf ein normales Maß zurecht zu stutzen. Dabei kann er sich der Unterstützung jener europäischen Staaten sicher sein, die auch schon in der Irakkriegs-Frage sich hinter die USA gestellt hatten und die einem ökonomischen und militärischen Riesen Deutschland in der Mitte Europas mit Respekt, aber auch mit Misstrauen begegnen.

Letztlich geht es in den transatlantischen Zerwürfnissen wohl nicht nur um eine Frage des Wie. Sowohl Frankreich als auch Deutschland haben den Krieg nicht abgelehnt, weil sie das Mittel des Krieges generell ablehnen würden. Bei der alten Kolonialmacht Frankreich, die bis zum heutigen Tag keine Scheu hat, ihre Truppen weltweit zum Einsatz zu bringen, versteht sich das fast von selbst; die deutsche Regierung hat spätestens mit der Beteiligung am völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg ihr militaristische Reifeprüfung abgelegt und (wieder) Anschluss an die anderen imperialistischen Staaten gefunden. Der Widerspruch europäischer Regierungen gegen den Irakkrieg war grundlegenderer Art. Es ging um die Frage, wer sich den Zugang zum irakischen Öl verschafft und in welcher Währung der internationale Ölhandel abgewickelt wird. Auch beim Iran verläuft die Interessenkonstellation zwischen den USA und der EU bzw. Deutschland nicht parallel, somit geht es auch nicht nur um einen Streit um die „Methoden“, wie Jürgen Wagner vermutet. [15] Vielmehr geht es den USA – vereinfacht ausgedrückt – darum, Iran in die Dollarzone zu bringen, Deutschland darum, Iran in der Eurozone zu behalten. [16] Die Atompolitik Teherans, die im Fall einer tatsächlichen militärischen Nutzung der Nukleartechnologie in absehbarer Zeit allenfalls für die Region und für Europa gefährlich werden könnte, ist beiden, den Europäern und den USA, nur ein Vorwand Einfluss auf die Entwicklung im Iran zu nehmen. Dabei erweist sich das konfrontative Vorgehen der gegenwärtigen US-Administration für die Menschheit als wesentlich riskanter als die europäische Strategie des Wandels durch Kooperation.

Die Demonstrationen, die sich am 11. und 12. Februar in München gegen die Sicherheitskonferenz richteten und am 22. und 23. Februar in vielen Städten Europas und in Mainz fortgesetzt werden, tun also gut daran, neben ihrer Kritik an der Weltpolizistenrolle der USA auch die Europäische Union und die Bundesregierung ins Visier zu nehmen. Es ist – leider – nicht so, dass in den USA ausschließlich böse Buben am Werke sind und in Europa das Gute herrscht, wie das Jeremy Rifkin in seinem Buch „Der Europäische Traum“ [17] schreibt. Er vergleicht darin die US-amerikanische mit der (west-)europäischen Gesellschaft und stellt sein Resultat holzschnittartig dichotomisch dar: Hier (in den USA) der ökonomische Individualismus, dort (in Europa) die soziale Verantwortung, hier der Konsumismus, dort die kulturelle Orientierung, hier der unbedingte Glaube an den technischen Fortschritt (Technikwahn), dort eine weit verbreitete Fortschrittsskepsis, hier imperiales Gehabe und Unilateralismus, dort der Primat von Politik und Diplomatie und das Bestehen auf Multilateralismus. Die politischen Klassen in Deutschland oder Europa sind nicht besser als die in den USA, sie haben nur – teilweise – andere Interessen und setzen zu deren Realisierung mitunter unterschiedliche Mittel ein. Die Spaltung der transatlantischen Welt verläuft demnach auch nicht zwischen hüben und drüben, sondern zwischen Regierenden und Nicht-Regierenden, zwischen oben und unten, zwischen Herrschenden und Beherrschten.

Anmerkungen
  1. Der Anfang vom Ende der Münchner Sicherheitskonferenz?
  2. "Münchner Sicherheitskonferenz frisst Kreide"
  3. Andreas Fischer-Lescano: Rechtsrealität versus Realpolitik
  4. Der Kriegsverbrechen beschuldigt
  5. Bundesanwaltschaft wird nicht gegen US-Verteidigungsminister Rumsfeld ermitteln
  6. Vgl. z.B.: Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof weist Anzeige gegen Bundesregierung zurück
  7. Donald H. Rumsfeld: Security in the Middle East: New Challenges for NATO and EU
  8. "We need a better U.N., not a weaker one"
  9. Vgl. z.B.: John Kerry: "Colossal Failures of Judgment"
  10. Condoleezza Rice: Wir müssen ein neues Kapitel in unserem Bündnis aufschlagen
  11. Bundeskanzler Gerhard Schröder trifft US-Außenministerin Condoleezza Rice, Pressemitteilung 04.02.2005
  12. Gerhard Schröder: "Die strategischen Herausforderungen erfordern primär keine militärischen Antworten"
  13. Vgl. z.B. Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder vom 11. Oktober 2001
  14. Siehe dazu unser Dossier: „Bush in Deutschland“
  15. Ohne Krieg kein Profit
  16. Clemens Ronnefeld: Syrien, Iran, Nordkorea - Wer ist als Nächster dran?
  17. Jeremy Rifkin, Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht. Aus dem Englischen von Hartmut Schickert; Campus: Frankfurt/New York 2004.
    Horst-Eberhard Richter bezieht sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen in seinem Referat auf der Münchner Friedenskonferenz allzu positiv auf Rifkin. (Siehe: H.-E. Richter: Feindbild Islamismus.)



Zu anderen Berichten von der Sicherheitskonferenz

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zu unserem Dossier: "Bush in Deutschland"

Zur Europa-Seite

Zur Außenpolitik-Seite

Zurück zur Homepage