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Aachener Friedenspreis 2008 geht an MachsomWatch (Israel) und Pfarrer Dr. Mitri Raheb (Palästina) sowie an Prof. Dr. Andreas Buro (Deutschland)

Die Preise wurden am 1. September (Antikriegstag) überreicht. Bericht über die Preisträger

Die israelische Frauenorganisation MachsomWatch erhält gemeinsam mit dem Palästinenser und evangelischen Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb, den internationalen Aachener Friedenspreis 2008. Der nationale Aachener Friedenspreis geht an Prof. Dr. Andreas Buro.



Die diesjährigen Preisträger setzen sich auf ihre jeweils eigene Weise vorbildlich "von unten" für den Frieden und für eine zivile und gewaltfreie Lösung von Konflikten ein.

MachsomWatch ist eine Freiwilligenorganisation israelischer Frauen. Sie wurde 2001 von drei Frauen gegründet, um den Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser an den Kontrollposten der israelischen Armee im besetzten Palästina entgegen zu treten.

Im seit mehr als vierzig Jahren besetzten Westjordanland gibt es gegenwärtig um die 580 Kontrollposten, Schranken und Straßensperren. Einige sind dauerhafte Kontrollstationen, andere sind bewegliche, so genannte "Fliegende Checkpoints" oder auch unbemannte Durchgangssperren in Form von Betonblöcken, Gitterzäunen, Erdwällen oder Gräben. An dreißig dieser Kontrollposten (Checkpoints) im Westjordanland stehen die israelischen Frauen von MachsomWatch. Tag für Tag beobachten und dokumentieren sie das Verhalten der israelischen Soldaten und Polizisten und verteidigen die Menschenrechte der Palästinenser.

Getrennt von den israelischen MachsomWatch-Frauen durch eine acht Meter hohe Mauer mit noch höheren Wachtürmen setzt sich in Bethlehem Pfarrer Dr. Mitri Raheb für das friedliche Zusammenleben von Juden und Palästinensern ein. Für ihn als Christ gehört die "Feindesliebe" dazu. "Den Feind zu lieben, heißt, in ihm trotz des Konfliktes Gottes Geschöpf zu erkennen, das ein Recht auf Leben, Vergebung und Liebe hat, nicht jedoch das Recht, Unrecht zu tun." Mitri Raheb unterhält vielfältige Beziehungen nach Deutschland, Skandinavien und in die USA. Im September 2007 hatte er eine bewegende Unterredung mit dem ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, die dazu beigetragen hat, dass Carter im April 2008 seine Aufsehen erregende Nahostreise antrat.

Neben seinen Aufgaben als Pfarrer entwickelte Mitri Raheb mit seiner Gemeinde in einem mit der Zeit erstaunlich gewachsenen Gebäudekomplex ein weit gefächertes Angebot an Bildungszentren, Betrieben und touristischen Einrichtungen für internationale Gäste.

Die Biographie von Prof. Dr. Andreas Buro liest sich wie die Geschichte der Friedensbewegung nach 1945. Er war bei allen wichtigen Etappen dabei, manche - wie den Ostermarsch - hat er mitinitiiert.

Sein wichtigster Beitrag zur deutschen Friedensbewegung ist die Entwicklung der Zivilen Konfliktbearbeitung als Alternative der Friedensbewegung zu Militäreinsätzen. Mit diesem Ansatz kann die Friedensbewegung über die Forderung nach Truppenrückzug hinaus konstruktive Positionen für Konfliktlösungen erarbeiten.

Beispiele für konkrete Vorschläge zur zivilen Konfliktbearbeitung hat Prof. Dr. Andreas Buro gemeinsam mit weiteren Autoren in seinen "Monitoring-Dossiers" für die Kooperation für den Frieden erarbeitet. Bisher liegen Dossiers vor für Iran, Türkei/Kurdistan, Israel/Palästina. In Arbeit ist ein Dossier für Afghanistan, dem aktuellen Schwerpunktthema der deutschen Friedensbewegung.

Seine Konzeption zielt darauf, einen Ausweg aus der militärischen Konfrontation zu eröffnen, Frieden und Kooperation zu fördern sowie Sicherheit im Lande zu stärken.

Der Aachener Friedenspreis ist mit je 1.000 Euro dotiert und wird am 1. September verliehen. Zur Preisverleihung sind - wie in jedem Jahr - alle Bürgerinnen und Bürger herzlich eingeladen.

Quelle: Website des Aachener Friedenspreises; www.aachener-friedenspreis.de


Kurzporträts der Preisträger

MachsomWatch (Israel)

MachsomWatch ist eine Freiwilligenorganisation israelischer Frauen. Sie wurde 2001 von drei Frauen gegründet, um den Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser an den Kontrollposten der israelischen Armee im besetzten Palästina entgegen zu treten.

Im seit mehr als vierzig Jahren besetzten Westjordanland gibt es gegenwärtig um die 580 Kontrollposten, Schranken und Straßensperren. Einige sind dauerhafte Kontrollstationen, andere sind bewegliche, so genannte "Fliegende Checkpoints" oder auch unbemannte Durchgangssperren in Form von Betonblöcken, Gitterzäunen, Erdwällen oder Gräben. Auf der Konferenz von Annapolis im November 2007 versprach der Israels Ministerpräsident Olmert, 50 Absperrungen aufzuheben. Wie viele andere Zusagen wurde auch diese nicht eingehalten.

Die israelische Regierung behauptet, die Sperren dienten der Sicherheit Israels. Die allermeisten Sperren aber liegen mitten im besetzten Gebiet. Tatsächlich sind sie dazu gemacht, die Palästinenser zu unterdrücken. Sie rauben ihnen die Bewegungsfreiheit im eigenen Land, sie zerreißen ihr Alltagsleben. Der Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Schulen und Universitäten ist erheblich erschwert, der Zusammenhang unter den Familien, die sozialen, kulturellen und religiösen Beziehungen sind drastisch eingeschränkt. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind katastrophal: Mehr als 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind arbeitslos; die Menschen sind auf die Nahrungsmittelhilfe der Vereinten Nationen (UNRWA) angewiesen. Die Übergriffe der Besatzungsmacht, die täglichen Tötungen, Enteignungen, Hauszerstörungen werden von den Vereinten Nationen regelmäßig im Internet dokumentiert.

An dreißig dieser Kontrollposten (Checkpoints) im Westjordanland stehen die israelischen Frauen von MachsomWatch. Tag für Tag beobachten und dokumentieren sie das Verhalten der israelischen Soldaten und Polizisten und verteidigen die Menschenrechte der Palästinenser. Ihre Berichte sind im Internet (www.machsomwatch.org/en) nachlesbar. Mit ihrer friedlichen, betont gewaltfreien Anwesenheit an den Kontrollposten sagen die Frauen: "Weg mit den Checkpoints! Weg mit der Besatzung!"

Eine der drei Gründerinnen der Organisation ist Yehudit Keshet, deren Buch "CheckpointWatch - Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina" vor wenigen Monaten auch auf Deutsch erschien. Darin kommen die israelischen Frauen zu Wort, aus deren Protokollen sich ein erschütterndes Bild vom Leben der Palästinenser unter der Militärbesatzung ergibt. Daran knüpft die Verfasserin eine schonungslose Analyse der Folgen, die vierzig Jahre Besatzung Palästinas für die israelische Gesellschaft und die politische Entwicklung im Nahen Osten haben.

Ihr Buch schließt mit den Worten: "Die MachsomWatch-Frauen, bei all ihrer Verschiedenartigkeit, versuchen immer noch, die gerechte Gesellschaft zu schaffen, von der so viele von uns geträumt haben. Die Bereitschaft zu protestieren, die Stimme gegen die Missetaten zu erheben und dafür zu sorgen, dass die Wahrheit ans Licht kommt, das hat seinen Wert in sich selbst. Zum Handeln braucht man Zuversicht, auch wenn das Ergebnis des Handelns ungewiss ist und das Ringen endlos scheint. Es kommt darauf an, weiter zu kämpfen. Manchmal ist der Weg wichtiger als das Ziel."

Der Zukunft ihrer Kinder und nachfolgender Generationen sei ihre Friedensarbeit gewidmet erklärt Dr. Rahel-Roni Hammermannn ihr Engagement. "Man kann nicht gegen Antsemitismus sein, wenn man - als Jude - die Unterdrückung eines anderen Volkes toleriert."


Pfarrer Dr. Mitri Raheb (Palästina)

Über Mitri Rahebs Friedensengagement schreibt der Bischof der ev. Landeskirche in Pommern, Dr. Abromeit:

"Seit nunmehr 15 Jahren tritt Mitri Raheb für seinen Traum vom friedlichen Zusammenleben der beiden Völker, von Juden und Palästinensern ein. Dieser Traum ist nach Raheb nicht ohne Widerstand, allerdings immer gewaltlosen Widerstand, zu erreichen.
Zu diesem Widerstand gehört für ihn auch als ev.-luth. Christen die Feindesliebe - so wie sie Jesus praktiziert hat - hinzu. "Den Feind zu lieben, heißt, in ihm trotz des Konfliktes Gottes Geschöpf zu erkennen, das ein Recht auf Leben, Vergebung und Liebe hat, nicht jedoch das Recht, Unrecht zu tun."


Nach den Wahlen in Palästina im Januar 2006 schrieb Mitri Raheb "Wenn eine ,Ein Staaten Lösung' z.Z. nicht zur Diskussion steht und sich die ,Zwei Staaten Lösung' nicht durchsetzen lassen sollte, bleibt demnach nichts anderes als dieses: die Westbank wird wie ein Stückchen Emmentaler Käse aussehen, wobei Israel den Käse (das Land) bekommt, die Palästinenser aber in die verbleibenden Löcher hinter Mauern verdrängt werden. Die kommenden eineinhalb Jahre bieten eine letzte Chance für Frieden. Wenn sie nicht wahrgenommen wird, dann helfe uns Gott."

Heute, fast ein Jahr nach Ablauf dieser Frist, ist Mitri Raheb für den Aachener Friedenspreis einer der Hoffnungsträger in der Region.

Mitri Raheb wurde am 26.6. 62 in Bethlehem geboren. Seine Familie ist seit Jahrhunderten in Bethlehem ansässig. Er studierte und promovierte an der Universität in Marburg evangelische Theologie. Seit 1988 ist er lutherischer Pastor an der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche (nicht Geburtskirche) in Bethlehem. Er unterhält vielfältige Beziehungen nach Deutschland, Skandinavien und in die USA. Im September 2007 hatte er eine bewegende Unterredung mit dem ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, die sicherlich mit dazu beigetragen hat, dass Carter im April 2008 seine Aufsehen erregende Nahostreise antrat.

Neben seinen Aufgaben als Pfarrer entwickelte Mitri Raheb mit seiner Gemeinde in einem mit der Zeit erstaunlich gewachsenen Gebäudekomplex ein weit gefächertes Angebot an Bildungszentren, Betrieben und touristischen Einrichtungen für internationale Gäste.

So eröffnete er 1992 in Betlehem das Abu Gubran Gästehaus mit einem Programm des Authentischen Tourismus. 1995 entstand ein internationales Begegnungszentrum (International Center of Bethlehem) und 1999 ein Zentrum für Kunsthandwerk. Die im Jahre 2000 gegründete Schule Dar al Kalima bietet eine Alternative zum herkömmlichen palästinensischen Schulsystem und gilt als Musterschule. Sie wurde 2005 um die Al-Kalima-Akademie, eine interkulturelle Einrichtung der Erwachsenenbildung ergänzt.

2002 drangen israelische Soldaten in das internationales Begegnungszentrum ein und richteten einen Schaden von 500.000 US-Dollar an. Mitri Raheb ließ sich nicht entmutigen. Mit seiner Devise "Invasion kann sein, Kontinuität muss sein", machte er sich an die Reparaturarbeiten. Bereits 2003 folgten ein Kultur- und Konferenzzentrum, ein Medienzentrum sowie ein Gesundheits- und Wellness-Zentrum. Im vergangenen Jahr wurde schließlich der Grundstein für den neuen Gebäudekomplex eines College gelegt.

Mitri Raheb avancierte im Zuge dieser Entwicklungen zum Präsidenten des Diyar Konsortiums, einer Gruppe lutherisch basierter und zugleich ökumenisch ausgerichteter Institutionen, die der palästinensischen Gesellschaft Dienstleistungen "von der Wiege bis zum Grab" anbieten und zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen haben.


Prof. Dr. Andreas Buro

Prof. Dr. Andreas Buro, der am 15. August 2008 seinen 80. Geburtstag feiert, gilt als eine der herausragenden Persönlichketen der deutschen Friedensbewegung. Seine Biographie liest sich wie die Geschichte der Friedensbewegung nach 1945. Er war bei allen wichtigen Etappen dabei, manche -- wie den Ostermarsch -- hat er mitinitiiert.

Sein wichtigster Beitrag zur deutschen Friedensbewegung ist mittlerweile die Entwicklung der Zivilen Konfliktbearbeitung als Alternative der Friedensbewegung zu Militäreinsätzen. Mit diesem Ansatz kann die Friedensbewegung über die Forderung nach Truppenrückzug hinaus konstruktive Positionen für Konfliktlösungen erarbeiten.

Beispiele für konkrete Vorschläge zur zivilen Konfliktbearbeitung hat Prof. Dr. Andreas Buro gemeinsam mit weiteren Autoren in seinen "Monitoring-Dossiers" für die Kooperation für den Frieden erarbeitet. Bisher liegen sie vor für Iran, Türkei/Kurdistan, Israel/Palästina, geplant ist ein Dossier für Afghanistan.

Die Verleihung des Aachener Friedenspreises an Prof. Dr. Andreas Buro würdigt daher nicht nur eine überaus verdiente Persönlichkeit der deutschen Friedensbewegung, sondern leistet darüber hinaus vor allem einen Beitrag, die Alternativen der Zivilen Konfliktbearbeitung im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.

Was ist Zivile Konfliktbearbeitung?

Die von Prof. Andreas Buro maßgeblich entwickelte Zivile Konfliktbearbeitung ist der bewusste Einsatz nicht-militärischer Mittel zur Vermeidung, Beilegung und Nachsorge gewaltsamer Auseinandersetzungen. Sie ist ein weites Aufgabenfeld und zugleich ein Gesamtsystem von Institutionen und Mitteln. Der Grundgedanke ist die Suche nach Lösungen, die für alle Beteiligten eines Konfliktes akzeptabel sind.

Die Zivile Konfliktbearbeitung ist von der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden und zu fördern, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Auf keinen Fall sind Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung in militärische Maßnahmen einzuordnen oder diesen unterzuordnen.

Folgende Instrumente der Zivilen Konfliktbearbeitung können z.B. genutzt werden:
  • Frühwarnsysteme, die rechtzeitig vor einem gewaltsamen Ausbruch warnen und Möglichkeiten aufzeigen, wie gewaltverhütend eingegriffen werden kann, werden aufgebaut, bzw. bestehende wie das Konfliktverhütungszentrum der OSZE in Wien werden unterstützt.
  • Im Zentrum dieser Arbeit steht die genaue Beobachtung der Konfliktgegenstände, der Anliegen der Konfliktparteien, der Gefahren der Eskalation sowie der Sichtweisen aller Beteiligten. Ebenso wichtig ist das Monitoring, d.h. die Beobachtung und Überwachung umstrittener Ereignisse, z.B. von Wahlen, um damit internationale Präsenz zu zeigen, zu dokumentieren und Öffentlichkeit herzustellen.
  • Mit Hilfe von stiller Diplomatie können indirekte Kontakte zwischen Konfliktparteien etabliert oder Verhandlungsvoraussetzungen geschaffen werden. (z.B. einen Verhandlungsort zur Verfügung stellen). Mediation kann angeboten werden, um in den Verhandlungsvorgang vermittelnd einzugreifen. Diese Aufgabe kann von Organisationen wahrgenommen werden (wie St. Egidio bei der Vermittlung im Bürgerkrieg von Moçambique), auch von staatlichen Institutionen (wie dem norwegischen Außenministerium bei der Vermittlung zwischen Israel und der PLO).
Zivile Konfliktbearbeitung kostet Geld. Dieses Geld kann und muss aus dem bisher vom Verteidigungsministerium genutzten Etat entnommen werden. Das wäre ein ganz konkreter Beitrag in Richtung Abrüstung.



Vgl. auch unsere Berichte zu vorangegangene Preisverleihungen 2001, 2002, 2003, 2004 und 2004.


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