"Die Solidarität mit Israel ist ein unaufgebbarer Teil der deutschen Staatsräson"
Dokumentiert: Die Antisemitismus-Resolution des Deutschen Bundestags
Anlässlich der 70. Wiederkehr der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verabschiedete der Deutsche Bundestag einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen. Auf Betreiben der CDU/CSU war die Fraktion der LINKEN als Mitunterzeichnerin des Antrags ausgeschlossen worden. Das hinderte die LINKE nicht, denselben Antrag unter eigenem Namen ebenfalls einzubringen und verabschieden zu lassen. Ein geschickter taktischer Schachzug der Linksfraktion, die damit aber in der Sache weitgehende Zugeständnisse an den Vierparteien-Konsens macht. Wir verweisen in dem Zusammenhang auf einen Artikel des israelischen Soziologen, Historikers und Philosophen Moshe Zuckermann, der die Resolution und insbesondere das darin enthaltene Bekenntnis zur "deutschen Staatsdoktrin" einer grundlegenden Kritik unterzieht (siehe: Verdinglichte Sühne). Die "Staatsdoktrin" war bereits früher Gegenstand einer Kontroverse zwischen dem Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, der in einer programmatischen Rede diesen Begriff für sich reklamierte, und einer Gruppe von Mitgliedern eines Arbeitskreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die dies kritisierte (beides hier: "Über die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel, Antisemitismus und Staatsräson").
Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode
Drucksache 16/10775
04.11.2008
Antrag
der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Über sechs Jahrzehnte nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und 70 Jahre nach den Schrecken der Reichspogromnacht am 9. November 1938 hat jüdisches Leben in Deutschland wieder neue Wurzeln geschlagen. Der Aufschwung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in Deutschland ist ein Grund zu großer Freude. Neben Kindergärten, Schulen und anderen sozialen und kulturellen Einrichtungen dokumentiert insbesondere der Aufbau neuer Synagogen diese positive Entwicklung. Dank gebührt den zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteuren, die den Wiederaufbau von Synagogen ermöglicht haben.
Staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen zeigen großes Engagement in der Bekämpfung des Antisemitismus und der Förderung jüdischen Lebens in Deutschland. Der Deutsche Bundestag begrüßt die institutionelle und finanzielle Förderung des Judentums in all seiner Vielfalt durch den Bund, die Länder und Kommunen, insbesondere den neuen Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Bund über die erhöhte Förderung der Arbeit des Zentralrats, sowie die Förderung des Abraham Geiger Kollegs durch das Bundesministerium des Innern und die Kultusministerkonferenz.
Trotz dieser Fortschritte ist Antisemitismus noch immer ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem in Deutschland, das vereinzelt selbst bei Sportereignissen zu beobachten ist. Sämtliche jüdischen Einrichtungen in Deutschland werden besonders gesichert und stehen oftmals unter dauerhaftem Polizeischutz. Jahr um Jahr werden in Deutschland Straftaten begangen, die sich gegen Jüdinnen und Juden richten. Im Jahr 2007 wurden laut Verfassungsschutzbericht 1 541 antisemitische Straftaten registriert; darunter waren 59 Gewalttaten.
Grund zur Sorge gibt, dass Antisemitismus in allen Schichten der Bevölkerung zu finden ist. Oft geht er mit Antiamerikanismus und Antizionismus einher.
Die Solidarität mit Israel ist ein unaufgebbarer Teil der deutschen Staatsräson. Wer an Demonstrationen teilnimmt, bei denen Israelfahnen verbrannt und antisemitische Parolen gerufen werden, ist kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. Die Solidarisierung mit terroristischen und antisemitischen Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah sprengt den Rahmen zulässiger Kritik an der israelischen Politik.
Neue Formen des Antisemitismus treten zunehmend in der islamistischen Gedankenwelt auf. Dieser arabische und islamische Antisemitismus ist eine globale Gefahr. Erwähnt seien nur die Reden des iranischen Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der in diesen immer wieder die „Tilgung Israels von der Landkarte“ fordert.
Antisemitismus ist aber kein auf den politischen Extremismus begrenztes Phänomen und muss konsequent und auf breiter Front von Staat und Zivilgesellschaft bekämpft und in seiner Verbreitung gehemmt werden.
Eine besondere Beachtung sollte dabei den Lehrplänen in den Schulen zukommen. Neben der Vermittlung von Geschichtsbewusstsein und dem bewussten Umgang mit historischem Wissen geht es auch um ethische Erziehung. Die Ablehnung des Antisemitismus darf nicht nur erlernt werden, sondern sie muss auch verinnerlicht werden. So können Jugendliche und Kinder gegen antisemitische Einstellungen immunisiert und Werte wie Menschenwürde und demokratisches Bewusstsein verankert werden.
Darüber hinaus ist es von außerordentlicher Bedeutung, umfassende Kenntnisse über die Funktionsbedingungen unserer Demokratie zu vermitteln. Damit sollen Jugendlichen Elemente der Demokratie und ihre herausragende Bedeutung für die Grundfreiheiten, die freie Selbstbestimmung und Willensbildung sowie Willensbetätigung begreiflich gemacht werden. Ziel ist es, dass sich junge Menschen bewusst und aus eigenem Antrieb von auf Vorurteilen basierenden feindlichen Haltungen distanzieren.
Bei einem Expertenforum zu Antisemitismus am 25. Januar 2008 im Deutschen Bundestag sprach die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel von der wichtigen politischen Aufgabe „Antisemitismus und Gewalt wirklich zu ächten und das auch der jungen Generation durch eigenes Handeln sehr, sehr deutlich zu machen“.
Denn Antisemitismus stellt nicht nur eine Gefahr für unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dar, sondern auch für unsere grundlegenden Werte der Demokratie, der Vielfalt sowie der Achtung und Wahrung der Menschenrechte.
Angesichts leider immer noch stark verbreiteter antisemitischer Vorurteile in der Bevölkerung, dem hohen Aufkommen antisemitischer Hetze im Internet, der unverändert hohen Zahl antisemitisch motivierter Straftaten sowie dem Fortbestand antisemitischer Mythen und Klischees im öffentlichen Diskurs ist es unabdingbar, den Ursachen und Symptomen des Antisemitismus mit unvermindertem Einsatz zu begegnen.
Hierzu ist ein langer Atem erforderlich. Vom Bund finanziell unterstützte Projekte gegen den Antisemitismus können deshalb nur dann dauerhaft erfolgreich sein, wenn sie gesamtgesellschaftliche Unterstützung erfahren und längerfristig finanziert sind. Modellprojekte, welche sich im Kampf gegen den Antisemitismus bewährt haben, sollten finanziell dauerhaft abgesichert sein.
Die Gefahren des Antisemitismus waren deshalb wiederholt Thema in Debatten des Deutschen Bundestages und der Befassung in Gremien, zuletzt in einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 16. Juni 2008. Gegenstand war u. a. die regelmäßige Erstellung eines Antisemitismusberichtes.
II. Der Deutsche Bundestag beschließt,
die Berücksichtigung und Verwendung der
Arbeitsdefinition von Antisemitismus des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, für die Arbeit staatlicher Behörden zu empfehlen.
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
das jüdische Leben in Deutschland in all seinen Ausprägungen weiterhin intensiv politisch zu unterstützen und zu schützen, indem
-
ein Expertengremium aus Wissenschaftlern und Praktikern beauftragt wird, in regelmäßigen Abständen einen Bericht zum Antisemitismus in Deutschland zu erstellen und dabei Empfehlungen zu geben, wie Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus entwickelt und weiterentwickelt werden können;
- der Aufbau und die Pflege jüdischer akademischer, kultureller und gesellschaftlicher Institutionen mit Haushaltsmitteln des Bundes gefördert werden, z. B. der Aufbau der Hebraic Graduate School of Europe in Berlin;
- dafür geworben wird, dass Lehrpläne in Schulen um Themen zum jüdischen Leben, zur jüdischen Geschichte und zum heutigen Israel erweitert werden und daneben weitere Kenntnisse für ein Demokratieverständnis vermittelt werden, das Kinder und Jugendliche selbstbewusst und frei von judenfeindlichen Einstellungen handeln lässt;
- geprüft wird, ob die bestehenden Bundesprogramme gegen Antisemitismus den Schutz von Opfern antisemitischer Straftaten ausreichend berücksichtigen und indem die Bundesprogramme auch in diesem Sinne erweitert und verstärkt werden. Dabei ist auch im ersten Quartal 2009 zu prüfen, wie die Finanzierung besonders wichtiger und erfolgreicher Modellprojekte gegen Antisemitismus dauerhaft abgesichert werden kann;
- die Bemühungen intensiviert werden, um auf ein Ende der Verbreitung antiisraelischer und antisemitischer Propaganda in Deutschland über Drittstaaten-Satelliten hinzuwirken.
IV. Der Deutsche Bundestag verpflichtet sich erneut,
jeder Form des Judenhasses und des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen zu begegnen. Wir sind glücklich darüber, wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland zu haben. Ein starkes und vielfältiges Judentum wird das Zusammenleben in Deutschland und Europa reicher und den Zusammenhalt in Europa fester machen.
Berlin, den 4. November 2008
Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/107/1610775.pdf
Zurück zur Seite "Rassismus, Antisemitismus und Neofaschismus"
Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"
Zur Israel-Seite
Zu anderen Bundestags-Debatten
Zurück zur Homepage