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LINKE lässt sich Israel-Kritik nicht verbieten

Bundestagsfraktion fasste weiteren Beschluss zum Thema Antisemitismus und geht auf Parteilinke zu

Von Wolfgang Hübner *

Die Linksfraktion im Bundestag hat gestern (28. Juni) erneut einen Beschluss zum Thema Israel-Kritik und Antisemitismus verabschiedet. Der Text mit dem Titel »Kritik an israelischer Regierungspolitik ist kein Antisemitismus« fand eine deutliche Mehrheit.

In dem vom Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi vorgelegten Beschlusstext heißt es, die Linksfraktion werde auch künftig die Politik Israels gegenüber den Palästinensern kritisieren, »wann immer dies wegen deren Völker- und Menschenrechtswidrigkeit notwendig ist«. Das betreffe die israelische Besatzungspolitik, die Blockade des Gaza-Streifens und die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten sowie die Weigerung der israelischen Regierung, »konstruktiv an einer Zwei-Staaten-Lösung mitzuwirken«. Es sei nicht hinnehmbar, wenn einer derartigen Kritik mit dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet werde. »Wir werden nicht zulassen, dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden, wenn sie eine solche Politik der israelischen Regierung kritisieren.« Im übrigen schade die inflationäre Verwendung des Begriffs Antisemitismus dem Kampf gegen ihn. Wie schon beim ersten Fraktionsbeschluss zum Thema Antisemitismus am 7. Juni werden auch diesmal wieder die Mitglieder und Mitarbeiter der Bundestagsfraktion ausdrücklich aufgefordert, die festgeschriebenen Positionen zu unterstützen.

Für den gestrigen Beschluss stimmten 45 Abgeordnete, es gab sechs Gegenstimmen und elf Enthaltungen. Einige Enthaltungen wurden, so Fraktions-Pressesprecher Hendrik Thalheim gegenüber ND, damit begründet, dass manche Abgeordnete sich genauere Beschreibung dessen wünschten, was unter antisemitischer Kritik zu verstehen sei. An der Abstimmung nahmen alle anwesenden Abgeordneten teil – anders als beim ersten Beschluss verließ niemand aus Protest vorzeitig die Beratung.

Unmittelbar vor der gestrigen Fraktionssitzung hatte Gregor Gysi bei einer Pressekonferenz bekräftigt, dass die LINKE nicht antisemitisch, sondern »durch und durch antifaschistisch ist«. Nachfragen zum Thema wollte er nicht beantworten. »Ich weiß, es ist Ihr Lieblingsthema«, sagte er den Journalisten. »Meins ist es nicht.« Gysi verwies darauf, dass seine Fraktion als einzige im Bundestag einen Antrag zur Anerkennung eines palästinensischen Staates gestellt hat. Der Bundestag wird am Freitag (1. Juli) darüber beraten.

Der neuerliche Beschluss soll das Verhältnis zu Israel klarstellen und den umstrittenen ersten Beschluss ergänzen, der neben einer grundsätzlichen Absage an »jede Form von Antisemitismus« drei Forderungen enthält: Linksabgeordnete und Fraktionsmitarbeiter sollen sich demnach nicht an Boykottforderungen gegen israelische Produkte, an der diesjährigen Gaza-Flottille sowie an Initiativen für eine Ein-Staat-Lösung in Nahost beteiligen. Der Beschluss war einstimmig gefasst worden; eine Reihe von Abgeordneten hatte den Saal vor der Abstimmung verlassen.

Ein Antrag, die gestrige Beschlussfassung zu verschieben, um Zeit »für eine seriöse Befassung mit dem Thema« zu gewinnen, fand keine Zustimmung. Mit dem neuen Beschluss geht die Bundestagsfraktion auf Kritiker des ersten Beschlusses in der Parteilinken und an der Basis zu.

Inzwischen mehren sich die Stimmen in der LINKEN – namentlich aus dem so genannten Reformerflügel – für ein Bekenntnis der Partei zum Existenzrecht Israels. Laut Parteichefin Gesine Lötzsch ist das seit langem eine klare Position der Partei – nun soll sie im künftigen Parteiprogramm festgeschrieben werden. Der Parteivorstand werde dem Programmparteitag, der im Herbst in Erfurt stattfindet, einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten, hatte Lötzsch am Montag erklärt. An diesem Wochenende will der Vorstand einen überarbeiteten Programmentwurf verabschieden.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2011

Kritik an israelischer Regierungspolitik ist kein Antisemitismus

Beschluss der Fraktion DIE LINKE vom 28. Juni 2011

Kritik an israelischer Regierungspolitik ist kein Antisemitismus. Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion DIE LINKE tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf.

Die Mitglieder der Bundestagsfraktion erklären, bei all unserer Meinungsvielfalt und unter Hervorhebung des Beschlusses des Parteivorstandes gegen Antisemitismus vom 21. Mai 2011: Wir werden als Linke weiterhin die Politik der israelischen Regierungen gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern öffentlich kritisieren, wann immer dies wegen deren Völker- und Menschenrechtswidrigkeit notwendig ist. Das betrifft die israelische Besatzungspolitik, die Blockade gegenüber dem Gazastreifen und die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten ebenso wie die Weigerung der israelischen Regierung, konstruktiv an einer Zweistaatenlösung mitzuwirken, stattdessen diese zu erschweren.

Es ist nicht hinnehmbar, wenn einer derartigen Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet wird. Wir werden nicht zulassen, dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden, wenn sie eine solche Politik der israelischen Regierung kritisieren.

Die inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus schadet dem Kampf gegen ihn. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.

Quelle: Website der Fraktion DIE LINKE im Bundestag; www.linksfraktion.de



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