Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zitate der Woche (74 bis 80)

Juni 2004 bis Januar 2005

Zitat Nr. 80, 20. Januar 2005

Inauguration Day I

Die Amtseinführung der Präsidenten in den USA ist der "Inauguration Day". Das ist - erstaunlich - nicht allzuweit von der sprachlichen Herleitung dieser Begrifflichkeit:
Ein Augur war ein römischer Priester, der zu ergründen hatte, ob ein vom Staat geplantes Unternehmen den Göttern genehm sei. Er verkündete den Götterwillen, den er aus dem Flug und dem Geschrei der Vögel las (Vogelschau, lateinisch auspicium)...
... Die Übertragung des Amts von einem Auguren auf seinen Nachfolger nannte man inauguratio. Diese Bezeichnung lebt als Inauguration für die Einführung hoher Würdenträger fort.

(http://de.wikipedia.org/wiki/Augur)

Bush kann durchaus als eine Art Hohepriester der Kapitalinteressen und des immerwährenden Krieges bezeichnet werden und den Willen dieser Götterwelt entnimmt er den Geschrei der jeweiligen Lobbyisten. Nicht zu vergessen: Bush hat auch seien speziellen Gott, der ihm eingibt, Krieg zu führen. Er sieht sich auch als eine Art Hohepriester und irdischen Vollstrecker dieses Unsichtbaren.

Bedenklich sollte Bush allerdings stimmen, daß die eigentlichen Auguren zu dritt auftraten und dann immer mehr wurden:
Anfangs gab es drei Auguren, später waren es neun. Seit Sulla gab es fünfzehn und seit Caesar sechzehn.
Er hat also Konkurrenz zu fürchten. Doch wer wird es sein? Wer ist es bereits? Wer sind die geheimnisvollen Mit-Auguren? Ist es Putin? Ist es Schröder? Oder der, den man immer für seinen Pudel hält und der auch auffällige religiöse Bezüge hat?

Ein Artikel zum Inauguration Day beschreibt die übliche staatliche Hybris, weniger polemisch auch Sicherheitsvorkehrung genannt:
Zugang haben die erwarteten 500.000 Besucher der Parade und der feierlichen Ablegung des Amtseides nur an 12 Eingängen, an denen sie streng kontrolliert werden und Metalldetektoren passieren müssen. Natürlich ist das Mitführen von Waffen aller Art verboten, aber auch Sprays, Glasbehälter, Thermosflaschen, Rucksäcke, Stäbe für Plakate, Taschen, Laserpointer, Tiere, Fahrräder oder alles, was ein mögliches Sicherheitsrisiko darstellen kann, dürfen nicht mitgenommen werden. Plakate oder andere Gegenstände für Parolen müssen aus Karton oder Stoff sein. Das Gelände um das Kapitol ist weiträumig für den Verkehr geschlossen, auch die U-Bahnen dürfen nicht mehr fahren. Natürlich gibt es eine große Flugverbotszone über Washington, alle Wasserwege um die Stadt werden kontrolliert.

Und es gibt auch den üblichen Verschwörungsplan, rein vorsorglich bereits letztes Jahr bei der Festnahem eines - na, was wohl? richtig: - Al-Kaida-Mitgliedes;
Obgleich Ridge anscheinend noch nichts davon wusste, wurde angeblich in einem 39-seitigen Dokument, das man letztes Jahr in Großbritannien bei einem mutmaßlichen Al-Qaida-Mitglied beschlagnahmt habe, eine mögliche Gefahr für einen Anschlag während der Amtseinführungsfeier entdeckt, sagten die natürlich anonym bleibenden Geheimdienstmitarbeiter der Time. Es soll den Titel tragen "Rough Presentation for Gas Limo Project" und ausführen, wie man eine Limousine in eine Fahrzeugbombe verwandelt, wofür es auch eine Abkürzung gibt: VBIEDS (vehicle-borne improvised explosive devices).
Die Amtseinführungsfeier werde dort zwar nicht explizit erwähnt, aber das Dokument kreise nun in Geheimdienstkreisen. Man habe auch bereits Barrikaden errichtet, um kein verdächtiges Auto durchzulassen. In dem Dokument werde ein Anschlagsplan beschrieben, bei dem drei Limousinen mit geschwärzten Fenstern und mit jeweils 12 oder mehr Gasflaschen beispielsweise in einer Tiefgarage gefahren werden sollen, wohin man mit LKWs nicht kommt. In den Innenraum soll dann das Gas mit geschlossenen Fenstern eingelassen und entzündet werden, um eine mächtige Explosion zu verursachen. Empfohlen wird, die Gasbehälter gelb anzustreichen, um den Eindruck zu erwecken, dass in ihnen giftige Gase enthalten gewesen sein könnten, "um Terror und Chaos zu verbreiten", wenn die Rettungs- und Notfallteams eintreffen.

(telepolis 17.01.2005 [Rötzer]: Limousinen-Terror in Washington? http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19248/1.html)

Wolfgang Kuhlmann, Düsseldorf (FriedensTreiberAgentur (FTA)
Internet: http://FriedensTreiberAgentur.de

Inauguration Day II

Präsidentengegner in den USA wollen zu Beginn von George W. Bushs zweiter Amtszeit Monat die größte Kundgebung seit Jahrzehnten veranstalten. Anlässlich der Feierlichkeiten zu Bushs Inauguration am 20. Januar wollen sich zehntausende Demonstranten zur größten Kundgebung seit der Amtseinführung von Präsident Richard Nixon 1973 in Washington versammeln, teilte ein Dachverband von Anti-Bush-Gruppen, DC Resistance Media, mit. Mehrere Gruppen hätten die Erlaubnis beantragt, auf der National Mall, dem ausgedehnten Grünstreifen vor dem Kapitol in Washington, demonstrieren zu dürfen.

Anstelle einer eingehenden Würdigung des alten und neuen Präsidenten (hier geht es zu seiner Antrittsrede) begnügen wir uns mit ein paar Zitaten:

Ein "hochintelligenter Politiker"
Aber Bush hat zu Recht gewonnen, weil er der bessere Kandidat war als Kerry. Bush ist ein hochintelligenter, überaus effizienter, erfolgreicher demokratischer Politiker. Ich mag ich nicht, ich schätze ihn nicht, aber ich unterschätze ihn auch nicht.
Die europäische und die amerikanische Linke hat mit ihren "Bush ist ein Idiot"-Witzen einen fatalen Fehler gemacht. Bush, der Idiot, hat die Linke für acht Jahre abserviert, und es wäre hoch an der Zeit, sich das einzugestehen. Es ist auch unrichtig, dass er ein Gefangener seiner Berater wäre. Bush war immer sein eigener Herr.

Harvard-Professor Michael Ignatieff im STANDARD-Interview (Der Standard, 18. Januar 2005)

Einen Oscar für Bush!
Bush = Intelligent
exakt!!!
falls die sache mit seiner intelligenz aber tatsächlich stimmt, dann muss bush unbedingt für den oscar als bester schauspieler vorgeschlagen werden!! sich so zu verstellen, ist schon grandios!

(eine Zuschrift zu dem Standard-Interview per e-mail)

Hahahaha
Last night, at the People's Choice Awards, "Fahrenheit 9/11" was named the Best Movie of the Year. It was a stunning moment for us. And, somewhere inside the Bush White House, someone there must have been stunned, too.
21 million people voted in the People's Choice Awards. They chose our film over "Shrek 2," "Spiderman 2" and "The Incredibles." If we can beat that many superheroes, surely we can survive the next four years.
I can think of no greater honor for us this year than the award bestowed upon us last night by the American people. On live television, with no threat of my remarks being censored or cut short, I thanked all of you and the rest of our fellow Americans and dedicated the prize to the parents of our servicemen and women in Iraq, the Lila Lipscombs of America who suffer so profoundly by the reckless actions of the Bush administration. (...)
Thanks again, and now let's get on with the serious work at hand -- winning more awards! Hahahaha. Just kidding. We have an inauguration to attend (www.michaelmoore.com), don't we?

Michael Moore in seinem Newsletter vom 10. Januar 2005

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Zitat Nr. 79, 9. Januar 2005

Schreiben, um die Welt zu weiten

In Memoriam Susan Sontag, 1933-2004

Von Lotta Suter, Boston*
(Auszüge)

Am 28. Dezember ist die amerikanische Essayistin und Schriftstellerin in New York gestorben. Die Meldung über Susan Sontags Tod am 28. Dezember hätte ich beinahe verpasst. Die Titelseite der «New York Times» vom nächsten Tag war dominiert von Bildern und Texten zum Tsunami-Unglück in Südostasien: Fotos von friedlich lächelnden oder furchtbar aufgedunsenen oder von klaffenden Wunden entstellten Gesichtern, alles Fotos, die zwecks Identifizierung der Todesopfer im Rathaus von Phuket aufgehängt worden waren; absurd farbenfrohe Überreste eines zerstörten Hauses südlich von Colombo, Sri Lanka; die Verteilung von Hilfsgütern in Banda Aceh, Indonesien. Weit unten erst ein kleiner Textanriss mit einem Foto der verstorbenen Autorin, nicht viel mehr als ein Passbild. Optisch ausbalanciert wird Susan Sontags Porträt dann durch einen briefmarkenkleinen Blickfang im Inhaltsverzeichnis links unten: eine 350 Dollar teure Sushi-Spezialität aus dem Luxusrestaurant Masa in New York.

Ich denke sofort, dass Susan Sontag dieses Layout gefallen hätte. Die Relativität ihres eigenen Lebens und Sterbens angesichts des Leidens anderer - hier der Tsunami-Opfer - das ist etwas, das sie nicht bloss in ihren Essays durchdacht, sondern auch mit Reisen und Solidaritätsaktionen für Vietnam, Kuba, Sarajewo (wo es bald eine Susan-Sontag-Strasse geben soll), Polen und Palästina/Israel praktiziert hat. Und die virtuelle Nachbarschaft zum delikat und mit Stil zubereiteten Vierstern-Blaubarsch hätte sie, die Autorin der 1964 erschienenen «Notizen zum Camp», einer witzigen und vor-postmodernen Entthronung des Ernstes im Umgang mit Kunst und Leben, bestimmt amüsiert. (...)

(...) Die wenigsten von uns haben gewusst, wie sehr sich die Autorin selber seit 1976 mit der Krankheit Krebs auseinander setzen musste, wie aggressiv und schmerzhaft die Operationen und extremen Bestrahlungen waren, mit denen sie ihr Leben erhalten wollte und jahrzehntelang auch konnte - nicht um jeden, aber doch um einen beachtlich hohen Preis.

Wer will, kann in Sontags Büchern und Essays verfolgen, wie diese Verletzungen ihr Mitgefühl gestärkt haben - nicht in der narzisstischen Form des Selbstmitleids, wozu sie allen Grund gehabt hätte, sondern als Empathie, als Mitleiden mit anderen. Ein Mitleid, das allerdings nach Ansicht der nach eigenen Angaben «besessenen Moralistin» immer mehr sein muss als bloss sentimentale Überidentifikation via TV-Röhre: «Die fingierte Nähe zum Leiden der andern, das durch Bilder geschaffen wird, behauptet eine Verbindung zwischen den weit entfernten Leidenden - die in Nahaufnahme auf dem Fernsehschirm erscheinen - und den privilegierten ZuschauerInnen, die einfach nicht wahr ist. Es ist eine weitere Vertuschung unseres wirklichen Verhältnisses zur Macht (...) Bilder können nur die Hölle zeigen, nicht den Weg hinaus.» Was Sontag in ihrem Buch «Die Leiden anderer betrachten» (2003) über die Kriegsberichterstattung sagt, gilt sinngemäss auch für eine Naturkatastrophe wie die Flutwelle im Indischen Ozean, die, wie die Wirtschaftsblätter frohlocken, zwar viele Menschen erfasst hat, aber kaum die global relevante ökonomische Infrastruktur.
(...)
Erst 1992 schreibt sie ihren dritten Roman «Der Liebhaber des Vulkans» - ein Bestseller, wie auch das 2000 erschienene «In Amerika»: die Geschichte der polnischen Schauspielerin Helena Modjeska, die im 19. Jahrhundert nach Kalifornien emigrierte, um dort eine Kommune ŕ la Fourier zu gründen. Dieses Buch habe ich in der Wochenzeitung damals ziemlich bissig rezensiert: als «Hinwendung von analytischem Scharfsinn zu schriftstellerischer Belanglosigkeit». Ich konnte es Susan Sontag einfach nicht verzeihen, dass sie statt weitere brillante Essays höchst mittelmässige Romane schreibt und diese erst noch höher schätzt als ihre Sachbücher.

Erst bei der Lektüre einer Rede, die Susan Sontag Ende April letzten Jahres anlässlich einer Literaturpreisverleihung in Los Angeles hielt, verstand ich etwas von ihrer Motivation, vom Essay zur Erzählung umzusteigen. Immer noch geht es ihr darum, die Welt für den Einzelnen und für die Menschheit auszuweiten und die Herzensbildung - die Fähigkeit zur Anteilnahme - zu fördern. Doch während sie das in den sechziger Jahren vorab mittels Abbau erstarrter Sehgewohnheiten anstrebte, sieht Susan Sontag jetzt die überwältigende Menge und Ubiquität von Information und Sinneseindrücken als Hindernis für eine weltumspannende Humanität und ein fundiertes moralisches Urteil. Literatur, meint sie, könne heute Verantwortung für die Weltvermittlung übernehmen, weil jede Geschichte die Verbreitung und Gleichzeitigkeit von allem Geschehen in eine Form bringt und dabei ästhetische und moralische Prioritäten reflektiert und setzt. Noch einmal, diesmal mit Belletristik, will uns die Autorin lehren, Spannung wahrzunehmen und auszuhalten zwischen hier und dort, Glück und Unglück, sich und den andern. Es sei nicht «natürlich», sich ständig daran zu erinnern dass die Welt so weit und ausgedehnt sei. Dafür brauche es die Literatur. Oder aber eine Essayistin wie Susan Sontag.

* Der vollständige Nachruf erschien in der Schweizer Wochenzeitung WOZ am 06. Januar 2005

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Zitat Nr. 78, 26. November 2004

"Alles steht jetzt auf unserer Rechnung"

Von Hilal Sezgin*

(...) Am Wochenende ... sprachen sie von und zu uns Muslimen, aus allen Richtungen. Es ging damit los, dass im süddeutschen Raum eine Moschee brannte. Am Freitagabend zeigten alle Fernsehsender, wie Schröder die Muslime zu mehr Integration aufrief. In der Kurzform klang es für mich zunächst so, als meinte er alle, in der Art: "Liebe Leute, bitte lebt alle friedlich zusammen!" Es stellte sich aber heraus, dass er meinte, nur wir, die Muslime, sollten uns besser integrieren. Es ist wie mit den Frauen, die so leichtsinnig sind, kurze Röcke zu tragen, und die dann..., kein Wunder.

Am Samstagabend war wiederum ich so leichtsinnig, erneut die Nachrichten einzuschalten, und musste erfahren, dass Merkel und Stoiber der Situation noch etwas Gutes abgewinnen können: "Seht ihr", triumphierten sie, "das mit Multikulti hat nicht geklappt." Auch der Tatbestand des Scheiterns wurde natürlich nicht der gesamten Bevölkerung, sondern den "ausländischen Mitbürgern" zugerechnet.

Für Sonntag waren wir Muslime aufgerufen worden, in Köln zu demonstrieren gegen Terror und Gewalt. Oh weia, hab ich gedacht, ich wusste gar nicht, dass ich mich irgendwann so geäußert hätte, als wäre ich FÜR Terror und Gewalt! (...)

"Ihr müsst euch wegen Tschetschenien distanzieren", haben mir deutsche Freunde nach der Katastrophe von Beslan gesagt. "Wovon?", hab ich gesagt, "wofür?" Ich dachte, ich mache mich ja lächerlich, wenn ich mich irgendwo hinstelle und sage: "Hört alle her, ich bin dagegen, dass man Kinder erschießt!" - "Stell dir mal vor", würden die anderen Leute sagen und sich völlig zu Recht an die Stirn tippen, "da sind alle vernünftigen Leute dagegen!" Aber die tippen sich gar nicht an die Stirn! Genau so was wird von uns erwartet: "Es wurde auch Zeit, dass die Muslime sich mal zeigen und sagen, dass sie gegen Terror und Gewalt sind", wurde in der Tagesschau eine nette junge Blonde zitiert.

"Ach Kind, du hättest doch trotzdem hingehen können", wirst du jetzt vielleicht aus deinem warmen Spanien sagen, "du immer mit deinem langen Ausschlafen!" Nein, Mama, es lag gar nicht daran; aber es war Totensonntag für die Protestanten. Seit Wochen schon hat unser Kirchenchor entsprechende Lieder eingeübt, um halb zehn morgens haben wir uns zum Einsingen getroffen. Als ich da auf der Empore stand, das Vaterunser in einer Vertonung von Maurice Durufie singend, den Blick abwechselnd auf die Bronzeskulptur eines sterbenden Jesus und unsere Kantorin an der Orgel gerichtet - das Wort "integriert" lag mir bestimmt nicht auf der Zunge, aber ich habe mich geborgen gefühlt.

Solche Momente, befürchte ich, werden immer seltener werden. Am Montag hat der Focus getitelt: "Unheimliche Gäste" - wir sind hier wieder nurmehr zu Gast. Seit dem 11. September 2001 läuft eine Rechnung auf unseren Namen, und es wird alles darauf gesetzt: jeder Anschlag in Kairo. Selbstmordattentate in Israel. Ein malayisches Hotel brennt. Bomben in Moskau - all das, liebe Mama, steht jetzt auf unserer Rechnung. - Ich dachte, das solltest du besser wissen.

Beim obigen Text handelt es sich um einen Auszug aus einem Artikel, der am 24. November 2004 im Feuilleton der Frankfurter Rundschau erschien ("Muslime unter Verdacht"). Die Autorin, eine Redakteurin aus Frankfurt, hat den Beitrag als Brief an ihre Mutter abgefasst.
Die Anspielungen auf Schröder und Stoiber beziehen sich auf deren schroffe Absagen an jede Form von "Parallelgesellschaften", siehe: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder;
Parteitagsrede von Edmund Stoiber.


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Zitat Nr. 77, 21. November 2004

Parallelgesellschaft - Unwort des Jahres?

Die führenden Vertreter des institutionalisierten Rassismus haben hierzulande einen neuen Kampfbegriff in den Wettbewerb um das Unwort des Jahres geworfen. Wenn es vielleicht der "Haßprediger" nicht werden kann, dann vielleicht die "Parallelgesellschaft". Mit diesem Wort werden neuerdings die muslimisch geprägten Communities hierzulande verunglimpft. Es wird damit versucht, das "Fremde", das "Andersartige" als etwas zu stigmatisieren, was sich einer berechtigten Kontrolle entzieht, weil es ohnehin nur Übles im Schilde führt.

Das war vor 4 Jahren noch anders. Der Begriff war positiv besetzt:
Die Finnlandschweden haben ein anderes Modell gewählt, um neben dem staatlichen Schutz - der in seiner Fürsorge fast erdrückend scheint, weil aller Außendruck auf die Minderheit wegfällt - zu existieren. Es gibt eine regelrechte Parallelgesellschaft mit schwedischsprachigen Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Theatern, der Universität Ĺbo Akademi, einem eigenen Bistum, selbst einer eigenen Wehrpflichtigengruppe. Pär Stenbäck vom Finnlandschwedischen Kulturfonds sah diese Parallelität als das eigentliche Überlebensrezept für die Minderheit an, dass man auch allen anderen europäischen Minderheiten empfehlen könne.
(Berliner Zeitung, 01.11.2001 (Bernau): "Lob der Parallelgesellschaft")

Doch regelmäßig, vor allem in jüngerer Zeit, wird dieser Begriff als negativer Kampfbegriff benutzt, beispielsweise hier:
Verfassungsschützer warnen derweil vor einer Parallelgesellschaft. "Islamistische Gruppierungen bieten inzwischen eine Art Rundumbetreuung an, von Frauengruppen bis hin zu Kindergärten", sagte Berlins Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid. Das mache für die Mitglieder dieser Vereine die Integration in die Gesellschaft unnötig.
(Berliner Zeitung, 09.06.2004 (Kopietz): "Angst vor den Islamisten")

Und was bitte sind "islamistische" und was sind "islamische" Gruppierungen? Was sind "katholizistische" oder "evangelizistische"? Ach, diese Begriffe gibt's nicht? Wie aber würden diese Verfassungsschützer denn, nur so als Beispiel, den frommen Mann im Vatikan bezeichnen?

Als Unwort des Jahres mag die "Parallelgesellschaft" keine Chancen haben, weil es ein "altes" Wort ist. Jedoch wird es mit bemerkenswerter Vehemenz wie seinerzeit die "deutsche Leitkultur" - die übrigens sehr verwandt ist - propagiert.

Mit "Parallelgesellschaft" kann die Rechtschreibprüfung meines Mailprogrammes nur ironisch umgehen: es schlägt "Anlagegesellschaft" vor.
Das ist auch nicht übel vermutet: wer diesen Begriff zur Diffamierung benutzt, beweist seine schlechten gesellschaftlichen Anlagen. Wenn dem nicht so sein sollte, bliebe darüber nachzudenken, ob nicht vielleicht die bundesdeutsche machthabende Nomenklatura für sich längst eine Parallelgesellschaft eingerichtet hat.

Wolfgang Kuhlmann in seinem Newsletter "FriedensTreiberAgentur"-FTA Nr. 283/2004 vom 20.11.2004

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Zitat Nr. 76, 3. November 2004

Big Brother Award

Die Internationale Liga für Menschenrechte vergab auch 2004 wieder ihre Big-Brother-Awards an ausgewählte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und dem sonstigen Öffentlichen Leben. Die Preisverleihung fand am 29. Oktober 2004 in Bielefeld statt.
Die durchaus ernst gemeinte Liste der BBA-Gewinner 2004 lautet:

Kategorie Politik

Justizministerin Brigitte Zypries
Justizminsterin Brigitte Zypries erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Politik". Obwohl das Bundesverfassungsgericht im März 2004 den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen für weitgehend verfassungswidrig erklärt hatte, verabschiedete sich die Ministerin nicht etwa von diesem einschneidenden Überwachungsinstrument, sondern wollte es sogar noch ausweiten auf Berufsgeheimnisträger. Nach heftiger öffentlicher Kritik an diesen Ausweitungsplänen hält sie jedoch nach wie vor grundsätzlich am Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung fest. Seine bloße Existenz führt - auch nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts - zu der Gefahr, dass Menschen sich eingeschüchtert fühlen - und das betrifft insbesondere Unschuldige.
Laudator: Dr. Fredrik Roggan

Kategorie Gesundheit und Soziales (neu)

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
Ministerin Ulla Schmidt erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Gesundheit und Soziales" für das GKV-Modernisierungsgesetz. Durch die versichertenbezogenen Datenverarbeitung kommt es zu einer massiven Verschlechterung des Datenschutzes für die Patienten. Diese datenschutzrechtlichen Risiken hätten durch die Verwendung moderner, datenschutzfreundlicher Technik einschließlich der Pseudonymisierung vermieden werden können. Diese Möglichkeiten sind von ihr nicht berücksichtigt worden.
Laudator: Werner Hülsmann

Kategorie Behörden und Verwaltung

Bundesagentur für Arbeit
Frank Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der "Bundesagentur für Arbeit" erhält den Big-BrotherAward in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" für die Ausgabe eines 16seitigen Antragsformulars an Langzeitarbeitslose, mit dem hochsensible Daten teils unzulässig abgefragt werden und Informationen auch unbefugten Stellen zugänglich werden können. Damit verstößt die Bundesagentur massiv gegen den Sozialdatenschutz, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den Grundsatz der Datensparsamkeit. Preiswürdig sind:
  • a) der inquisitorische Fragebogen zur Beantragung von Arbeitslosengeld II (ALG II), auf dem die Antragsteller entblößende Auskünfte über ihre Einkommens-, Vermögens-, Wohn- und Familienverhältnisse sowie über die Lebensverhältnisse Dritter in sog. Bedarfsgemeinschaften offenbaren müssen;
  • b) die mangelhafte Eingrenzung der Fragen, mit denen die Antragsteller zu Informationen verleitet werden, die sie weder machen müssen, noch dürften;
  • c) die Gefahr, dass Unbefugte Einblick in geschützte Daten nehmen können;
  • d) die Unwilligkeit, die fehlerhaften Fragebögen vor 2005 datenschutzgerecht zu überarbeiten, so dass Millionen von Menschen, wollen sie ab Januar 2005 Geld zum Leben erhalten, die alten, datenschutzwidrigen Formulare verwenden müssen;
  • e) die geplanten Datenabgleichsmöglichkeiten mit anderen Dateien anderer Behörden sowie die vermutete bundesweite Zugriffsmöglichkeit auf die teils intimen Daten der Arbeitssuchenden von sämtlichen Arbeitsagenturen aus.
Laudator: Dr. Rolf Gössner

Kategorie Technik:

Canon
Eine im Kopierer gespeicherte Kennummer (Identifikationsnummer) wird unsichtbar auf *allen* Kopien mitausgegeben. Da jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, läßt sich die Herkunft einer Kopie ermitteln. Wird als Funktion verkauft, die das Fälschen von Banknoten, Schecks etc. unterbinden soll. Da jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, läßt sich die Herkunft einer Kopie ermitteln.
Laudator: Frank Rosengart

Kategorie Arbeitswelt

Lidl
Lidl erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Arbeitswelt". Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Besonders auszeichnungswürdig erschien der Jury die heimliche Videoüberwachung in einigen der deutschen Filialen und dass menstruierende Mitarbeiterinnen in Filialen in Tschechien zum Tragen eines Stirnbands verpflichtet worden sind, damit sie die Toilette auch außerhalb der Pausen aufsuchen durften.
Laudatorin: Rena Tangens

Kategorie Kommunikation

Armex
Die Armex GmbH erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Kommunikation". Um ihr Produkt "Track Your Kid" zu verkaufen, nutzt sie diffuse Ängste von Eltern aus und gibt ihnen ein Instrument in die Hand, das Kinder nicht zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, sondern zu willigen Untertanen einer Kontrollgesellschaft erzieht.
Laudator: Karin Schuler

Kategorie Verbraucherschutz

Tchibo direct
Die Tschibo direct GmbH erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Verbraucherschutz". Sie beteuert in ihren Prospekten und im Internet "Alle persönlichen Daten werden vertraulich behandelt." Tatsächlich aber werden angereicherte Adressen der Tchibo-direct-Kundinnen und -Kunden über die Arvarto / AZ direct auf dem Adressenmarkt angeboten.
Laudator: Alvar Freude

Kategorie Regional

Uni Paderborn
Der Rektor der Universität Paderborn, Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Risch, erhält den Regionalpreis der BigBrotherAwards, weil Hörsäle und Uni-Rechnerräume mit Videokameras überwacht werden.
Laudator: padeluun

Weitere Informationen unter: www.bigbrotherawards.de

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Zitat Nr. 75, 9. September 2004

Statistisches, allzu Statistisches

In der Mitteldeutschen Zeitung haben wir einen Artikel gefunden, der sich kritisch mit dem beispiellosen Erfolg der Wählerregistrierung in Afghanistan befasst: Da gibt es nämlich plötzlich mehr registrierte Wähler als Wahlberechtigte! Da darf man auf die Wahl im Oktober gespannt sein.

Die Wählerregistrierung gibt Rätsel auf

Mehr als 100 Prozent der Berechtigten holten ihren Wahlausweis ab

Von Can Merey

Kabul/dpa. Lange schien die Wählerregistrierung in Afghanistan ein Fehlschlag zu werden. Doch dann überraschten die Vereinten Nationen unter dem Beifall der Weltöffentlichkeit mit sensationellen Zahlen, die sich niemand hätte träumen lassen - auch deshalb, weil sich inzwischen mehr als 100 Prozent der geschätzten Wahlberechtigten für die Präsidentenwahl am 9. Oktober registrieren ließen. Entweder lagen die Schätzungen weit ab von jeder Realität, oder massenhafter Betrug hat die Zahlen explodieren lassen.

Die UN waren von Anfang an «kreativ» in der Frage, wie viele Wahlberechtigte es in Afghanistan wohl geben könnte. Als die Registrierung schleppend lief, wurden die zunächst angesetzten 10,5 Millionen auf 9,5 Millionen korrigiert. Ein Erfolg, der dem Westen so wichtig wie der afghanischen Übergangsregierung war, schien zweifelhaft. Auch angesichts der geringen Registrierungszahlen wurde die für Juni geplante Präsidentenwahlen auf Oktober verschoben.

Nach dem 1. Mai 2004 begann eine Art Registrierungsoffensive, in einer beispiellosen Aktion wurden mehr als 4600 Stellen eröffnet, bei denen Afghanen ihren Wahlausweis abholen konnten. Und die Zahlen explodierten förmlich: Als die Registrierungsstellen am 15. August offiziell schlossen, waren bereits die Daten von 9,9 Millionen Personen eingegangen. Bis dahin hatten die Vereinten Nationen ihre Schätzung der Wahlberechtigten stillschweigend wieder auf die Ursprungszahl von 10,5 Millionen nach oben korrigiert.

Doch der Erfolg holte auch diese Schätzung ein. Nach den jüngsten in Kabul veröffentlichten Zahlen der UN ließen sich 10 567 834 Wähler registrieren, und da weiterhin Daten aus den Provinzen eingehen, wird diese Zahl sogar noch steigen. Dass sich aber nicht ausnahmslos alle Wahlberechtigten registrieren ließen, beweist bereits der Frauenanteil.

41,3 Prozent der Wahlausweise wurden an Frauen ausgegeben, deren Anteil an den Wahlberechtigten nach Daten der Statistikbehörde aber eher bei knapp 50 Prozent liegt. Im Süden des Landes hatte sich bis Anfang August in 18 von 44 Distrikten keine einzige der geschätzten 134 975 wahlberechtigten Frauen in die Wahllisten eintragen lassen - obwohl die Registrierungsstellen teils seit Mai geöffnet waren.

So liegt nahe, dass Berichte über Betrüger zutreffen, die sich mehrfach registriert haben und ihre Wahlausweise für harte Dollar anbieten sollen. Zum 9. Oktober will auch Deutschland Wahlbeobachter an den Hindukusch entsenden. Erst dann wird man feststellen, wie fair und frei die Wahlen in Afghanistan tatsächlich sind.

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, Internetausgabe, 30.08.2004

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Zitat Nr. 74, 31. Mai 2004

"In jedem Fremden wohnt ein Gott"

Ryszard Kapuscinski, polnischer Essayist und Bruno-Kreisky-Preisträger 2004, im Interview mit der Wiener Zeitung "DER STANDARD" - Auszüge*

STANDARD:In Ihrer Rede bei der Verleihung des Kreisky-Preises am Montag sagten Sie, das wichtigste Problem der Menschheit im Moment sei nicht, wie manche behaupten, der Kampf gegen den Terrorismus, sondern die ungleich schwerere Aufgabe, möglichst vielen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Ryszard Kapuscinski: Wenn man behauptet, die wichtigste Aufgabe heute sei der Kampf gegen Terrorismus, dann ist das Manipulation. Eine Manipulation insofern, als es die Aufmerksamkeit ablenkt von dem wirklich wichtigsten Problem, mit dem wir uns heute konfrontiert sehen. Milliarden von Menschen fühlen sich durch den Terrorismus überhaupt nicht bedroht. Sie wissen überhaupt nicht, was Terrorismus ist. Aber sie wachen morgens auf und wissen nicht, was sie an diesem Tag essen sollen. Diese Menschen werden aber ausgeblendet. Man will sich nicht mit ihnen befassen . . .

STANDARD:. . . und ihre Probleme nicht lösen.

Kapuscinski: Die reiche Welt möchte die Frage der ungerechten Verteilung des Reichtums nicht lösen. Daher redet sie lieber über Terrorismus. Und die Manipulation wirkt. Die Menschen fragen heute ständig: "Was passiert im Irak?" Der Irak aber ist ein verhältnismäßig kleines Land. Und der Rest der Welt? Das interessiert momentan überhaupt niemanden. Unser Problem ist, dass 263 Menschen einen Reichtum besitzen, der ungefähr 43 Prozent des gesamten Vermögens der Welt ausmacht. Das sind die Verhältnisse, über die wir eigentlich reden sollten. Der Terrorismus ist hier ein Ablenkungsmanöver.

STANDARD:Worauf, denken Sie, sollte man den Fokus der Weltöffentlichkeit richten - jenseits von Irak und Nahem Osten?

Kapuscinski: . . . es ist klar, dass eine der größten Veränderungen der gegenwärtigen Situation der Weltpolitik in dem Moment eintreten wird, wenn China sein Schweigen beendet.
Momentan schweigt China zum Terrorismus ebenso wie zum Irak. Es widmet sich seiner mit Höchstgeschwindigkeit vollzogenen Entwicklung. Doch in dem Moment, wo die Führer Chinas beschließen, offen Stellung zu beziehen, ist das eine Stimme, die auch die USA sehr, sehr ernst nehmen müssen. Das wird die Situation der internationalen Politik stark verändern. Bis dahin werden sich die Gewichtungen nur unerheblich verschieben. Konflikte, aber nichts substanziell neues.

STANDARD: "Kleinere" Veränderungen - wie nun die Erweiterung der Europäischen Union, die, geht es nach dem Wiener Kardinal Schönborn, vorerst eine christliche bleiben soll.

Kapuscinski: Er ist Kardinal. (lacht) Er muss das sagen, das ist sein Job. Auch ein Kardinal muss für sein Brot sorgen. (. . .)
Europa will seine Stärke erhalten. Aber seine Bevölkerung ist alt, ein Drittel der europäischen Bevölkerung ist über 60. Um eine dynamische Industrie weiterzuentwickeln, muss man also junge Arbeitskraft importieren. Und dafür gibt es momentan vor allem eine Quelle: Nordafrika. Und Nordafrika ist muslimisch. Europa muss sich also entscheiden: Entweder es ist christlich - oder es ist stark.
Die neuen Europäer werden in der Mehrzahl nichteuropäischen Ursprungs sein.

STANDARD:Im Oktober erscheint in Polen Ihr neues Buch "Reisen mit Herodot". Eine Rückkehr zu den Anfängen der europäischen Geschichtsschreibung?

Kapuscinski: Herodot war der erste Reporter, der Erfinder der Reportage - er reiste, sprach mit den Menschen, erfuhr ihre Geschichten und schrieb sie auf. Er schrieb das erste Reportagebuch der Weltliteratur. Das war vor 2500 Jahren. Und seither hat sich das Genre nicht geändert.
(. . .) Tatsächlich reiste ich auf meinen ersten Reisen immer mit Herodot im Gepäck. Und eine der Grundfragen, die dem Buch zugrunde liegen - ich war mir dessen im Schreiben selbst nicht bewusst -, ist die Frage nach der Existenz des Fortschritts. Und es zeigt sich, dass der Fortschritt in ethischer Hinsicht nicht existiert. Dieselbe Grausamkeit, derselbe Hass, dieselben Folterqualen wie vor 2500 Jahren.
(. . .)

STANDARD:In einem Ihrer Bücher steht ein Satz, den man als eine Art Urmotiv Ihres Schreibens lesen kann. "Ich bin Detektiv einer positiv verstandenen Fremdheit, mit der ich in Berührung kommen möchte, um sie zu verstehen." - Ist das eine Gegenphilosophie zur Scheu vor dem Fremden?

Kapuscinski: 500 Jahre lang war die Welt dominiert von der europäischen Kultur, der Kultur der Kolonialherren. Nun wurden die einst kolonialisierten Länder nach und nach unabhängig. Und jetzt sind sie stolz auf ihre eigene Kultur, wollen in ihrer eigenen Identität respektiert werden. Der einzige Weg zu einer friedlichen Zukunft ist also, sich zu öffnen für die Vielzahl der fremden Kulturen. Vor allem wir Europäer müssen verstehen, dass wir nicht länger die Grundbesitzer des Planeten sind.
Denken Sie an Homers Odyssee: Wo immer Odysseus auf seinen Reisen hinkam, wurde der Fremde freundlich aufgenommen. Denn damals unterschied man noch nicht so eindeutig zwischen der Welt der Götter und der Welt der Menschen. Man konnte also nie wissen, ob der Fremde vor der Tür nicht vielleicht doch ein Gott war. Und das ist es, was vielleicht so etwas wie meine Philosophie ist: In jedem Fremden wohnt ein Gott.

* Ryszard Kapuscinski wurde 1932 im polnischen Pinsk geboren. Als Auslandskorrespondent polnischer Medien bereiste er jahrzehntelang die ganze Welt, lebte jahrelang in Afrika. In seinen literarischen Essays studierte er etwa am Beispiel Äthiopiens - König der Könige (1978) - oder der iranischen Revolution - Schah-in-Schah (1982) - die Mechanismen von Macht und Konflikt - Der Fußballkrieg (1978).
Der große polnische Essayist wurde am 24. Mai 2004 in Wien mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet. Das Interview führte Cornelia Niedermeier.


Quelle: Der Standard (Wien), 26. Mai 2004



In Kürze


Au Backe: Hundekacke!

Ein mysteriöser Unbekannter „verziert“ in einem Bayreuther Park immer wieder Hundehaufen mit amerikanischen Fähnchen. Über das Motiv dieses seltsamen Treibens kann Josef Öttl von der Schloss- und Gartenverwaltung Bayreuth-Eremitage nur Vermutungen anstellen. „Vielleicht will jemand auf diese Weise gegen den Irak-Krieg protestieren oder auch nur auf die extreme Verkotung der Parkanlage aufmerksam machen.“ Seine Hoffnung, dass dieser Unfug mit dem Ende der Präsidentenwahl in den USA aufhöre, habe sich nicht erfüllt, sagte Öttl. Seit gut einem Jahr seien mittlerweile zwischen 2000 und 3000 Hundehaufen „verziert“ worden.
(...)
Die Polizei steht dem Treiben weitgehend hilflos gegenüber. „Wir laufen zwar verstärkt Streife, aber es ist nicht strafrechtlich relevant, amerikanische Fähnchen in Hundekot zu stecken“, sagte Polizeisprecher Reiner Küchler. Ähnlich sieht das auch ein Vertreter der Justiz: „Die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit geht sehr weit“, meinte leitender Oberstaatsanwalt Thomas Janovsky.

Aus: Süddeutsche Zeitung, 14. Januar 2005



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Bush-Zone: 55 km rund um das Mainzer Schloss

Das generelle Sperrgebiet im Luftraum während des Bush-Besuchs wird in einem Umkreis von 30 nautischen Meilen, das entspricht rund 55 Kilometern, rund um das Mainzer Schloss gezogen. Von "30 Minuten vor Sonnenaufgang bis 30 Minuten nach Sonnenaufgang" sind in diesem Bereich alle Flugbewegungen bis zur Flugfläche 100, das entspricht 10 000 Fuß oder etwa 3,3 Kilometern untersagt. Ausnahmen bestehen nur für die Hubschrauber und Militärmaschinen zur Sicherung des Präsidentenbesuchs. (...) Auswirkungen werden auch für den Schiffsverkehr erwartet. Die Planer des Bush-Besuchs gehen davon aus, dass die Rheinschifffahrt bei Mainz ganztägig unterbrochen wird, was Auswirkungen auch auf Main und Mosel hat. Noch ungeklärt ist, ob in Mainz alle Anlegestellen geräumt werden, wenn Bush kommt. Außerdem muss noch die Rheinschifffahrtskommission von den Plänen unterrichtet werden, die zu Verlust- und Wartetagen für den Frachtschiffverkehr auf dem Rhein führen.
(Frankfurter Rundschau, 9. Februar 2005)

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Kreuzzug

Im Angesicht des (Mainzer) Domes wird sich George W. Bush an seine Wortwahl vom ´Kreuzzug gegen das Böse´ erinnern können. Einen Kreuzzug hatten auch die Reichsfürsten und Lehnsherren im Sinn, als sie im Jahr 1188 unter Kaiser Friedrich I. im großen Kapitelsaal des Domes als Vertreter des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zusammen mit der Geistlichkeit den dritten Kreuzzug beschlossen, um die heiligen Stätten der frühen Christenheit von den Sarazenen zurückzuerobern. Das Unternehmen ging nicht gut aus.
Eckhart Kauntz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 3. Februar 2005

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"Geheime" Wahl in Falludscha und Ramadi
Die irakischen Behörden in den Sunnitenhochburgen Ramadi und Falludscha wollen die Standorte der Wahllokale geheimhalten, um Aufständische an der Vorbereitung von Anschlägen zu hindern. Die Informationen zur Zahl und zu den Standorten der Stimmlokale würden bis zuletzt geheim gehalten, um sicherzustellen, dass die Rebellen nicht viel Zeit für ihre Anschlagsplanung hätten, sagte der Kommandeur des 1. Marineinfanterie-Expeditionskorps, US-Generalleutnant John Sattler, am 18. Januar. "Genau jetzt versucht der Feind herauszufinden, wo sie sein werden und wie viele es sein werden", sagte Sattler.
So weit eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP, 18. Januar 2005. Sie wirft Fragen auf: Wie erfahren die Wähler von den geheimen Wahllokalen? Oder ist das nur die irakische Interpretation des Prinzips "geheimer Wahlen"?

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Unser Zitat zum Einstein-Jahr 2005:
Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde. Diesen Schandfleck der Zivilisation sollte man so schnell wie möglich zum Verschwinden bringen. Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalttat und die leidige Vaterländerei - wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg; ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen! Töten im Krieg ist nach meiner Auffassung um nichts besser als gewöhnlicher Mord."

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Zum Neuen Jahr

"Wird's besser? Wird's schlimmer?"
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer
lebensgefährlich.


Erich Kästner: Zum Neuen Jahr. Aus: E. K., Gedichte, Frankfurt a.M. 1981, S. 501

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Märchenerzähler

I "Einmischung in innere Angelegenheiten"
US-Präsident George W. Bush hat den Iran und Syrien gewarnt, sich in die "inneren Angelegenheiten" des Irak einzumischen. Beiden Ländern solle weiter deutlich gemacht werden, dass eine solche Einmischung "nicht in ihrem Interesse" sei, sagte Bush bei einem Treffen mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi in Washington.
Meldung der Nachrichtenagentur AFP, 15. Dezember 2004

II "Nun wird es bald schneien"
Der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende hat sich zu Weihnachten etwas ganz Besonderes für die im Irak stationierten Soldaten des Landes ausgedacht: Er überrascht sie mit einem Gedichtvortrag, der am 25. Dezember als CD an die 1300 niederländischen Soldaten im Zweistromland gehen soll. Darauf trägt Balkenende das Gedicht "Nu zal het wel gauw gaan sneeuwen" (Nun wird es bald schneien) des niederländischen Poeten Anton van Duinkerken (1903-1968) vor. Es erzählt die Geschichte der Geburt Christi und die lange Reise der heiligen drei Könige durch Jahrhunderte voll Gewalt und Schikanen hin zum Frieden.
Meldung der Nachrichtenagentur AFP, 17. Dezember 2004

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Demokratie
"Demokratie ist keine Ware, die man in andere Länder einführt, sie ist kein Geschenk, das man überreicht, und sie kann auch nicht mit Bomben auf die Köpfe der Menschen abgeworfen werden."
Shirin Ebadi, Friedensnobelpreisträgerin 2003, während der 4. Europäischen Konferenz Städte für die Menschenrechte in Nürnberg. Aus: Nürnberger Nachrichten vom 10. Dezember 2004

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Letzte Meldung:
Bundestag setzt "Bundeswehreinsatz im Sudan" von der Tagesordnung ab

Die Debatte und die Entscheidung im Bundestag über den geplanten Sudan-Einsatz der Bundeswehr sind am 26. Nov. überraschend abgesetzt worden. Geplant war, die internationale Militärmission der Afrikanischen Union in der sudanesischen Krisenregion Darfur mit Hilfe der Bundeswehr logistisch zu unterstützen. Aus Fraktionskreisen der Grünen hieß es, im Einvernehmen mit allen Fraktionen im Bundestag sei die Abstimmung auf die nächste Woche verschoben worden. Hintergrund sei, dass es Einwände aus dem Sudan an dem Einsatz gebe, die noch in Ruhe geprüft werden müssten.
Kommentar: Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sich die Abgeordneten vom Protest der Friedensbewegung haben beeinflussen lassen, eine Lehre sollte das Debakel für die Regierung aber schon sein: Man kann nicht mal eben in Kolonialherrenmanier einen Militäreinsatz in einem Land der Dritten Welt befehlen. Die UN-Resolution zum Sudan (Res. 1574, englisch) sieht eine militärische Unterstützung von Hilfsmaßnahmen nur vor, wenn der betroffene Staat durch seine Regierung sein Einverständnis erklärt hat. Dieses Einverständnis hatte die Bundesregierung in Khartum offenbar nicht erhalten. (Siehe auch unsere Sudan-Chronik.)

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"Ach Gott-oh-Gott"
Diese Worte setzt die seriöse britische Tageszeitung "The Guardian" in ihrer Ausgabe vom 4. November 2004 in die Mitte einer ansonsten völlig schwarz gebliebenen Seite.

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"Wir können sie austrocknen"
"Michigan und der ganze Nordwesten, das Geburtsland unserer Demokratie, stimmten für Kerry. Sechs von acht Staaten um die Großen Seen herum taten dasselbe. Und die ganze Westküste. Plus Hawaii. O.K., das ist doch ein Anfang. Damit haben wir das meiste frische Wasser, den ganzen Broadway und Mount St. Helens [den berühmten Vulkan]. Also können wir sie austrocknen oder sie unter Lava begraben. Außerdem gibt es keine Shows mehr!"
Michael Moore nach der Präsidentenwahl in seinem Newsletter vom 5. November: "17 Gründe, sich nicht die Pulsadern aufzuschlitzen"

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Punktum?
Nach der Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush hat der britische Außenminister Jack Straw ausgeschlossen, dass Washington den Atomstreit mit Teheran auf militärischem Weg lösen werde. Auf die Frage, ob Großbritannien einen Krieg gegen den Iran unterstützen würde, sagte Straw am 4. Nov. im britischen Hörfunksender BBC, dies sei ebenso "unvorstellbar" wie die Aussicht, dass die USA überhaupt angreifen könnten. "Ich kann mir keinen Fall vorstellen, der eine Militäraktion gegen den Iran rechtfertigen könnte, Punktum", betonte Straw gegenüber dem Sender.
AFP, 4. November 2004

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"Castro soll sterben"
"Wir alle hoffen, dass er sobald wie möglich stirbt. Ich sage nicht, dass er umgebracht werden soll, ich sage, er sollte sterben. Und ich hoffe, es noch erleben zu können."
Loyola De Palacio, EU-Verkehrskommissarin und Vizepräsidentin der EU-Kommission nach Berichten der Madrider Presse vom 22. Oktober 2004.
Der 78-jährige Castro hatte sich bei einem Sturz zwei Tage davor das linke Knie und den rechten Oberarm gebrochen. Nach Zeitungsmeldungen vom 23. Oktober befindet er sich nach einer Operation auf dem Weg der Besserung - eine angemessene Antwort auf die Verwünschungen der Kommissarin!




Wir gratulieren gleich zwei Mal!

Elfriede Jelinek

"... Ich habe den Preis offensichtlich bekommen, weil ich das Fortleben der Vergangenheit in die Gegenwart hinein beschrieben habe. Weil ich sozusagen die Welt von hinten anschaue, was man Weltanschauung nennt. Indem ich meinen kleinen Grund, meinen Claim, in der Vergangenheit abstecke und in der Gegenwart dann dieses Grund-Stückchen an die Theater verkaufen will; es ist meins, obwohl es die Vergangenheit, die nicht sterben kann und auch nicht sterben will, wer will das schon, obwohl es also die Vergangenheit in der Gegenwart ist, die ich hier einem Publikum, das sich ganz ordentliche Grundstückspreise für unzureichende Gründe leisten kann, verkaufen will. ..."
Elfriede Jelinek bei der Verleihung des Mülheimer Theaterpreises, Juni 2002. (Quelle: http://ourworld.compuserve.com/homepages/elfriede/)
Zuletzt auf unserer Homepage: Elfriede Jelinek zum Hiroshima-Tag 2004

Friedensnobelpreis an Wangari Maathai

Einen Tag nach der Vergabe des Literaturpreises an Elfriede Jellinek wurde der Friedensnobelpreis vergeben. Als erste Afrikanerin, die den Preis erhält, wurde die Kenianerin Wangari Maathai ausgezeichnet. Wie das norwegische Nobelkomitee am 8. Oktober 2004 in Oslo bekannt gab, wird Frau Maathai für ihren Einsatz für Umwelt und Menschenrechte sowie Demokratie und Frieden geehrt. Zum zweiten Mal in Folge erhielt damit eine Frau, noch dazu aus der Dritten Welt, den angesehensten Friedenspreis - 2003 war die iranische Bürgerrechtlerin Schirin Ebadi ausgezeichnet worden.
"Wir sind der Überzeugung, dass Maathai eine kraftvolle Stimme ist, die für die besten Kräfte in Afrika spricht, um Frieden und gute Lebensbedingungen auf diesem Kontinent voranzubringen", heißt es in der Würdigung des Nobel-Komitees. "Wir haben dem Frieden eine neue Dimension hinzugefügt."





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Unbekannte Welt
Das Verhältnis zur Arabischen Welt ist von Unkenntnis geprägt. Das wird sich durch die Frankfurter Buchmesse hoffentlich ändern. Denn ganz sicher werden sich uns in den nächsten Tagen unbekannte literarische Welten eröffnen. Und wir haben wieder die Chance, einen Nachbarn über seine Bücher – also: seine Ideen und Botschaften – kennen zu lernen. Der französische Schriftsteller Marcel Prévost hat gesagt: "Die Bekanntschaft mit einem einzigen guten Buch kann ein Leben ändern." Auf der Buchmesse haben wir die Chance viele gute Bücher zu entdecken. Lassen Sie uns dieses Risiko eingehen!
Dieter Schormann, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse am 5. Oktober 2004. Lesen Sie dazu die Eröffnungsbeiträge.

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Ein Krieg gegen Schuppen
Terror ist ein abstraktes Substantiv, der Kampf dagegen ist wie Krieg gegen Schuppen. Da versammelt man keine Truppen oder holt Nuklearwaffen raus; da haut man nicht Afghanistan oder den Irak kurz und klein. Es gilt als schlechter Geschmack, wenn man sagt, es könnte ein kommerzielles Interesse unserer Führung dahinter stecken, aber es ist so. Als die Bush-Regierung antrat, gab Cheney eine Studie in Auftrag: Wie lange reichen die Weltreserven an Rohöl? 2020, hieß es, ist alles weg. Ein intelligentes Land, mit einem Gedächtnis, würde nun sagen: Wir brauchen alternative Energiequellen. Bushs merkwürdig arbeitender Kopf entschied, den Irak zu überfallen, dort sind die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Er dachte, das wäre leicht: Du gehst rein, nimmst das Öl und - pumpst es nach Texas! Aber es war nicht so leicht, tatsächlich haben wir den Krieg verloren.
Gore Vidal, US-Schriftsteller und Bush-Kritiker in der Berliner Zeitung (Feuilleton) am 30. September 2004

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Blair: "Ich habe mich geirrt und bereue"
"Ich habe mich hinsichtlich der Waffenprogramme Saddam Husseins geirrt und ich bereue es, nicht auf viele von euch und unsere Verbündeten im übrigen Europa gehört zu haben. Und Freunde, für erfolgreiche Wahlen und Frieden im Irak müssen wir ein frühes Datum für den Rückzug der Koalitionstruppen festsetzen."
Diesen Text schlug die britische Zeitung "Independent" dem Premier Tony Blair als Redetext für den Labor-Parteitag vor. The Independent weiter: "Dies sollte Blair sagen, aber es ist anzunehmen, dass er dies so wenig tun wird, wie er sich an den Text der 'Internationalen' erinnern kann". (The Independent, 28.September 2004) - Der Independent sollte recht behalten (siehe die wirkliche Rede von Tony Blair).

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Nothing ist perfect
"Let's say you tried to have an election, and you could have it in three-quarters or four-fifths of the country, but in some places you couldn't because the violence was too great ... So you have an election that's not quite perfect. Is it better than not having an election - you bet."
"Sagen wir mal, wir versuchen, Wahlen abzuhalten, und wir bekommen das in drei Vierteln oder vier Fünfteln des Landes hin. Aber an einigen Orten klappt es nicht, weil die Gewalt zu groß ist ... Nun, dann heben wir eben eine Wahl, die nicht perfekt ist. Das ist immer noch besser, als gar keine Wahlen zu haben? So ist es doch."

Donald Rumsfeld in einem Ausschuss des US-Senats am 23. September 2004. Er sprach aber nicht etwa über die bevorstehende Präsidentenwahl in den USA, sondern über die für Januar 2005 angesetzten Wahlen im Irak. (Quelle: September 23, 2004, New York Times)

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"Die Welt ist besser dran"
Der irakische Ministerpräsident Ijad Allawi hat in einer Rede vor dem US-Kongress die Politik in seinem Land als "Erfolg" bezeichnet. "Wir kämpfen mit Rückschlägen, aber wir haben Erfolg", sagte Allawi am 23. Sept. in Washington in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus. "Meine Freunde, heute sind wir besser dran. Sie sind besser dran. Und die Welt ist besser dran ohne Saddam Hussein", sagte Allawi mit Blick auf den entmachteten irakischen Staatschef. "Wir Iraker wissen, dass Amerikaner Opfer gebracht haben und weiterhin Opfer bringen, um den Irak zu befreien, um die Freiheit im Irak zu sichern." Er sei in die USA gekommen, um dafür zu danken und zu versprechen, dass "die Opfer nicht umsonst" gewesen seien. "Die überwältigende Mehrheit der Iraker ist dankbar", sagte Allawi.
Meldung der Nachrichtenagenturen am 23. September 2004. (Lesen Sie dazu die aktuellen Berichte über Attentate, Gefechte, Bombardierungen usw. in unserer Irak-Chronik.)

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20. September: Weltkindertag

  1. Die Ansichten und Stimmen der Kinder müssen gehört und respektiert werden. Dieses Prinzip bedeutet, dass die Meinungen der Kinder wichtig sind und dass ihre Ansichten berücksichtigt werden müssen. Sie sollten ferner auf eine Art und Weise, die ihrem Alter entspricht, in Entscheidungsprozesse, die sie betreffen, einbezogen werden.
  2. Die Rechte der Kinder müssen ohne Diskriminierung gewährt werden, “unabhängig von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler, ethnischer oder sozialer Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder eines sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds“ (Artikel 2).
  3. Kinder haben das Recht auf Überleben und Entwicklung in allen Bereichen ihres Lebens, einschließlich des physischen, emotionalen, psychosozialen, kognitiven, sozialen und kulturellen Bereiches.
  4. Das beste Interesse des Kindes muss vorrangig berücksichtigt werden bei allen Entscheidungen oder Maßnahmen, die ein Kind oder alle Kinder betreffen. Dies trifft unabhängig davon zu, ob die Entscheidungen von Regierungs-, Verwaltungsoder Justizbehörden oder von den Familien selbst getroffen werden.
Das sind die vier wichtigsten Prinzipien aus der "Konvention über die Rechte des Kindes", eines internationalen Abkommens, das im Jahr 1989 angenommen und von fast allen Ländern der Welt ratifiziert wurde.

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"Altes Europa" wieder "neu"
AP meldete am Abend des 13. September 2004:
Spanien, Deutschland und Frankreich wollen gemeinsam für ein starkes und einiges Europa arbeiten und die Ratifizierung der EU-Verfassung vorantreiben. Dies erklärten am 13. September der spanische Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero, Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsidenten Jacques Chirac, die in Madrid zu einem informellen Treffen mit einem abendlichen Arbeitsessen zusammengekommen waren. Zapatero stellte nach dem Treffen sich und seine Gäste den wartenden Journalisten als "glühende Pro-Europäer" vor. Und mit Bezug auf eine Äußerung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der Deutschland, Frankreich und die anderen europäischen Gegner des Irak-Kriegs als "das alte Europa" bezeichnet hatte, erklärte der spanische Regierungschef: "Wenn ich die Atmosphäre dieses Treffens mit ein paar Worten beschreiben sollte, dann würde ich sagen, 'das alte Europa' ist so gut wie neu." Was Chirac wiederum zu einem verhaltenen Lachen verleitete.
Da wird sich Rumsfeld aber freuen!

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Supermacht Iran
Mit Hilfe der Statistik hat der oberste Sportchef Irans den offiziellen Medaillenspiegel Lügen gestraft, nach dem die US-Athleten absolute Sieger der Olympischen Sommerspiele in Athen waren. Iran sei besser gewesen als die USA, sagte Sportverbandschef Mohsen Mehralisadeh am Dienstag der Zeitung "Etemad". "Im Schnitt errang Iran pro 6,2 Athleten eine Medaille, das US-Team hingegen brauchte dafür 13,8 Athleten." Nach den Berechnungen Mehralisadehs lagen auch die Türkei, Großbritannien und Japan vor den USA.
Meldung der Nachrichtenagentur AFP am 7. September 2004

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Eduard Mörikes* Beitrag zu Hartz IV

Pfarrer und Bauer

PFARRER:
Wie mögt Ihr nur so bang um Eure Nahrung sorgen!
Da seht die Vögel unterm Himmel an!
Fragt einer auch: "Was ess' ich heut' und morgen?"
Keiner verhungert, seht! dafür ist Gott der Mann.
Wenn nun der Herr des Sperlings Schrei erhört,
Seid Ihr nicht mehr denn alle wert?

BAUER:
Ganz gut, Herr Pfarr! Doch, wenn's Euch nicht erbost:
Beim Licht besehn, ist das ein - Vogeltrost.


* Eduard Mörike wurde vor 200 Jahren, am 8. September 1804, geboren. Das kleine Gedicht "Pfarrer und Bauer" schrieb er 1838. Sei größter Roman ist "Maler Nolten", seine wohl bekannteste Novelle "Mozart auf der Reise nach Prag". Daneben gibt es von ihm jede Menge Gedichte.

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Bush - Tiger
"Dies war in New York überwiegend ein abstoßender Parteitag, bei dem die hässliche Seite der Republikaner voll zum Tragen kam. Die Republikanische Partei bewegt sich nämlich immer weiter nach rechts... George Bush setzt das um, wofür seine fundamentalistischen Anhänger stehen. Sein Lächeln ist das eines der rücksichtslosesten politischen Tiger der modernen Zeit."
Aus der britischen Tageszeitung "The Guardian"; zit. nach Hessische Allgemeine (Sonntagszeit), 5. September 2004.

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Zu Goethes 255. Geburtstag*

Johann W. v. Goethe

Und wer franzet oder brittet,
Italienert oder teutschet,
Einer will nur wie der andre
Was die Eigenliebe heischet.

Denn es ist kein Anerkennen,
Weder vieler, noch des einen,
Wenn es nicht am Tage fördert
Wo man selbst was möchte scheinen.

Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.

Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.

* Geb. am 28. August 1749

Aus dem West-östlichen Divan, Buch des Unmuts (geschrieben 1819)

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Jobvermittlung in den Irak
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) vermittelt Jobsuchende und Arbeitslose auch als Sicherheitskräfte in den Irak. In der Zeitschrift "Markt und Chance" der zur BA gehörenden Bonner Zentralstelle für Arbeitsvermittlung werden zur Überwachung des Flughafens in Mosul im Nordirak "geprüfte Sicherheitsdienstleistungskräfte" gesucht. Die Kandidaten müssen ein entsprechendes Zertifikat der Industrie- und Handelskammer haben, Englisch können, körperlich fit sein und sollten "Waffensachkunde" haben. Arbeitslose könnten aber nicht zur Annahme einer Arbeit im Ausland gezwungen werden, betonte eine Sprecherin der Zentralstelle am Freitag.
Meldung der Nachrichtenagentur AFP am 20. August 2004.

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Weltlauf

Hat man viel, so wird man bald
Noch viel mehr dazu bekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das wenige genommen.

Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben -
Denn ein Recht zum Leben, Lump,
Haben nur, die etwas haben.

Heinrich Heine

Das Gedicht "Weltlauf" stammt aus der Gedichtsammlung "Romanzero" (entstanden 1846 bis 1851). Ursprünglicher Titel des Gedichts: "Bittre Klage".
(Ähnlichkeiten mit Weltläuften oder Klagen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind rein zufällig.)

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"Zu blöd!"
Die Vereinigten Staaten fielen in ein entferntes Land ein, um mit ihm die Segnungen der Demokratie zu teilen. Doch nachdem sie als Befreier willkommen geheißen wurden, sahen sich die US-Truppen bald einem blutigen Aufstand gegenüber. Das klingt vertraut? Vergessen Sie Irak - denken Sie an die Philippinen und an Mexiko Jahrzehnte zuvor! US-Präsident Bush und seine Berater haben sich auf eine historische Mission begeben, um die Welt zu verändern. Zu blöd, dass sie dabei die Lektionen aus der Geschichte ignoriert haben.
John Judis, Autor des Buches "The Folly of Empire", in Foreign Affairs, Juli/August 2004


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