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Westerwelle: "Nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle sind das Gebot unserer Zeit" / Höger (LINKE): "Das ist völlig unglaubwürdig, solange die Bundeswehr immer mehr für Kriege aufrüstet."

Abrüstungsbericht und Atomwaffen im Deutschen Bundestag - Fraktion DIE LINKE ausgegrenzt - Die ganze Debatte im Wortlaut

Am 26. März 2010 debattierte der Deutsche Bundestag über den "Abrüstungsbericht" der Bundesregierung und über einen Gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen zur atomaren Abrüstung. Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte auf der Grundlage des vorläufigen amtlichen Protikolls des Bundestags.
Die Rednerinnen und Redner sprachen in dieser Reihenfolge:



Vorläufiges Protokoll der 35. Sitzung vom 26. März 2010
35. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. März 2010

V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute Morgen vor Eintritt in die Tagesordnung nichts zu verkünden, was zur Förderung der Motivation oder zur Behinderung der Tagesordnung geeignet sein könnte.

Also kommen wir sofort zu den Tagesordnungspunkten 23 a, b und d:

a) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale 2009
(Jahresabrüstungsbericht 2009)
- Drucksache 17/445 - [externer Link]

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen
- Drucksache 17/1159 - [externer Link]

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rüstungsexportberichte zeitnah zum Jahresabrüstungsbericht vorlegen
- Drucksache 17/1167 - [externer Link]

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss (f)
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Wünscht jemand dazu eine spontane streitige Debatte mit Kampfabstimmung? - Auch das ist nicht der Fall. Wir steuern offenkundig auf ein außerordentlich friedfertiges Wochenende zu.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort erhält zunächst Außenminister Dr. Guido Westerwelle.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau einem Jahr hat Präsident Obama mit seiner berühmten Prager Rede ein wichtiges Signal für die weltweite Abrüstung gegeben. Die unkontrollierte Weiterverbreitung von atomaren Waffen ist wohl eine der größten Bedrohungen unserer Sicherheit. Diese Gefahr einzudämmen, ist eine Überlebensfrage. Deswegen sind Abrüstung und Rüstungskontrolle für die ganze Menschheit von enormer Bedeutung. Es ist die große Menschheitsherausforderung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Uta Zapf (SPD))

Das Jahrzehnt hat gerade erst begonnen, und man darf an dieses Thema nicht zu gelassen herangehen. Wir stehen am Beginn eines Jahrzehnts, bei dem sich noch entscheiden wird, ob es ein Jahrzehnt der Aufrüstung oder der Abrüstung werden wird.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Da hat er leider recht!)

Die Bundesregierung stellt sich dieser Verantwortung. Deswegen war es mir wichtig, den Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung gleich zu Jahresbeginn diesem Hohen Hause, dem Deutschen Bundestag, vorzulegen.

Im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle zentrale Bausteine einer globalen Sicherheitsarchitektur der Zukunft sind. Dies war für die Bundesregierung vom ersten Tag an Leitfaden ihrer Politik, und dies ist auch der Kompass für die kommenden Jahre.

Das nukleare Gleichgewicht des Schreckens, wie es genannt wird, hat im letzten Jahrhundert dazu beigetragen, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht noch einmal in Krieg und Zerstörung versunken ist. Aber einiges, was während des Kalten Krieges richtig war, ist heute überholt.

(Uta Zapf (SPD): Richtig!)

Die Abschreckungswirkung nuklearer Waffen wird zunehmend von der wachsenden Gefahr der Verbreitung nuklearer Waffen überschattet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir laufen Gefahr, dass sich in zehn Jahren die Zahl der nuklear bewaffneten Länder womöglich verdoppelt, darunter Länder, die wir heute noch gar nicht auf dem Schirm haben. Wir laufen Gefahr, dass nicht nur Staaten Nuklearwaffen besitzen, sondern auch Terroristen.

Abrüstung und Rüstungskontrolle sind keine Anliegen von gestern; sie sind drängende Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft. Abrüstung ist kein naiver Idealismus. Abrüstungspolitik ist auch nicht weltfremd; im Gegenteil: Es wäre weltfremd, Abrüstungspolitik jetzt zu unterlassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist kein Zufall, dass sich heute auf beiden Seiten des Atlantiks Außenpolitiker für nukleare Abrüstung und für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen, die in ihrer aktiven Zeit als Politiker und Staatsmänner mit guten Gründen für die Abschreckung eingetreten sind. Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr fordern dasselbe wie Henry Kissinger, Sam Nunn, George Shultz und William Perry.

Im letzten September haben die Staats- und Regierungschefs im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen vorgezeichnet. Ich erinnere an die Resolution 1887 vom 24. September 2009. Sie haben in einer historischen Sitzung unter Leitung von Präsident Obama allen Staaten ins Stammbuch geschrieben, diesen Weg der Abrüstung jetzt entschlossen zu gehen. Damit ist auch deutlich, dass Abrüstung kein deutscher Sonderweg ist, sondern in die Politik der Völkergemeinschaft eingebettet ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Nachfolgeabkommen zum START-Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland ist jetzt zum Greifen nahe. Wir setzen darauf, dass die anstehenden ganz aktuellen Gespräche zu einem Ergebnis führen können, sodass in wenigen Tagen - wir hoffen darauf - vielleicht auch ein Abschluss möglich wird. Ein erfolgreicher Abschluss wäre das Signal, dass die beiden führenden Atommächte, die mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen besitzen, ihre Abrüstungsverpflichtung ernst nehmen. Das Abkommen könnte auch den Weg für weitere Verhandlungen ebnen, die das Thema einer Reduzierung der Zahl der sogenannten taktischen Nuklearwaffen einschließen sollten.

Der Nichtverbreitungsvertrag schreibt drei elementare Prinzipien fest: erstens die Verpflichtung zur Nichtverbreitung, zweitens das Gebot allgemeiner und vollständiger Abrüstung und drittens übrigens auch das unbestrittene Recht aller Staaten auf zivile Nutzung der Kernenergie. Der Vertrag beruht auf einem gegenseitigen Versprechen. Der Selbstverpflichtung zur Nichtverbreitung steht die Selbstverpflichtung der Atomwaffenstaaten zur Abrüstung gegenüber. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Überprüfungskonferenz vor fünf Jahren - Sie wissen es - scheiterte. Die Welt darf nicht noch einmal fünf Jahre verstreichen lassen. Wir wollen einen Erfolg bei der Überprüfungskonferenz im Mai in New York, wir brauchen ein erneutes Bekenntnis aller Vertragsstaaten zu den Rechten und Pflichten des Vertrages, und wir wollen einen Aktionsplan mit konkreten Schritten für eine Stärkung der drei Grundprinzipien des Vertrages, die ich eben benannt habe. Dafür wird sich die Bundesregierung einsetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen, bis heute hat der Iran den Nachweis nicht erbracht, dass sein Nuklearprogramm ausschließlich friedliche Ziele verfolgt. Ein nuklear bewaffneter Iran wäre nicht nur regional wie ein Funken im berühmten Pulverfass. Ein nuklear bewaffneter Iran würde auch das gesamte globale Nichtverbreitungsregime gefährden. Das können und das werden wir als Völkergemeinschaft nicht hinnehmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Alle Staaten, die außerhalb des Nichtverbreitungsvertrages Atomwaffenfähigkeit erlangt haben, bleiben aufgerufen, auf nukleare Bewaffnung zu verzichten und dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten. Das Nichtverbreitungsregime wird durch jeden einzelnen Beitritt stärker.

Auf dem Weg zu einer nuklearwaffenfreien Welt brauchen wir aber mehr als den Nichtverbreitungsvertrag. Beim Außenministertreffen der G 8 am kommenden Dienstag in Ottawa können wir dafür die Grundlage schaffen. Die G 8 vereinen mit den USA, mit Russland, Frankreich und Großbritannien vier der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Das sind zugleich vier der fünf anerkannten Atommächte. Ich werde mich in Ottawa für eine gemeinsame Position der G 8 zur Abrüstung und zur Rüstungskontrolle einsetzen. Wenn die G 8 mit einer Stimme sprechen, dann können wir für Abrüstung und Nichtverbreitung Beachtliches erreichen.

Nötig ist auch ein weltweit verbindliches Vertragsregime, um waffenfähiges Material konsequent zu kontrollieren, bevor es einer militärischen Verwendung zugeführt wird. Nur so können wir ausschließen, dass Nuklearmaterial in die falschen Hände gerät. Auf dem Nukleargipfel in Washington wird sich die Bundeskanzlerin dafür einsetzen.

Wir brauchen Fortschritte aber auch beim Atomwaffenteststopp-Abkommen. 182 Staaten haben dieses Abkommen unterzeichnet, 151 haben es ratifiziert. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Staatengemeinschaft dieses Abkommen will, ist es bis heute nicht in Kraft. Wir appellieren an die Staaten, deren Beitritt für das Inkrafttreten noch notwendig ist, dass sie diesen längst überfälligen Schritt endlich tun.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Abrüstung und Rüstungskontrolle, unsere Verteidigungsfähigkeit und eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik sind unverzichtbare Bestandteile der umfassenden Sicherheits- und Friedenspolitik der Bundesregierung. Das Nordatlantische Bündnis ist und bleibt das Fundament unserer Sicherheit. Die zentrale Aufgabe der NATO bleibt das gegenseitige Versprechen aller Bündnispartner zu Beistand und zu gemeinsamer Verteidigung. Ich sage das ausdrücklich, weil das für viele Staaten von großem Interesse ist und weil sie auch bei dieser Frage Sicherheit und ein klares Bekenntnis erwarten. Art. 5 des Washingtoner Vertrages ist auch in Zukunft Rückgrat des Bündnisses.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Zukunftsfähigkeit der NATO bestimmt aber auch über die Zukunftsfähigkeit aller Bündnispartner. Daher ist es so wichtig, dass die NATO die richtigen Antworten auf die veränderte globale Sicherheitssituation findet. Bis zum NATO-Gipfel in Lissabon im November erarbeitet das Bündnis ein neues strategisches Konzept. Die NATO muss wieder zu einem politischen Ort werden, an dem wir uns mit unseren Verbündeten über die gesamte Bandbreite gemeinsamer Sicherheitspolitik verständigen. Abrüstung und Rüstungskontrolle gehören auch in die NATO.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gemeinsam mit meinen Kollegen aus den Niederlanden, aus Belgien, Luxemburg und Norwegen eine Debatte angestoßen, damit das entscheidende Zukunftsthema "Abrüstung und Rüstungskontrolle" wieder zum festen Bestandteil der Bündnispolitik wird. Wir werden uns Ende April in Tallinn für diese Position im Bündnis einsetzen.

Ohne eine enge Partnerschaft mit Russland ist die europäische Sicherheitsarchitektur bestenfalls unvollständig. Deutschlands Sicherheit ist am besten gewährleistet, wenn es eine umfassende Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok gibt. Deswegen ist die Kooperation mit Russland so wichtig. In der Frage der Raketenabwehr sollten wir keine Mühe scheuen, gemeinsame und kooperative Lösungen zu finden. Ich bin auch zuversichtlich, dass wir über die Reduzierung und Abschaffung taktischer Nuklearwaffen sprechen können und sprechen werden.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso sprechen? Einfach machen!)

Das setzt einen Prozess voraus, der mit mehr Transparenz beginnt, Vertrauen aufbaut und in nachprüfbaren vertraglichen Vereinbarungen münden kann und soll. Diese Waffen sind Relikte des Kalten Krieges, sie haben keinen militärischen Sinn mehr, sie schaffen keine Sicherheit, und sie haben deshalb nach Auffassung der Bundesregierung auch keine Zukunft.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Aber auch das muss klar hinzugefügt werden: Dass wir über den Abzug der in Deutschland verbliebenen Atomwaffen nur innerhalb des Bündnisses und mit unseren Verbündeten gemeinsam entscheiden, ist eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle sind das Gebot unserer Zeit, weil diese Waffen mit ihrem Vernichtungspotenzial die gesamte Menschheit bedrohen. Es liegt aber auf der Hand, dass wir darüber die konventionelle Abrüstung nicht vernachlässigen dürfen. Nukleare Abrüstung darf nicht dazu führen, dass konventionelle Kriege wieder leichter führbar werden. Deswegen gehen nukleare Abrüstung und konventionelle Abrüstung nach Auffassung der Bundesregierung Hand in Hand.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen einen offenen Dialog zwischen der NATO und Russland, um den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, den KSE-Vertrag, neu zu beleben und an die Erfordernisse unserer Zeit anzupassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dass die Stimme Deutschlands in den internationalen Debatten zur Abrüstung gehört wird, ist auch der über Jahrzehnte gewachsenen Glaubwürdigkeit deutscher Friedenspolitik zu verdanken. Mit diesem Pfund, das wir uns in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam erarbeitet haben, können wir heute wuchern. Ich mache mir keine Illusionen - ich weiß, dass Sie das genauso sehen -, dass der Weg einfach sein wird. Abrüstung und vertragliche Rüstungskontrolle sind dicke Bretter, die wir beharrlich bohren werden. Ich freue mich, dass die Bundesregierung dabei auf die breite Unterstützung dieses Hohen Hauses bauen kann. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und natürlich auch den Kollegen meiner eigenen Fraktion, die diesen Kurs deutscher Sicherheits- und Friedenspolitik mit Rat und Tat unterstützen. Den interfraktionellen Antrag, der die überwältigende Mehrheit dieses Hohen Hauses hinter sich vereint, verstehen wir in der Bundesregierung als Auftrag und als Verpflichtung. Es ist gut und richtig - es ist auch wichtig für unsere Bürger, dies zu wissen und zu sehen -, dass wir in diesen Schicksalsfragen ein gemeinsames Fundament in diesem Hohen Hause haben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Kollegin Uta Zapf für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Uta Zapf (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Allererstes einen ganz herzlichen Dank an alle die, die bei diesem Antrag mitverhandelt haben, aussprechen. Ich danke, obwohl es ungewöhnlich ist, meinem Kollegen Roderich Kiesewetter, der sich in der Tat bemüht hat, viele Hürden aus dem Weg zu schaffen. Herzlichen Dank dafür! Herzlichen Dank aber auch an Frau Malczak, die mit dafür gesorgt hat, dass der eine oder andere über seinen Schatten gesprungen ist. Ich denke, das ist das Kennzeichen dieses Antrags. Wir sind einen großen Schritt in der parlamentarischen Meinungsbildung vorangekommen, und dies in einer schwierigen Situation, in der es unterschiedliche Grade an Zustimmung zu dem gegeben hat, was der Herr Minister soeben ausgeführt hat. Wir haben es schwer gehabt. Ich habe gesagt, das ist gleichzeitig eine Zangen- und eine Steißgeburt. Aber wir sind zu einem Ergebnis gekommen, wenn auch in allerletzter Minute vor der Sitzung aller Fraktionen.

Ich bin sehr froh; denn bei allen Abstrichen oder Zugeständnissen, die der eine oder andere hat machen müssen, ist es ein Antrag, der in der Tat dazu beitragen kann, die Bundesregierung in der augenblicklichen Situation zu leiten. Ich sage ausdrücklich "zu leiten", weil es auch da Unterschiede gab, wie sich in den Diskussionen gezeigt hat. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir ganz wichtige Punkte gemeinsam, über alle Fraktionen hinweg, beschließen können. Aus allen Fraktionen gab es Anträge. Diese werden im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung beraten werden.

Wir haben gerade am heutigen Tage das Glück, sagen zu können: Jawohl, START steht kurz vor der Unterzeichnung. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, auch wenn es nur der erste Schritt in dem bedeutenden Prozess der Abrüstung nuklearer Waffen ist. Wir wissen, dass viele weitere Schritte folgen müssen, sei es bilateral zwischen Russland und den USA, sei es ausgeweitet auf andere Nuklearwaffenstaaten der P 5. Schon da fangen gewisse Schwierigkeiten an. Wie wir von unserem direkten Nachbarn Frankreich wissen, ist dies dort eine viel schwierigere Frage als bei uns.

Diejenigen, die den Nichtverbreitungsvertrag nicht unterzeichnet haben - der Minister hat es erwähnt -, aber über Nuklearwaffen verfügen, müssen, wenn wir Global Zero, Abrüstung auf null, wirklich wollen, in der Endphase einbezogen werden. Deshalb haben wir in dem vorliegenden Antrag den Appell an diese Staaten formuliert, zumindest ihre Waffen nicht weiter aufzustocken, die Produktion von Spaltmaterial zu beenden und sich dem Atomteststoppvertrag anzuschließen. Wir wissen, dass Präsident Obama den Atomteststoppvertrag in den USA ratifizieren lassen will. Wir wissen aber auch, dass es da noch eines Stückes Arbeit bedarf. Wir werden von uns aus ein bisschen Unterstützung leisten müssen, damit diese wichtige Ratifikation zustande kommt.

Die Verhandlungen in Genf über einen Stopp der Produktion von Spaltmaterial stocken, weil sich Pakistan dem entgegenstellt, obwohl ein fast fertig ausgearbeiteter Vertrag vorliegt, der sich schon seit Jahren in den Schubladen befindet. Es wird eine ganz wichtige Aufgabe sein, das zu befördern. Wir sind dazu bereit.

In diesem Zusammenhang wird die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag, die im Mai stattfindet, ein ganz wichtiger Punkt sein. Dabei geht es um die Frage, wie es der Herr Minister formuliert hat: Wird es Aufrüstung geben, oder wird es Abrüstung geben? Diese Überprüfungskonferenz sollte so ausfallen, dass sich die Teilnehmerstaaten auf ein wegweisendes Abschlussdokument einigen können, das das aufnimmt, was wir schon einmal erreicht hatten, liebe Freunde. Mit den 13 Schritten im Jahre 2000 hatten wir etwas erreicht, was wir heute wieder haben niederschreiben müssen.

In diesen 13 Schritten ist unter anderem ein ganz wichtiger Punkt enthalten. Dazu will ich ein paar Worte sagen. Das betrifft nicht nur die Strategie der USA, sondern auch die der NATO und Russlands. Ich glaube es wäre gut, wenn man partnerschaftlich dazu käme, im Dialog zwischen Russland und den USA - mit dem Signal, das von der Nuclear Posture Review ausgeht - das Richtige zu tun und auch Russland dazu zu bewegen, den Nuklearwaffen einen geringeren Stellenwert zuzuschreiben. Das ist der Kernpunkt unserer Diskussion.

Es wird die Zukunft der Abrüstung bestimmen, ob es uns und auch der NATO gelingt, von der Atomwaffenstrategie Abstand zu nehmen. Es geht nicht nur um die in Deutschland oder anderen europäischen Staaten gelagerten Atomwaffen, sondern es geht auch darum, ob sich die NATO bei der Verteidigung auf einen Mix aus Atomwaffen und konventionellen Waffen stützt oder ob die NATO bereit ist, den Stellenwert von Atomwaffen herabzustufen. Bevor es überhaupt dazu kommt, auf Atomwaffen ganz zu verzichten, ist es wichtig, zu sagen, dass die Atomwaffen nur noch der Abschreckung gegen Nuklearwaffen dienen, als Restposten sozusagen. Auch Obama hat darauf hingewiesen: Solange es Nuklearwaffen gibt, werden wir Abschreckung noch brauchen. Aber wenn es uns nicht gelingt, die Rolle von Atomwaffen in den Strategien zu minimieren, wird es nicht zu einem völligen Verzicht kommen. - Deshalb ist mein großer Appell an die Bundesregierung, ein solches Vorgehen durch Verhandlungen in den NATO-Gremien zu unterstützen und voranzutreiben.

Ich bin nicht ganz pessimistisch. Wir haben eine Unterrichtung von einem der zwölf Apostel bekommen, der einer Gruppe angehört, die eine neue Strategie vorbereitet. Ich hatte den Eindruck, dass man auch in dieser Strategie empfehlen wird, das Ziel der völligen nuklearen Abrüstung festzuschreiben. Das hat - auch für die augenblickliche Planung - Konsequenzen. Ich bitte herzlich darum, Taten folgen zu lassen.

Es gibt noch einen weiteren Punkt, um den wir gerungen haben. Vonseiten der nichtgebundenen Staaten wird die Drohung ausgesprochen, dass sie sich im Rahmen der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag einem Abschlussdokument verweigern werden, falls es keine Resolution für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten geben sollte. Ich glaube - auch dieser Punkt ist wichtig -, dass das Ziel, das mit dieser Resolution angesteuert wird, eines der schwierigsten ist, weil es sich hierbei, wenn es um Abrüstungsfragen und um Sicherheit geht, um die allerschwierigste Region handelt.

Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass es nicht nur um die nukleare Abrüstung geht, sondern auch um eine Verabredung zur Rolle der konventionellen Streitkräfte. Das betrifft nicht nur den KSE-Vertrag - wir wissen es sehr zu schätzen, dass dieses Thema wieder auf den Tisch des Hauses gebracht wird -, sondern auch den Nahen und Mittleren Osten. Das betrifft natürlich auch die Regionen Indien und Pakistan, in denen die beiden Mächte derzeit derart aufrüsten, dass man das Schaudern bekommen kann. Wenn wir generell über den Jahresabrüstungsbericht sprechen, sollten wir das im Blick behalten. Wir stehen auch in diesem Bereich in der Pflicht, auf weitere Abrüstung hinzuwirken. Das betrifft natürlich auch die eigenen Lieferungen, die nicht maßlos zur konventionellen Aufrüstung beitragen sollten.

Lassen Sie mich einen letzten Punkt erwähnen. Die Proliferationsgefahr, die mit der zivilen Nutzung von Nukleartechnologie verbunden ist, ist uns bewusst. Wenn man sich vorstellt, welche möglichen weiteren Gefahren durch die Verbreitung der Nukleartechnologie und durch das dadurch anfallende Nuklearmaterial - sei es Abfall, sei es Material zur Wiederverwertung - auch in Bezug auf die illegale oder die terroristische Verwendung entstehen, dann glaube ich, dass es höchste Zeit ist, dass wir darüber reflektieren, und zwar nicht nur in Bezug auf die Sicherung dieser Materialien - demnächst soll auf dem Gipfel in Washington darüber beraten werden -, sondern auch in Bezug auf die Frage, wie wir im Zuge einer solchen Entwicklung gewährleisten können, dass eine sogenannte Fuel-Bank etabliert wird. Es wird nicht leicht sein, anderen Staaten zu sagen: Ihr dürft dieses Material, das ihr für die Reaktoren verwenden wollt, nicht selbst herstellen; wir wollen das unter internationaler Kontrolle machen. - Dies wäre aber ein wichtiger Schritt. Wir kennen das aus den ganz schwierigen Diskussionen mit Iran.

Wenn ich noch ein Problem auftischen soll, das völlig ungelöst ist, muss ich an Nordkorea erinnern. Die Sechs-Parteien-Gespräche müssen von uns unterstützt werden. Es muss eine Lösung gefunden werden, damit dieses Land, das sich aus dem Atomwaffensperrvertrag quasi abgeseilt hat, in die Vertragsgemeinschaft zurückkehrt. Es muss eingebunden werden und sich an einer friedlichen Lösung all jener Probleme, die ich angerissen habe, beteiligen.

Nochmals herzlichen Dank an alle für die gute Kooperation. Das lässt mich für die Zukunft dieser Legislaturperiode hoffen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren hier heute nicht nur über den Jahresabrüstungsbericht 2009 der Bundesregierung, sondern wir sprechen auch über einen fraktionsübergreifenden Antrag, der von vier Fraktionen dieses Hauses aus fünf Parteien vorgelegt wird. Ich denke, das ist ein gutes Signal für die Öffentlichkeit, für unsere Bevölkerung. Wir sind froh, dass wir heute - ich nenne es einmal so - diese Osterbotschaft senden können. Herzlichen Dank an alle Beteiligten, insbesondere an Frau Hoff, Frau Zapf und Frau Malczak! Wenn ich diese drei Namen nenne, könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass Abrüstung weiblich geworden ist. Aber ich denke, dass alle, auch die Herren des Hauses, dahinterstehen.

Wir setzen damit ein klares Zeichen für eine überlegte Abrüstung. Der fraktionsübergreifende sicherheitspolitische Antrag hat die beteiligten Fraktionen über mehrere Monate hinweg an die Grenze des Auslotbaren gebracht. Das zeigt aber auch, mit welcher Ernsthaftigkeit wir darüber gesprochen haben. Es ist gut, dass unser Koalitionsvertrag bei einem Großteil des Parlaments für Übereinstimmung und gemeinsames Handeln sorgt. Viele Formulierungen finden sich im gemeinsamen Antrag wieder. Das macht Mut für künftige sicherheitspolitische Initiativen, zum Beispiel für die G-8-Initiative "Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen".

Bei aller Hoffnung und ohne die für Deutschland manchmal typische rosa Brille möchte ich aus Sicht der Union ein paar Punkte ansprechen.

Bei Abrüstung geht es natürlich auch um unsere deutschen Interessen, um die Klärung unserer sicherheitspolitischen Interessen, einschließlich der Festigung der transatlantischen Bindung und der europäischen Verwurzelung. Es geht um Grundwerte wie Freiheit und Demokratie, Menschenrechte und Wohlfahrt. Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Wir alle wissen, dass unsere heutige Initiative nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einem großen Ziel ist. Selbst Obama hat gesagt, dass es bis zu einer nuklearwaffenfreien Welt möglicherweise eine Generation dauern kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Uta Zapf (SPD))

Deshalb sollten wir bei allem Elan schon jetzt auch an konventionelle Abrüstung und an Integration von konventioneller und nuklearer Abrüstung denken. Die Ernennung von Victoria Nuland als US-Sonderbeauftragte für konventionelle Abrüstung ist ein hoffnungsfrohes Zeichen dafür, wie ernst unser wichtigster Bündnispartner auch die konventionelle Abrüstung nimmt.

Es ist Auffassung der Union, dass der politische Zweck der nichtstrategischen Atomwaffen in Europa entfallen ist. Aber wenn wir diese Abrüstung wollen, dann muss sie im Bündnis abgestimmt sein, dann müssen wir schrittweise vorgehen - mit den USA, ohne einseitige Vorleistungen -, dann muss das im Zuge der Überarbeitung des strategischen Konzepts der NATO geschehen - Frau Zapf hat das eben angesprochen - und unter Einbeziehung - das ist uns von der Union ganz besonders wichtig - aller nichtstrategischen Atomwaffen in Europa, auch der russischen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Nukleare und konventionelle Abrüstung unter Anpassung des KSE-Vertrags ist der Einstieg in eine koordinierte Abrüstung. Wir sollten dabei auch die Wahrnehmung der baltischen Staaten und unseres polnischen Nachbarn hinsichtlich der Bedrohungslage ernst nehmen. Die haben nämlich einen etwas anderen Bezug zur Geschichte. Deshalb müssen wir sie frühzeitig in unsere Überlegungen einbeziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie stellen wir uns das konkret vor? Wir bleiben in der NATO und in der Europäischen Union fest verankert. Beiden Wertegemeinschaften verdanken wir unsere Sicherheit, unseren Wohlstand, aber auch unser Gewicht in der Welt. Die Einigung bei START, also hinsichtlich der Reduzierung der strategischen Atomwaffen, zwischen den USA und Russland, die wohl in den nächsten 14 Tagen bevorsteht, ist vielversprechend. Wir müssen alle Kraft auf die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai setzen und in diesem Jahr versuchen, endlich die Ratifizierung des Teststoppvertrags zu erreichen - es fehlt immer noch die Ratifizierung durch neun Staaten -, damit dieser Vertrag in Kraft treten kann.

Der Fahrplan des Abzugs nichtstrategischer Atomwaffen aus Deutschland und Europa hat abgestimmt im Bündnis zu erfolgen, auch mit den fünf Staaten, in denen sie zurzeit noch gelagert sind. Wenn diese Nuklearwaffen keine militärische Rolle mehr spielen, sollten wir das auch in unsere Gespräche mit der Türkei einbeziehen. Es gibt ja auch schon Überlegungen, wie man diese Atomwaffen unter internationale Kontrolle stellen könnte. Ich denke an die Vorschläge, die bei der IAEO vorliegen.

Parallel zum Abrüstungsfahrplan brauchen wir - Frau Zapf hat es vorhin angesprochen - die Aufrechterhaltung einer nuklearen Rückversicherung im strategischen Konzept der NATO. Warum? Solange es noch Atomwaffen gibt, solange es noch andere Massenvernichtungswaffen auf der Welt gibt - das strategische Konzept enthält allerdings ein deutliches Zeichen der Rückführung der Bedeutung der Nuklearwaffen - und solange die Gefahr der Proliferation nicht gebannt ist, brauchen wir als letzte Rückversicherung wenige Nuklearwaffen im Bündnis. Früher hieß das Abschreckung. Diese sollten wir erst dann aufgeben, wenn keine Staaten mehr mit Atomwaffen drohen können. Denn außerhalb Europas ist die Lage nicht sonderlich erquicklich.

Wenn wir den Blick in den Abrüstungsbericht wagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir: Nordkorea ist unberechenbar. Atommächte wie Pakistan und Indien befinden sich nicht gerade in Friedensverhandlungen. Die Gefahr nuklearer Rüstung im Iran hat unabsehbare Konsequenzen, beispielsweise für das Bedrohungsgefühl Israels, Saudi-Arabiens und der Türkei. Sicherheitspolitik hat nicht immer nur mit klaren Fakten zu tun. Sicherheitspolitik hat viel mit Psychologie und Bedrohungswahrnehmung zu tun. Auch daran können wir arbeiten. Im Abrüstungsbericht ist davon die Rede, dass in Syrien möglicherweise geheime nukleare Aktivitäten aufwachsen. Die IAEO hat hierzu Überlegungen. Wir Deutschen arbeiten intensiv an der Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs. Es gibt also ganz viele Ansatzpunkte für Abrüstung, nicht nur im militärischen Bereich.

Wir werben für Transparenz und Kooperationsmaßnahmen, für Verifikation für alle Massenvernichtungswaffen. Deshalb sollten wir noch stärker auf einen Erfolg bei der Genfer Abrüstungskonferenz hinwirken. Unsere Wertegemeinschaft gilt es gegen die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen zu schützen. Aber wie leisten wir das ohne Nuklearwaffen? Auch darüber sollten wir uns als Parlament Gedanken machen. Es gibt eine Lösung; darüber werden wir debattieren müssen: Wir sollten darauf hinarbeiten, dass die geplante Raketenabwehr der NATO gegen Massenvernichtungswaffen für alle offen ist, die daran mitwirken wollen. Sie richtet sich gegen unberechenbare Staaten im Mittleren und Fernen Osten, Staaten, die sich nicht an den Nichtverbreitungsvertrag halten bzw. den Teststoppvertrag verletzen. Eine partnerschaftliche und nicht ausgrenzende Raketenabwehr schafft Transparenz und Vertrauen, insbesondere mit Blick auf Russland und China.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir sollten deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, intensiver über Sicherheitspolitik und sicherheitspolitische Architekturen nachdenken, weit über unsere nationalen Befindlichkeiten hinaus. Wir brauchen die breite Debatte. Wir können es auch offen ansprechen: Wir haben es mit dem Ende des Kalten Krieges versäumt, diese wertegeleitete Debatte in Deutschland mit Blick auf unsere sicherheitspolitischen Interessen zu führen. Das Weißbuch von 2006 ist gut, die Konzeption der Bundeswehr von 2004 auch. Aber wir haben das nicht in die Öffentlichkeit getragen. Wir sollten weiter und breiter in der Öffentlichkeit darüber diskutieren. Der Anstoß kann von uns ausgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind nicht allein auf der Welt. Wir dürfen die Debatte nicht blauäugig führen. Gutmenschentum ist in der Sicherheitspolitik fehl am Platz. Hier zählen Fakten, Bedrohungswahrnehmungen, strategische Interessen, historische Zusammenhänge und psychologische Befindlichkeiten. Aber es geht auch um Glaubwürdigkeit und verlässliche Stärke. Wir brauchen eine Analyse der sicherheitspolitischen Herausforderungen und ihrer Ursachen mit Blick auf Terrorismus, Aufrüstung und unkontrollierte Verbreitung, also Proliferation. Es gilt der Grundsatz: Je weniger Nuklearwaffen, desto geringer die Gefahr, dass dieses Material in terroristische Hände fällt.

Unsere heutige Abrüstungsinitiative ist dann sinnvoll und erfolgversprechend, wenn wir uns über unsere deutschen Sicherheitsinteressen glaubwürdig und vor allem auch für unsere Bündnispartner nachvollziehbar verständigen. Das bezieht die Frage der transatlantischen Abstimmung mit ein. Abrüstung kann somit nur gesamteuropäisch wirksam sein, und sie muss für nukleare und konventionelle Waffen gelten. Wir sollten auch daran denken, mit Russland über die baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen über den KSE-Vertrag zu sprechen, pragmatisch und offen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Als Rahmen bieten sich hierzu die NATO oder die OSZE an. Wir berücksichtigen dabei auch die Sicherheitsbedürfnisse unserer östlichen Nachbarn. Wir sollten Anreize für Abrüstung schaffen, nicht Misstrauen für neue Aufrüstung. Abrüstung kostet viel Geld; darüber müssen wir uns im Klaren sein. Erst langfristig schafft sie freie Ressourcen, zum Beispiel für Bildung und Forschung. Wir brauchen aber auch Mittel zur Sicherung der Nukleararsenale.

Auf dem Weg zur Verwirklichung des langfristigen Ziels Global Zero brauchen wir - ich glaube, da sind wir uns einig - die Festlegung einer möglichst geringen Anzahl von Kernwaffen als Restversicherung, und zwar möglichst außerhalb Europas. Wenn wir dies wollen, auch als Parlament, müssen wir uns darüber im Klaren sein, was das im Hinblick auf die Mitbestimmung, die Teilhabe bedeutet. Auch das ist ein Punkt, über den zu diskutieren ist. Ein zügiges Wegverhandeln der nichtstrategischen Atomwaffen nach dem START-Folgeabkommen ist sicherlich möglich. Mit diesem Vorschlag machen wir unsere deutschen Interessen klar - pragmatisch und konstruktiv. Wir gehen im Bündnis Hand in Hand.

Wir sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit dem schlichten und euphorischen Ruf nach Abrüstung, nach Abzug der Atomwaffen aus Deutschland ist es allein nicht getan. Wenn wir ernsthafte Abrüstungsbemühungen wollen, die dauerhaft erfolgreich sind, stehen wir erst am Anfang eines langwierigen und mühsamen Prozesses.

Unser Koalitionsvertrag weist den richtigen Weg. Wir setzen ihn auch in der Sicherheitspolitik erfolgreich um. Dennoch: Visionen schaffen keine Sicherheit. Aber sie schaffen Zielmarken. Sie ermöglichen einen Fahrplan. Aber der Fahrplan braucht Haltestellen. An diesen Haltestellen sollten Meilensteine der Abrüstung stehen, nicht auf Visionen beruhend, sondern auf klaren Fakten, ordentlichen Verhandlungen, gegenseitigem Respekt. Das ist möglich, wenn wir die Interessen unserer Nachbarn, auch die Befindlichkeiten unserer ferneren Nachbarn, und die historischen Zusammenhänge kennen. Wir brauchen für glaubwürdige Abrüstung Vertrauen, Verlässlichkeit und Transparenz.

Abrüstung mit Frieden zu verwechseln, ist ein schwerer Fehler. Abrüstung ist wichtig. Aber die Geschichte lehrt, dass zumeist nicht Abrüstung zu Frieden führt, sondern dass friedliche Zusammenarbeit erst einmal zu geringerem Misstrauen, dann zu weniger Angst und dann zu Abrüstung führt. Das hat kein Geringerer als Richard von Weizsäcker festgestellt.

Abrüstung führt dann zum Erfolg, wenn sie kein Selbstzweck ist, sondern wenn sie überlegt, mit den Partnern abgestimmt und mit einem klugen Plan erfolgt, immer mit Blick auf unsere eigenen Interessen, über die wir uns national, in Europa und im Bündnis sehr ordentlich verständigen müssen.

Unser gemeinsamer Antrag ist ein richtiger und zügiger Schritt. Entscheidend ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass unsere Abrüstungsziele mit unseren Interessen zusammenpassen. Populismus ist fehl am Platz, aber harte Arbeit umso willkommener. Packen wir es an!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Inge Höger (DIE LINKE):



Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Täglich sterben 500 Menschen weltweit in bewaffneten Konflikten. Das sind etwa 32 Menschen in den anderthalb Stunden, in denen wir heute über Abrüstung diskutieren. Nicht wenige von ihnen sterben durch deutsche Waffen, durch Schusswaffen, die in Deutschland oder mit deutscher Lizenz produziert wurden.

Die Atommächte dieser Welt besitzen nach wie vor ein nukleares Potenzial, das ausreicht, die Menschheit mehrfach zu vernichten. Trotzdem wird weiter aufgerüstet. Weltweit wird die unglaubliche Summe von 1 500 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben. Abrüstung ist demnach eine entscheidende Frage, eine Überlebensfrage für die Menschen auf diesem Planten. Abrüstung ist eine drängende politische Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Atomare und konventionelle Waffen müssen abgerüstet werden, ganz egal, ob es um Kleinwaffen oder Großwaffensysteme geht.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Linke ist deshalb für Abrüstung und den Stopp von Rüstungsexporten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung redet viel von Abrüstung. Herr Westerwelle hat gerade wieder den Beitrag Deutschlands für den Frieden in der Welt gelobt. Das ist völlig unglaubwürdig, solange die Bundeswehr immer mehr für Kriege aufrüstet. Es ist verlogen, solange Waffen in nahezu alle Regionen dieser Welt geliefert werden. Abrüstungspolitik sieht anders aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch im Lissabon-Vertrag wird die Doppelmoral bei der Rüstung hochgehalten. Der Vertrag regelt seit dem letzten Dezember die rechtlichen Grundlagen auch für die Außenpolitik der Europäischen Union. In dem Vertrag wird nur ein einziges Mal das Wort "Abrüstung" erwähnt. In Art. 41 und in Art. 42 geht es um "Missionen außerhalb der Union". Diese Missionen umfassen - Art. 43 - sogenannte "Abrüstungsmaßnahmen" in Drittstaaten, die mit militärischen Mitteln durchgeführt werden sollen. Gemeint ist also eine gewaltsame Abrüstung anderer Länder. Im selben Vertrag verpflichtet die EU ihre Mitgliedstaaten zu weiterer Aufrüstung. Die EU legt dabei auch fest, wie dies mit der Europäischen Verteidigungsagentur abgewickelt wird. Hier wird schamlos europäische Machtpolitik betrieben. Abrüstung wird es so nicht geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das schwedische Institut SIPRI hat gerade wieder festgestellt: Das Volumen des Rüstungshandels ist in den letzten Jahren weltweit um 22 Prozent gewachsen. Zusammen exportieren alle EU-Staaten inzwischen mindestens so viele Waffen wie die USA. Deutschland hat daran einen ganz erheblichen Anteil: Deutschland hat seine Ausfuhren in diesem Bereich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Deutschland ist damit Europameister beim Handel mit dem Tod und liegt weltweit auf Platz 3.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Was Sie machen, ist unglaublich!)

Um wenigstens etwas Licht in die dunklen Rüstungsgeschäfte zu bringen, haben wir bereits im Dezember 2008 beantragt, dass der Rüstungsexportbericht spätestens im zweiten Quartal des Folgejahres vorgelegt wird, statt, wie es bisher häufig der Fall ist, erst über ein Jahr später.

(Beifall bei der LINKEN)

Parlamentarische Kontrolle und Debatte über Rüstungsexporte sind ein wichtiger Beitrag zur Abrüstung.

Rüstungsexporte sind ein doppeltes Problem: Zum einen schaffen Waffen keinen Frieden, zum anderen fehlt das Geld, das für Waffen ausgegeben wird, an anderer Stelle. So haben auch deutsche Waffenverkäufe ihren Anteil an dem gigantischen Staatsdefizit in Griechenland. Deutsche Rüstungsunternehmen beliefern sowohl Griechenland als auch die Türkei, nahezu ausgewogen. Sie profitieren von den Spannungen zwischen diesen beiden Nachbarstaaten. Auch Südafrika und Pakistan werden mit deutschen Rüstungsprodukten beliefert. Diese Länder haben große ökonomische und soziale Probleme. Wenn Waffen gekauft werden, fehlt das Geld für Bildung, für Gesundheit, für Soziales. Deutsche Waffen gehen nach wie vor an Länder, die die Menschenrechte systematisch missachten, zum Beispiel an Saudi-Arabien. Sie gehen an Länder, die in Kriege und Bürgerkriege verwickelt sind, an Länder, die sich diese Waffen eigentlich gar nicht leisten können.

Für Rüstungsunternehmen ist das in der Regel kein Risiko; denn die Exporte werden mit staatlichen Hermesbürgschaften bestens abgesichert. Die Linke ist gegen öffentliche Garantien für Rüstungsgeschäfte.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sagt das einmal den Arbeitern von Rheinmetall!)

Die Linke ist für Konversion. Die Linke ist gegen Geschäfte mit dem Tod. "Frieden schaffen ohne Waffen" ist unsere Devise.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Super! - Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Da sitzt die Rüstungslobby!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Kollegin Agnes Malczak ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Jahresabrüstungsbericht 2009 zeigt die helle Seite der deutschen Außenpolitik. Doch es gibt auch eine ziemlich düstere: die der deutschen Rüstungsexporte. Den Rüstungsexportbericht legt die Bundesregierung nicht gerne vor. Bisher liegt der Rüstungsexportbericht weder für das Jahr 2009 noch für das Jahr 2008 vor. Das ist ein Skandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bevor ich auf diese dunkle Seite der deutschen Außenpolitik zu sprechen komme, möchte ich mich zunächst einem Lichtblick der deutschen Abrüstungspolitik widmen. Den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Grünen ist es gelungen, sich auf einen gemeinsamen Antrag zur nuklearen Abrüstung zu einigen. Wir Abgeordnete führen in diesem Hohen Hause leidenschaftliche, teilweise erbitterte Debatten zu allen möglichen Themen, und häufig ist das auch gut so. Trotzdem ist es wirklich einmalig, dass sich heute das gesamte Parlament zu einem atomwaffenfreien Deutschland und zu dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekennt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Die Entstehung des interfraktionellen Antrages kann durchaus als schwierige Geburt bezeichnet werden. Deshalb möchte ich mich bei Frau Zapf, bei Herrn Kiesewetter und bei Frau Hoff, die sich immens bemüht haben, dafür bedanken, dass wir dieses tolle Unterfangen auf die Beine gestellt haben. Mit diesem Antrag ist der Irrglaube aus dem Kalten Krieg, dass Atomwaffen für die Sicherheit unerlässlich sind, endlich aus den Köpfen aller hier verbannt.

Doch für uns ist es nur ein Teilsieg der Vernunft. Dass bei der Ausarbeitung dieses Antrages nicht alle Fraktionen beteiligt wurden, zeigt, dass die ideologischen und parteipolitischen Scheuklappen nicht ganz abgelegt werden konnten. Der Ausschluss der Linken, obwohl in der Sache eigentlich Konsens herrscht, ist aus Sicht der Grünen eine verpasste Chance.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN - Alexander Süßmair (DIE LINKE): Eine Sauerei ist das!)

Wenn in einer so wichtigen Frage Einigkeit besteht, sollten wir gesamtparlamentarisch Geschlossenheit demonstrieren.

Meine Damen und Herren, die Kanzlerin kann jetzt auf ihrer Reise zum Gipfel in die USA ebenso wie der Außenminister auf seinen Reisen statt einer Kontroverse - das kommt häufig vor - einen Konsens mitnehmen, der Ansporn und Mahnung ist. Abrüstung muss ein Grundpfeiler für die deutsche Außenpolitik im Dienste des Friedens sein. Diese Außenpolitik darf sich nicht verstecken, weder vor den USA noch vor der NATO. Deshalb sollten wir hier nicht zu vorsichtig sein und uns nicht zu sehr wegducken. Sie sind doch auch sonst nicht so kleinlaut, Herr Minister. Vertreten Sie diese Anliegen doch noch offensiver, statt immer nur auf die Bündnisverpflichtungen zu verweisen und die nukleare Abrüstung damit zu verknüpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer glaubt, die nukleare Bedrohung habe sich mit dem Ende des Kalten Krieges erledigt und sei nur noch ein gruseliges Kapitel in den Geschichtsbüchern, unterliegt einem gefährlichen Irrtum. Die von Atomwaffen ausgehende Gefahr für den Frieden und die Sicherheit in der Welt hat eine völlig neue, besorgniserregende Qualität erreicht. Derzeit existieren weltweit 23 000 atomare Sprengköpfe, von denen schätzungsweise 11 000 rund um die Uhr abschussbereit sind.

Eine zunehmende Zahl von Staaten ist dabei, ihre nukleare Enthaltsamkeit infrage zu stellen. Der Mythos, dass Atomwaffen ein Potenzmittel für mehr Macht und zugleich eine Immunspritze für mehr Sicherheit sind, verleitet aufstrebende Mächte und jene, die es werden wollen, dazu, ihre Hände nach der vermeintlichen Wunderwaffe auszustrecken. Tonnen von waffenfähigem Nuklearmaterial lagern teilweise an ungesicherten Orten, oft nur geschützt durch Maschendrahtzaun. Mit dem Wachstum von Information und Handel ist heute die Expertise für den Bau von Atomwaffen viel leichter verfügbar als jemals zuvor. Diese Bedrohungsskizze zeigt, dass wir uns keine Versäumnisse leisten können; denn es ist höchste Zeit, zu handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das starke Votum aus dem Parlament für den Abzug der verbliebenen US-Atomwaffen in Büchel in Rheinland-Pfalz und für eine Stärkung der nuklearen Abrüstung kommt gerade noch rechtzeitig; denn im Mai dieses Jahres findet die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt. Sie darf nicht scheitern wie vor fünf Jahren.

Ein Zusammenbruch des Nichtverbreitungsregimes und der multilateralen Rüstungskontrolle würde ein neues Zeitalter des Rüstungswettlaufes von mehr als nur zwei Großmächten heraufbeschwören. Daher ist es ein großer Schritt nach vorne, dass wir uns heute gemeinsam für klare Vereinbarungen für weltweite nukleare Abrüstung, für Rüstungskontrolle, für vertrauensbildende Maßnahmen und Transparenz aussprechen. Der gemeinsame Antrag enthält wirklich umfassende Forderungen zur Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt.

Für viele dieser Forderungen haben wir Grüne uns schon seit Jahren stark gemacht. Das Parlament will, dass die Bundesregierung für eine Verstärkung von Rüstungskontrolle und Abrüstung in der NATO eintritt, und zwar offensiv. Wir stimmen für die Offenlegung von Plutoniumbeständen und für die Einrichtung eines Kernwaffenregisters. Der Bundestag setzt sich für das weltweite Inkrafttreten des Atomteststoppabkommens ein. Wir erteilen dem Einsatz von Atomwaffen seitens der Atommächte gegenüber Nichtkernwaffenstaaten eine klare Absage.

Dass dieser Forderungskatalog von der Mehrheit dieses Hauses mitgetragen wird, ist ein erstaunlicher Fortschritt. Doch bei allem gerechtfertigten Lob und bei aller gerechtfertigten Freude über diesen Fortschritt dürfen wir uns auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der interfraktionelle Antrag, so gut er auch ist, kann für uns Grüne als Minimalkonsens nur ein Grundstein sein, auf dem wir weiter aufbauen müssen. Wer den Bauplan kennt, der weiß, dass es darüber hinaus noch viel zu tun gibt.

Ich möchte drei Baustellen nennen, die für uns wesentlich sind.

Die erste Baustelle befindet sich in Deutschland. Wir wollen auf die Beendigung der nuklearen Teilhabe nicht länger warten als nötig. Nukleare Abrüstung beginnt vor der eigenen Haustür. Deutschland kann und sollte sich schon jetzt dafür einsetzen, dass die Ausbildung von Bundeswehrsoldaten und die Bereitstellung von Trägermitteln für den Abwurf von Atomwaffen eingestellt werden, und damit dem Beispiel Kanadas und Griechenlands folgen, die ihrerseits vor Jahren die nukleare Teilhabe beendet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die zweite Baustelle betrifft die NATO. Auch was die Rolle von Atomwaffen innerhalb der NATO angeht, ist aus grüner Sicht mehr drin. Zur Überwindung einer Politik der nuklearen Abschreckung muss die Ersteinsatzoption für Atomschläge endlich abgeschafft werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

In der neuen NATO-Strategie, die im Herbst dieses Jahres beschlossen wird, muss Abrüstung das Kernprinzip eines Bündnisses werden, das für Frieden und Sicherheit stehen will. Das Bündnis muss sich außerdem in Richtung atomwaffenfreies Europa bewegen und in einem ersten Schritt den Abbau und vor allem auch die Verschrottung aller US-Atomwaffen in Europa einleiten.

Die dritte Baustelle ergibt sich aus der Problematik der doppelten Verwendung von Nuklearmaterial, für die es nur eine grüne Lösung gibt. Die zunehmende Ausbreitung der zivilen Nutzung der Atomenergie steigert auch die nukleare Gefahr, da immer mehr Staaten die Fähigkeiten zum Aufbau militärischer Nuklearprogramme erwerben.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum Beispiel Brasilien!)

Deutschland muss sich national und weltweit für den Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie einsetzen und stattdessen die Nutzung erneuerbarer Energien in der Welt fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber stattdessen fördert die Bundesregierung den Export von Atomtechnologie durch die Vergabe von Hermesbürgschaften wie unlängst für das Atomkraftwerk Angra 3 in Brasilien. Wenn kurzfristiger Profit in Sicht ist und die Atomlobby nach neuen Absatzmärkten lechzt, ist Schwarz-Gelb gegenüber Sicherheitsrisiken blind.

Damit sind wir auch schon bei den düsteren Seiten der deutschen Außenpolitik angelangt. Der vor kurzem erschienene Bericht des renommierten schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI bescheinigt Deutschland einen bitteren Exporterfolg, auf den auch in Zeiten der Weltwirtschaftskrise niemand stolz sein kann. In den vergangenen Jahren verdoppelte die deutsche Rüstungsindustrie ihre Exporte und baute ihren Weltmarktanteil von 6 auf 11 Prozent aus. Das ist ein trauriger Rekord.

Dabei ist nicht nur erschreckend, wie viele Waffen exportiert werden, sondern vor allem auch, wohin sie exportiert werden. Denn die Bundesregierung betreibt ihre offensive Rüstungsexportstrategie auch in Krisenregionen. Eine Rüstungsexportpolitik, die sich der Rüstungsindustrie derart unterwirft, unterminiert alle Anstrengungen um Abrüstung. Sie verschließt die Augen vor den verheerenden Folgen der weltweiten Aufrüstungsspirale für Sicherheit und Frieden in der Welt. Sie ist unmoralisch und verantwortungslos. Abrüstung ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen Sicherheits- und Friedenspolitik und muss daher industriepolitische Absichten übertrumpfen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Genau!)

Ich stimme dem Minister zu: Nukleare Abrüstung darf nicht zu konventioneller Aufrüstung führen. Aber gerade deshalb müssen wir auch an die Rüstungsexporte heran.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit anderen Worten: Konsequente und ehrliche Abrüstungspolitik erfordert eine restriktive Rüstungsexportpolitik und effektive Rüstungskontrolle. Dazu gehört auch, dass der Bundestag im Vorfeld und nicht wie in der bisherigen Praxis unzulänglich und erst im Nachhinein informiert wird. Wir fordern eine unverzügliche Vorlage der Rüstungsexportberichte für 2008 und 2009 und setzen uns für ein parlamentarisches Widerspruchsrecht ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend möchte ich festhalten: Unser heutiges Bekenntnis für ein atomwaffenfreies Deutschland und eine atomwaffenfreie Welt ist ein erster wichtiger Schritt. Die Einigkeit in dieser Frage über die Parteigrenzen hinweg ist hierfür ein vielversprechender Lichtblick. Wir Grüne wollen eine nachhaltige Sicherheits- und Friedenspolitik, zu der eine konsequente Abrüstungspolitik untrennbar dazugehört. Und mehr grünes Licht vertreibt auch die hier noch bestehenden Schatten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Elke Hoff (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte an dieser Stelle meine große persönliche Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass es den Frauen und Männern in den verschiedenen Fraktionen gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag für den Deutschen Bundestag auf den Weg zu bringen. Wir setzen damit ein starkes Signal, für das es keinen besseren Zeitpunkt hätte geben können als das Vorfeld der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages und des Gipfels zur nuklearen Sicherheit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Deutsche Bundestag setzt hierdurch ein deutliches Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen.

Der gemeinsame Antrag ist deshalb auch ein starkes Mandat für den Bundesaußenminister, der damit seinen beherzten und zukunftsweisenden Kurs in der Abrüstungspolitik national wie international fortsetzen kann. Er gibt der Bundesregierung und dem Außenminister die wichtige Rückendeckung des deutschen Parlamentes. Deutschland steht in den kommenden Monaten vor wichtigen internationalen Verhandlungen. Wir Parlamentarier wollen, dass insbesondere die Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages ein Erfolg wird. Wir wollen auch, dass Deutschland hierbei eine Vorreiterrolle übernimmt. Dies wird durch unseren gemeinsamen Antrag sehr deutlich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Da können auch die Linken mitklatschen!)

Das Ziel einer Welt frei von Atomwaffen ist eine Herkulesaufgabe. Kein Staat der internationalen Gemeinschaft kann es allein erreichen. Aber mit der Prager Rede von Präsident Barack Obama wurden Möglichkeiten eröffnet, die wir nicht ungenutzt verstreichen lassen dürfen. Die verantwortungsvolle Politik deutscher Staatsmänner wie Hans-Dietrich Genscher oder Helmut Schmidt während des Kalten Krieges hat maßgeblich dabei geholfen, dass wir heute die Chance auf eine atomwaffenfreie Welt nutzen können. Deutschland hat hierbei als Land, das während des Kalten Krieges ein potenzielles Feld für einen Atomkrieg war, eine besondere Verantwortung. Deshalb nutzen wir diese Chance gemeinsam mit der Bundesregierung. Mit dem vorliegenden interfraktionellen Antrag bekennt sich der Deutsche Bundestag zu dieser gemeinsamen Verantwortung.

Für unsere Abrüstungsziele müssen wir aber auch endlich die überkommenen militärischen Kalkulationen des Kalten Krieges über Bord werfen. Wir werden die Konflikte des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit den Strategien des 20. Jahrhunderts bewältigen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist deshalb richtig, dass die christlich-liberale Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat, sich im Rahmen der Ausarbeitung des neuen strategischen Konzepts und in enger Zusammenarbeit und Absprache mit unseren NATO-Verbündeten für einen Abzug der letzten US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.

Das Ziel einer umfassenden Abrüstung wird nicht ohne neue Abkommen zu erreichen sein. Insbesondere die USA und Russland sind hier in der Pflicht, da sich der Großteil der noch bestehenden weltweiten Atomwaffenbestände im Besitz der amerikanischen und der russischen Streitkräfte befindet. Es ist deshalb eine große Erleichterung, dass es den Regierungen in Washington und Moskau offensichtlich gelungen ist, den gordischen Knoten im Ringen um ein Nachfolgeabkommen zum START-Vertrag zu durchschlagen. Dies wäre auch ein wichtiges Abrüstungssignal im Vorfeld der Überprüfungskonferenz des NPT.

Die START-Nachfolge darf aber nicht der letzte Abrüstungsschritt bleiben. Gerade im Bereich der substrategischen Atomwaffen müssen transparente und verifizierbare Rüstungskontrollvereinbarungen gefunden werden. Diese Kategorie von Atomwaffen stellt eine besondere Gefahr dar, in die Hände von Terroristen oder Proliferateuren zu fallen. Ein solches Risiko muss durch neue Abrüstungsvereinbarungen zwischen den USA und Russland minimiert werden.

Die Abrüstung der bestehenden Nukleararsenale ist aber nur eine Seite der Medaille, soll das Ziel einer atomwaffenfreien Welt erreicht werden. Mehr noch, die internationale Gemeinschaft steht vor der schwierigen Aufgabe, die Entstehung neuer Kernwaffenstaaten zu verhindern. Die Konflikte um das iranische und das nordkoreanische Atomprogramm zeigt, wie schwierig dies ist. Sowohl ein nuklearbewaffneter Iran als auch ein dauerhaft nuklearbewaffnetes Nordkorea würden eine erhebliche Gefährdung der internationalen Sicherheit darstellen. Deshalb muss es oberstes Ziel der Weltgemeinschaft bleiben, diese Konflikte durch eine politische Lösung nachhaltig beizulegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Jahr 2010 wird ein weichenstellendes Jahr für das Ziel einer Welt frei von Atomwaffen. Der Deutsche Bundestag bekennt sich zu diesem Ziel. Mit dem heute eingebrachten Antrag haben wir als Parlament hierfür ein wichtiges Zeichen gesetzt. Ganz herzlichen Dank dafür an alle. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft auf diesem Konsenswege eine vernünftige Abrüstungspolitik machen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Rolf Mützenich (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich über den gemeinsamen Antrag der vier Fraktionen. Ich würde gern das Augenmerk auf die Kolleginnen und Kollegen sowie die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes richten; denn sie haben einen wichtigen Bericht über Abrüstung und Rüstungskontrolle vorgelegt. Ich finde, sie verdienen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Respekt für die Arbeit, die sie bei der Erstellung dieses Berichts geleistet haben. Ich freue mich, dass wir auf der Grundlage dieses Berichtes in den nächsten Wochen und Monaten weiter diskutieren können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Außenminister, Sie haben zu Recht gesagt, wir hätten mit dem heutigen Tag einen guten Zeitpunkt gewählt, weil wir uns offensichtlich in den nächsten Tagen einem Vertrag über die Begrenzung der strategischen Atomwaffen näherten. Das ist ein wichtiger Schritt. Aber nun kommt auf den amerikanischen und den russischen Präsidenten die große Aufgabe zu, im amerikanischen Senat und in der Duma um Zustimmung zu werben. Ich appelliere an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung, zum Beispiel bei Gesprächen mit Senatoren in Washington für diesen Vertrag zu werben, um deutlich zu machen, dass es im deutschen und im europäischen Interesse liegt, wenn die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen diesen Vertrag schnellstmöglich ratifizieren. Wir vom Deutschen Bundestag werden das tun. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung dem folgte.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe in der bisherigen Debatte ein bisschen den Beitrag Europas zu Abrüstung und Rüstungskontrolle vermisst. Ich finde, Europa kann eine Menge dazu liefern. Ich wünsche mir - wahrscheinlich stehen die Verhandlungen noch nicht vor dem Abschluss -, dass die 27 Mitglieder der Europäischen Union gemeinsam nach New York fahren und dort eine gemeinsame Verabredung zur Überprüfungskonferenz einbringen. Das wäre ein wichtiges Signal; denn unter diesen Staaten wären zwei Kernwaffenstaaten als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates. Das wäre ein entscheidender Beitrag Europas, die Überprüfungskonferenz zum Erfolg zu führen. Die Bundesregierung täte gut daran, bis zum Schluss intensiv daran zu arbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir unterstützen Sie, Herr Bundesaußenminister, wenn Sie sagen, dass wir eine Universalisierung des NPT-Vertrages brauchen. In der Tat fehlen noch immer Staaten in diesem Vertrag. Wir müssen alles daransetzen, auf der NPT-Konferenz die letzten Widerstände zu brechen und diesen Vertrag zu einem Erfolg der internationalen Politik zu machen. Ich glaube, gerade die neue Beauftragte der Europäischen Union, Frau Ashton, sollte darüber nachdenken, ob sie der Abrüstung und Rüstungskontrolle mit einer eigenen Organisationseinheit im Europäischen Auswärtigen Dienst eine stärkere Bedeutung geben sollte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Lissabon-Vertrag enthält Hinweise, dass das eine oder andere im Bereich des Militärischen aufgegriffen worden ist. Mir behagte es aber viel mehr, wenn dies auch die Abrüstung und Rüstungskontrolle beträfe.

Ich möchte auf Rüstungskontrolle und Abrüstung als Instrumentarium der Politik aufmerksam machen. Dieses Instrument ist kein Selbstzweck - darauf wurde schon hingewiesen -, sondern dient der Kooperation und dem Dialog. Wir haben dieses Instrument richtigerweise und klugerweise auch während des Kalten Krieges eingesetzt; denn es war sozusagen der erste Gesprächskanal, der sich zwischen den Blöcken entwickelt hat. Die europäischen Staaten, aber auch andere, die vom Ende des Kalten Krieges profitiert haben, sollten andere Regionen ermutigen, das Instrument der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu nutzen, um die notwendigen Dialogstrukturen in den Regionen wirksam zu machen. Was beobachten wir? Um uns herum gibt es in der Welt die größte Aufrüstung. Der SIPRI-Bericht hat darauf hingewiesen. Sie haben eben an den Doppelcharakter erinnert. Aber der entscheidende Aspekt wird sein, Abrüstung und Rüstungskontrolle sozusagen zur politischen Leitkultur in den Regionen weltweit zu machen. Ich finde, dazu hätten wir eine Menge beizutragen. Wir dürfen nicht nur Empfehlungen geben.

Wenn wir über die Universalisierung von Abrüstungsverträgen sprechen, möchte ich daran erinnern, dass noch nicht alle Staaten den wichtigen Vertrag über das Verbot von Streubomben unterzeichnen haben. Dieser Vertrag ist ein ganz wichtiger Meilenstein, den wir in den letzten Jahren erreicht haben. Ich ermutige Sie, andere Staaten darauf hinzuweisen. Es darf nämlich keine Ausnahmetatbestände im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das gilt dann natürlich auch für andere Staaten, die sich zum Beispiel das Recht herausnehmen, im Bereich der Urananreicherung eigene Rechte für sich zu reklamieren. Auch das müssen wir hier ganz offen benennen. Dazu zählt zum Beispiel Brasilien.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es entsteht nach meinem Dafürhalten eine große Gefahr, wenn es nicht gelingt, diese Sonderrechte zu beseitigen. Ich finde, dafür müsste auch die Bundesregierung zusammen mit den europäischen Partnern eine Menge tun.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, über den wir zwar nicht so stark diskutiert haben, den ich aber für höchstgefährlich halte. Die Volksrepublik China hat dokumentiert, dass sie in der Lage und auch bereit ist, Satelliten abzuschießen. Sie denkt im Zusammenhang mit dem Weltraum auch die militärische Komponente. Das ist eine große Gefahr und große Herausforderung. Ich weiß, dass andere Staaten - die USA und Russland - den Weltraum natürlich auch bereits für das Militär entdeckt haben, aber dass allein dieses Dokument gezeigt worden ist, wonach auch die Volksrepublik China dazu bereit ist, gibt eine Menge zu denken. Ich glaube, wir sollten diese Besorgnis in Gesprächen auch mit der Volksrepublik China immer wieder deutlich machen.

(Beifall der Abg. Uta Zapf (SPD))

Ich unterstütze das, was viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben. Die NATO muss wieder ein Forum für den Dialog über Abrüstung und Rüstungskontrolle werden.

(Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Das ist nicht die Erfindung dieser Bundesregierung, sondern aller Bundesregierungen. Wir haben immer dafür plädiert - und ich bin damals froh darüber gewesen, dass Frank-Walter Steinmeier und der norwegische Außenminister vorgeschlagen haben -, dieses Forum innerhalb der NATO zu entwickeln. Sie greifen das auf; ich finde das richtig. Ich glaube, innerhalb des Bündnisses gibt es dann auch eine Menge zu tun.

Herr Bundesaußenminister, ja, wir unterstützen Sie darin, die taktischen Atomwaffen aus Deutschland und auch aus den anderen Ländern zu bringen. Das muss man gemeinsam tun. Das kann dieses Parlament mit diesem wichtigen Antrag nicht allein, das kann man nur mit den Partnern insgesamt erreichen.

Ich bitte Sie, dann gleichzeitig auch eine Gefahr mitzubenennen, die entsteht, wenn sich andere Staaten in Europa melden und sagen: Na ja, dann nehmen wir diese Waffen einmal in unsere Länder auf. Auch das müssen wir diskutieren. Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie zu den Plänen der US-Regierung, diese Waffen möglicherweise auch zu modernisieren, Stellung genommen hätten. Auch das ist nach meinem Dafürhalten eine Herausforderung für Ihre ambitionierte Politik, die taktischen Atomwaffen aus Deutschland und aus Europa zu bringen; denn die Herkulesaufgabe wird doch eigentlich erst dann bewältigt sein, wenn es uns gelingt, auch Russland zu überzeugen, die taktischen Atomwaffen einer Verhandlungslösung zuzuführen. Das ist doch das große Problem, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU))

Damit komme ich zu einer weiteren Herausforderung in diesem Zusammenhang. Die Raketenabwehr lastet sozusagen - das haben wir bei den Gesprächen zwischen den USA und Russland doch gemerkt - wie ein Stein auf der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Deswegen unterstützen wir nicht nur das, was Sie gesagt haben, nämlich die partnerschaftliche Öffnung hinsichtlich der Raketenabwehr, sondern ich glaube, ein wichtiger Bestandteil muss sein, die Raketenabwehr zu einem Teil von Abrüstung und Rüstungskontrolle zu machen.

(Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gemeinsam!)

Wir werden keinen ABM-Vertrag mehr erreichen, aber ich finde, wir werden immerhin einen Dialog über die Raketenabwehr eröffnen müssen, weil das, was wir als defensiv betrachten, andere Staaten möglicherweise als zusätzliche, begleitende Offensivoption ansehen.

(Beifall der Abg. Uta Zapf (SPD))

Ich glaube, das ist die große Gefahr, der wir auch durch Abrüstung und Rüstungskontrolle begegnen müssen.

Ich komme zum Schluss. Der Iran hat hier in der Diskussion immer wieder eine Rolle gespielt. Das, was dort im Iran im Hinblick auf eine möglicherweise militärische Nutzung der Atomenergie geschieht, ist in der Tat eine große Gefahr. Ich glaube, wir haben im Deutschen Bundestag oft auch gemeinsam dafür appelliert, dass es eine politische Lösung geben muss. Frau Hoff, ich danke Ihnen dafür, dass Sie dies noch einmal ausdrücklich betont haben.

Ich will nur noch einmal daran erinnern: Wir dürfen nicht alles, was in den letzten Tagen auch aus dem Iran zu hören war, einfach beiseiteschieben. Ich finde schon, dass wir das, was Teheran auf den Tisch gelegt hat, noch einmal ernsthaft prüfen sollten.

(Beifall des Abg. Jan van Aken (DIE LINKE))

Vielleicht sollte eine Eins-zu-eins-Begleitung dieses Konzepts erfolgen. Es wäre fatal, wenn sich bei uns der Eindruck vermitteln würde, dass es hinsichtlich einer Verhandlungslösung jetzt sozusagen reicht. Wir brauchen die Verhandlungslösung in Zukunft. Wir brauchen eine politische Lösung und nicht nur eine Drohkulisse. Wenn die Vorwürfe stimmen, dann wäre das ein klarer Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag. Ich weiß nicht, was beunruhigender ist: die Existenz eines geheimen syrischen Nuklearprogramms an sich oder dass es über Jahre hinweg unentdeckt geblieben ist.

Den Risiken der Proliferation steht das legitime Interesse vieler Länder gegenüber, die Kernenergie zur Energieversorgung zu nutzen. Ungeachtet der Diskussion in Deutschland ist die Kernenergie weltweit, aber gerade im Nahen Osten und in den dort angrenzenden Regionen, auf dem Vormarsch.

(Ulrich Kelber (SPD): Mit europäischen Steuergeldern!)

Waffenfähiges Material kann entweder durch die Hochanreicherung von Uran oder in Wiederaufbereitungsanlagen für Plutonium hergestellt werden. Es muss deswegen gelingen, den Betrieb solcher Anlagen von dem Betrieb von Kernkraftwerken zu trennen. Auch Deutschland hat dazu einen Vorschlag eingebracht. Wir müssen jetzt international um die Akzeptanz der Multilateralisierung des Nuklearbrennstoffkreislaufs werben.

Die nukleare Abrüstung ist zwar die wichtigste, aber bei weitem nicht die einzige Aufgabe, der wir uns bei Abrüstung und Rüstungskontrolle stellen. Der Bericht der Bundesregierung listet auch zahlreiche Anstrengungen im Bereich der konventionellen Abrüstung auf. Ich möchte in diesem Bereich vor allem auf die Erfolge bei der Ächtung von Streumunition hinweisen, die aufgrund von zahlreichen Blindgängern über Jahrzehnte hinweg eine Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellt. Ende 2008 haben wir dazu die sogenannte Oslo-Konvention als einer der Ersten mit unterzeichnet und im Juli 2009 als elfter Staat auch im Parlament ratifiziert. Im Juni 2009 hat die Bundesregierung in Berlin eine Konferenz zur Zerstörung von Streumunition ausgerichtet. Aufgrund der überwältigenden Teilnahme hat sie dem Prozess politische Dynamik verliehen und ganz praktisch Wege zur technisch komplizierten Zerstörung dieser Munition aufgezeigt.

Das war wieder ein kleiner Schritt. Wir brauchen in Zukunft eine Vielzahl solcher Schritte auf dem Weg zu mehr Frieden und Sicherheit auf dieser unseren Welt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat der Kollege van Aken für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Jan van Aken (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abrüstung muss doch zu Hause anfangen. Nehmen wir die Waffenexporte. Ich finde es grauenhaft, dass kein anderes Land in Europa so viel Waffen exportiert wie Deutschland. Es ist kein totes Metall, das da verkauft wird, sondern diese Waffen töten, jeden Tag. In praktisch jedem Krieg und in jedem Bürgerkrieg auf der Welt werden deutsche Maschinengewehre eingesetzt, manchmal auf beiden Seiten. Es ist verlogen, hier über Abrüstung zu reden und gleichzeitig für viele Milliarden Euro andere Länder aufzurüsten.

(Beifall bei der LINKEN - Karin Strenz (CDU/CSU): Das ist Sicherheitspolitik! - Elke Hoff (FDP): Haben Sie schon mal was von Verteidigungspolitik gehört?)

Wenn jemand sagt, an den Waffenexporten hingen viele Arbeitsplätze, dann kann ich nur sagen: Wir wollen Arbeit schaffen ohne Waffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben noch eine Vision. Wir haben die Vision einer Welt, die frei ist von Waffen. Wir haben die Vision einer Welt, die frei ist von Atomwaffen und Kriegen.

(Ingo Gädechens (CDU/CSU): Die haben wir auch!)

Helmut Schmidt soll einmal gesagt haben: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. - Ich weiß nicht, ob er das wirklich ernst gemeint hat; falsch ist es auf jeden Fall. Ich sage: Wenn jemand Visionen hat, dann soll er nicht zum Arzt gehen, sondern auf die Straße,

(Beifall bei der LINKEN)

jetzt zum Ostermarsch und jeden Tag, immer wieder, bis wir endlich eine Welt ohne Atomwaffen und frei von Kriegen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit komme ich zu Ihrem Antrag zur atomaren Abrüstung. Erst einmal muss ich sagen: Ich finde ihn wirklich bemerkenswert.

(Karin Strenz (CDU/CSU): Ach nein!)

Ich freue mich ganz aufrichtig, dass auch die CDU/CSU jetzt die Forderung nach atomwaffenfreien Zonen unterstützt. Besonders freue ich mich, dass nun alle fünf Fraktionen im Bundestag dafür eintreten, dass endlich die letzten US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber da Sie selbst regieren, frage ich Sie: Wann? Wenn Sie es wirklich wollen, kann das doch innerhalb kürzester Zeit passieren. Nennen Sie ein konkretes Datum: Abzug aller amerikanischen Atombomben noch in diesem Jahr. Punkt. Denn Abrüstung kann doch nur funktionieren, wenn sie ganz konkret und ganz verbindlich ist.

Einiges in dem Antrag finde ich gut, sogar sehr gut; anderes finde ich aber eher bedenklich. Sie wollen immer noch nicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verzichten. Wie kann das zusammengehen, wenn Sie einerseits eine atomwaffenfreie Welt fordern und andererseits immer noch daran festhalten, anderen Ländern mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen zu drohen? Das passt nicht zusammen.

In einem Punkt hat sich ein richtig kapitaler Fehler in den Antrag eingeschlichen. Da kann ich nur sagen: Hätten Sie mal mit uns geredet! Wir haben vor fünf Monaten den ersten Antrag zur atomaren Abrüstung eingebracht. Dann haben Sie von den anderen vier Fraktionen sich zusammengesetzt, ohne mit uns zu reden. Ich finde das ziemlich kleinkariert, aber das ist Ihr gutes Recht. Wenn ich jetzt diesen peinlichen Fehler in dem Antrag sehe, muss ich sagen: Ein bisschen mehr Expertise hätte Ihnen gutgetan.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich den Antrag genau lese, komme ich zu dem Schluss, dass Sie darin den engsten Verbündeten der Bundesrepublik - England, Frankreich und den USA - mit Sanktionen drohen. Dazu muss man eines wissen - Herr Westerwelle hat es vorhin erklärt -: Der Atomwaffensperrvertrag kennt zwei Ländergruppen. Die einen haben Atomwaffen; die anderen haben keine Atomwaffen. Die einen haben sich verpflichtet, abzurüsten; die anderen haben sich verpflichtet, überhaupt keine Atomwaffen zu erwerben.

Es gibt fünf Länder, von denen wir ganz sicher wissen, dass sie ihre Verpflichtungen nach dem Atomwaffensperrvertrag nicht erfüllt haben. Das sind die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten China, Russland, England, Frankreich und die USA. Seit Jahren tun sie nichts, aber auch gar nichts für die atomare Abrüstung. Alle Experten in der Welt sind sich einig, dass das eine gravierende Verletzung des Atomwaffensperrvertrages ist.

Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag unter der Nr. 10 Sanktionen gegen alle Länder, die den Atomwaffensperrvertrag verletzt haben.

(Uta Zapf (SPD): Ach Kerlchen! - Heiterkeit bei der FDP)

Ich weiß nicht, wie das in London, Paris und Washington aufgenommen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie werden natürlich sagen: Die sind gar nicht gemeint. Wir meinen nur die Länder, die noch gar keine Atomwaffen haben, die erst welche erwerben wollen. - Dazu muss ich Ihnen sagen: Diesen Unterschied kennt das Völkerrecht nicht. Vor dem Völkerrecht sind alle Verpflichtungen gleich. Danach haben die Atomwaffenstaaten nun einmal die Verpflichtung, abzurüsten, und die haben sie gebrochen.

Das ist auch der Grund dafür, dass wir diesem Antrag - ich muss sagen: leider - nicht zustimmen können.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Och!)

Ich hätte es gern gesehen, dass wir als gesamter Bundestag diesem Antrag zustimmen. Aber mit diesem Punkt zu den Sanktionen geht das nicht.

Sie meinen mit den Sanktionen natürlich den Iran. Ich sage Ihnen: Da gehen Sie einen ganz gefährlichen Weg. Wer jetzt immer mehr Sanktionen gegen den Iran fordert, der kommt in eine Eskalation, die er nicht mehr stoppen kann. Das Ganze erinnert mich fatal an das Jahr 2002. Damals wurden die Drohungen gegen den Irak immer mehr verschärft, und am Ende hatten wir einen Krieg, den keiner hier mehr stoppen konnte. Ich sage Ihnen als jemand, der jahrelang auf dem Gebiet der Abrüstung gearbeitet hat, auch bei den Vereinten Nationen: Hören Sie auf, mit Sanktionen zu drohen, und kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück!

(Beifall bei der LINKEN)

Eine atomwaffenfreie Welt werden Sie nie, aber auch nie mit Sanktionen und Drohungen durchsetzen, sondern nur mit Verhandlungen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr van Aken, es trifft sich gut, dass wir direkt nacheinander reden. Ich möchte Ihnen erst einmal entschieden widersprechen, was Ihre Einschätzung zum Verhalten gegenüber dem Iran angeht. Ich bin wirklich der festen Überzeugung, dass jetzt eine klare Sprache und klare Handlungen gegenüber dem Iran notwendig sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist sehr viel Zeit verstrichen, die der Iran genutzt hat, um sein Nuklearprogramm voranzutreiben und gleichzeitig auch noch weitere Trägersysteme zu entwickeln. Vor dem Hintergrund sind die Weltgemeinschaft und natürlich auch der Deutsche Bundestag gefordert, klarzumachen, dass es uns nicht möglich ist, zu akzeptieren - so hat es der Minister schon gesagt -, dass der Iran Nuklearwaffen besitzt.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Deshalb stemmen wir uns auch dagegen.

Wenn Sie denken, dass es einen einfacheren Weg gibt, der nur Dialog beinhaltet, machen Sie es sich zu einfach. Wir müssen die Option auf Sanktionen selbstverständlich realistisch vorantreiben, weil wir uns sonst von vornherein um alle Handlungsoptionen bringen. Dagegen würde ich mich entschieden wehren. Reden allein wird den Iran nicht überzeugen. Das haben wir schon in den vergangenen Jahren gesehen. Israel macht sich zu Recht sehr große Sorgen um seine Sicherheit. Das können wir vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte auf keinen Fall akzeptieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin froh darüber, dass wir in diesem Haus in einem breiten Konsens über das Thema Abrüstung diskutiert haben. Herr van Aken, geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie diesem wirklich vernünftigen Antrag zu, der auf einem breiten Konsens fußt.

(Jan van Aken (DIE LINKE): Warum haben Sie nicht mit uns geredet?)

- Ich rede ja gerade mit Ihnen. -

(Jan van Aken (DIE LINKE): Ja, ja!)

Wir haben einen breiten Konsens hergestellt.

Sie haben einen Punkt herausgegriffen bzw. konstruiert, damit Sie wenigstens einen Grund, dagegenzustimmen, für Ihre Ablehnung vorweisen können. Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie diesem Zeichen für Abrüstung zu! Gerade heute, vor den anstehenden Konferenzen, ist es wichtig, dass wir deutlich machen, dass auch der Deutsche Bundestag ein klares Zeichen für Abrüstung in der Welt setzt. Stimmen Sie deshalb bitte zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir dürfen natürlich nicht außer Acht lassen, dass es trotz allen Bemühens - an dieser Stelle komme ich auf Iran und Nordkorea zu sprechen - unterschiedliche Entwicklungen gibt:

In der westlichen Welt wird intensiv darüber diskutiert, wie es mit den Nuklearwaffen weitergehen soll; das ist auch richtig so. In Amerika gibt es die Global-Zero-Initiative, die auch von deutscher Seite begleitet wird, beispielsweise durch die Initiativen des Bundesaußenministers. Auch der frühere Bundesaußenminister Genscher hat dies immer wieder angesprochen. Das alles ist sehr wichtig und zeigt eine Vision von einer nuklearwaffenfreien Welt, die sicherlich sehr wünschenswert ist.

Daneben stellen wir fest, dass Länder wie Iran und Nordkorea davon nichts wissen wollen, sondern weiterhin im Verborgenen daran arbeiten, ein Nuklearprogramm voranzutreiben. Dass dies eines Tages auch eine realistische Bedrohung für uns werden könnte, zeigen Erkenntnisse darüber, dass die Trägertechnologien, die im Iran erarbeitet werden, in fünf bis zehn Jahren eine Reichweite von etwa 3 000 Kilometern haben könnten. Wenn man sich überlegt, dass München nur rund 2 700 Kilometer vom Iran entfernt ist, dann wird klar: Dieses Programm stellt unter strategischen Gesichtspunkten selbstverständlich auch für uns eine Bedrohung dar. Der Iran entwickelt dieses Programm nicht, um Deutschland heute einen Nuklearschlag anzudrohen, sondern um strategisch in die Vorhand zu kommen und damit die westliche Welt als Schutzmacht Israels auszuhebeln.

Vor diesem Hintergrund muss man trotz allen Wohlwollens in unserer heutigen Debatte berücksichtigen, dass sich andere Staaten ganz anders verhalten. Deshalb gehört zu dieser Diskussion trotz aller Visionen eine gehörige Portion Realismus. Daraus muss man in den nächsten Wochen konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Ich werbe erneut dafür, dass der UN-Sicherheitsrat - am besten gemeinsam mit China und Russland; denn nur dann wird man effektiv und effizient sein - den Iran stärker unter Druck setzt. Ich glaube, dass es vor allem dann gelingen kann, unsere Partner in China und in Russland für dieses Projekt zu gewinnen, wenn wir an anderer Stelle Ernst machen und sie in größerem Maße - Herr Kollege Mützenich hat es gerade gesagt - in die Debatte um die Nuklearwaffen einbeziehen.

Erfolgreich werden wir nur mit der NATO, also zusammen mit unseren Bündnispartnern, sein. Außerdem müssen wir gemeinsam mit Russland einen vernünftigen Weg finden, über die Nuklearwaffen zu diskutieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass das der richtige Weg ist. Welches das richtige Diskussionsforum ist, das lasse ich offen.

Damit verknüpft ist die Frage, wie man in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren verantwortungsbewusst Außenpolitik gestalten kann. Ich halte die im Raume stehende Vision für richtig. Ich halte auch den angestoßenen Prozess für richtig. Er muss gemeinsam mit der NATO, mit unseren Verbündeten und darüber hinaus mit Russland fortgeführt werden, um Erfolge erzielen und eine emotionale Bindung an dieses Projekt erreichen zu können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält Herr Kollege van Aken das Wort.

Jan van Aken (DIE LINKE):



Herr Mißfelder, Sie haben gerade gesagt, wir hätten nach einem Haar in der Suppe gesucht. Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Seit Jahren arbeite ich im Bereich der Abrüstung - an der Universität, in NGOs, bei den Vereinten Nationen. Sie können versichert sein, dass uns die Abrüstung über alles geht. Ich habe lange nach einem Weg gesucht, wie wir diesem Antrag zustimmen können. Eines ist klar: In Washington und überall auf der Welt wird dieser Antrag völlig anders wahrgenommen, wenn der gesamte Bundestag zugestimmt hat. Diese Stärke hätte ich diesem Antrag gerne verliehen.

Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wir sollten uns einen Ruck geben, dann kann ich nur sagen: Sie von der CDU/CSU-Fraktion waren diejenigen, die darauf bestanden haben, dass die Linke bei der Ausarbeitung des Antrags nicht dabei ist.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Nehmen Sie sich mal nicht so wichtig!)

Jetzt fällt Ihnen das auf die Füße. Sie haben diesen Antrag geschwächt.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie uns beim nächsten Mal uns zu fünft zusammensetzen. Gemeinsam bringen wir etwas zustande. Das wird ein Signal an die Welt sein, das die Abrüstung wirklich voranbringt. Das, was Sie jetzt machen, ist parteipolitisches Schmierentheater. Dafür bin ich nicht zu haben. Mir geht es um die Abrüstung.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer kurzen Replik erhält der Kollege Mißfelder jetzt Gelegenheit.

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):



Ich möchte mich kurzfassen, Herr Präsident. - Herr van Aken, wir haben hier die Gelegenheit, das öffentlich, transparent, sogar im Fernsehen und in Anwesenheit vieler Zuschauer auf den Rängen zu diskutieren. Das heißt, wir gehen hier vernünftig miteinander um. Wozu Sie uns jedoch nicht zwingen können, ist, mit der SED-Nachfolgepartei gemeinsame Initiativen einzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der LINKEN: Oh!)

Das wollen wir einfach nicht. Das ist der Grund, warum wir mit Ihnen bei diesen wichtigen Themen nicht zusammenarbeiten wollen. Ich kann hier offen bekennen: Mit Ihnen nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erich Fritz für die CDU/CSU-Fraktion.

Erich G. Fritz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht wäre es im Zusammenhang mit der Debatte über Abrüstung sinnvoll, wenn der eine oder andere in diesem Haus auch sprachlich ein wenig abrüsten würde; denn all diese Themen eignen sich gar nicht zu überwiegend emotionaler und polemischer Auseinandersetzung. Dafür sind sie zu ernst, und dafür sind sie in vieler Hinsicht auch viel zu kompliziert.

Ich möchte mich jetzt mit dem Antrag der Grünen auseinandersetzen. Mir ist der Widerspruch in der Rede der Kollegin vom Bündnis 90/Die Grünen aufgefallen, die, was Rüstungsexporte angeht, in alte Muster zurückgefallen ist, während sie in der Abrüstungsdebatte sehr sachlich und zukunftsorientiert argumentiert hat. Die Tatsache, dass wir als Bundestag die offiziellen Zahlen bekommen, lange nachdem SIPRI sie schon veröffentlicht hat, GKKE uns die Stellungnahme zugeschickt hat und Zahlen aus allen möglichen Himmelsrichtungen geliefert worden sind, ist unbefriedigend - das wissen auch Sie selbst, Herr Außenminister -; aber das hat mit dem Verfahren zu tun, mit dem gearbeitet wird. Ich bin sicher, dass die Zahlen über Exporte Deutschlands, die SIPRI in diesem Jahr veröffentlicht hat, vermutlich wieder nicht stimmen und dass sich die Schlagzeilen, auf die so heftig reagiert worden ist, relativieren werden. Es wird sich weder die Verdoppelung der Zahlen herausstellen - davon gehe ich aus -, noch werden wir auf der Rangstufe sein, die man uns jetzt bescheinigt.

Was geschieht tatsächlich? Tatsächlich gibt es eine große Kontinuität in der deutschen Rüstungsexportpolitik, die sich an den sehr restriktiven Regelungen des Jahres 2002 orientiert. Vieles von dem, was in den nächsten Berichten stehen wird, ist im Übrigen auf Verträge zurückzuführen, die geschlossen worden sind, als diese Regierung noch längst nicht im Amt war.

(Beifall des Abg. Dr. Rainer Stinner (FDP))

Es sind sogar Verträge dabei, die schon die vorhergehende Regierung geerbt hat.

Es empfiehlt sich, das Ganze sehr nüchtern zu betrachten. Der EU-Standpunkt, der zu einer gemeinsamen Rüstungsexportpolitik in Europa führt, hat einen weiteren Fortschritt gebracht. Er hat die europäischen Exporte zwar noch nicht deutlich reduziert, aber wir haben eine Vergleichbarkeit, eine größere Transparenz. Der EU-Standpunkt trägt außerdem dazu bei, dass sich die Rüstungswirtschaft in Europa stärker auf gemeinsame Ziele fokussiert. Das sieht man an der deutschen Rüstungsexportpolitik: Rüstungsgüter gehen in der Regel an Mitgliedstaaten der EU und der NATO. Selbst SIPRI und andere kritische Beobachter bestätigen, dass Deutschland beim Export in Staaten, die nicht Mitglieder der EU oder der NATO sind, äußerst restriktiv ist. Auch das sollten wir einmal sagen. Wir müssen doch nicht so tun, als wären wir da überhaupt nicht vorangekommen. Über die Jahre hat sich die Transparenz immer weiter erhöht.

Die Verabschiedung des Antrags, der jetzt eingebracht wurde, würde dazu führen, dass der Jahresabrüstungsbericht - das erkennt, wer genau hinschaut und weiß, wie ein solcher Bericht zustande kommt - in Zukunft später vorgelegt wird. Denn es gibt einen bestimmten Vorlauf für die Vorlage des Rüstungsexportberichts, den man nicht einfach auflösen kann. Da gibt es einmal die Genehmigungen; sie kann man ziemlich früh erfassen, weil das BAFA sie laufend ermittelt. Dann gibt es die tatsächlichen Exporte. Die kann man erst im Nachhinein erfassen. Dazu benötigt man die abgeschlossenen Dateien des Statistischen Bundesamtes. Sie auszuwerten, dauert ein bisschen länger; sie können eigentlich nicht vor Mitte des Jahres vorliegen. Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit dem Rüstungsexportbericht ist die Pflicht zur Meldung an das UN-Waffenregister. Auch damit ist ein zeitliches Auseinanderfallen verbunden.

Natürlich geht es nicht, dass wir zwei, drei Jahre hinterherhinken. Die Bundesregierung hat zugesagt, dass der Bericht 2008, dessen Vorlage sich durch den Regierungswechsel verzögert hat - so etwas ist schon früher vorgekommen -, jetzt an das Kabinett geht und uns anschließend zügig vorgelegt wird. Nach der Sommerpause, im dritten, spätestens im vierten Quartal, werden wir auch den Bericht von 2009 vorgelegt bekommen. Ich glaube, das ist richtig. Spätestens im Herbst des Folgejahres - das ist, wenn man alle Abläufe betrachtet, machbar - muss der Rüstungsexportbericht vorliegen.

Noch etwas kommt hinzu: Wir alle sollten bei den Parlamentsdebatten darauf achten, dass nicht alles und jedes auf die Tagesordnung kommt und wichtige Punkte nicht im Stapel der Dinge, die nicht abgearbeitet werden können, weil die Zeit nicht ausreicht, untergehen.

(Beifall des Abg. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich wünsche mir auch, dass alle, die hier auftreten und sich öffentlich zur Rüstungsexportpraxis melden, dann, wenn der Bericht in den zuständigen Ausschüssen behandelt wird, über ihn debattieren, konkret über seine Einzelheiten sprechen und wirklich einen Dialog mit der Regierung führen. In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder Folgendes erlebt: Im Ausschuss wurde der Bericht durchgewinkt, und im Plenum fanden große Debatten statt. Das ist vor dem Hintergrund der Artikulationsfunktion des Parlaments zwar zu rechtfertigen; aber mit sachlicher Arbeit, damit, wie wir mit dieser Frage umgehen und wie wir zu einer weiteren restriktiven Praxis kommen, die mit unserer und der europäischen Außenpolitik übereinstimmt, hat dies nichts zu tun. Das ist zu wenig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen für die CDU/CSU-Fraktion zu: Wir werden einen solchen Antrag gemeinsam mit Ihnen einbringen, wenn die Bundesregierung nicht einhält, was sie für dieses Jahr versprochen hat. Aber ich bin sicher, dass sie ihre Versprechen einhält.

Dieses Thema eignet sich nicht für Aufregungen. In der Koalitionsvereinbarung steht, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle wichtig sind und dass dies ein zentraler Baustein einer globalen Sicherheitsarchitektur ist. Wir können aufgrund der jetzt in Bewegung geratenen internationalen Abrüstungsdiskussionen davon ausgehen, -

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege!

Erich G. Fritz (CDU/CSU):

- dass es demnächst wieder Abrüstungsberichte gibt, die keine Regierungsprosa enthalten nach dem Motto: "Wir haben etwas aus den laufenden Prozessen, die wir beobachten, zu berichten", sondern substanzielle Fortschritte vorweisen, über die zu debattieren wir mit großer Freude hier zusammenkommen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/445 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/1159 mit dem Titel "Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der einbringenden Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit breiter Mehrheit angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 23 d. Hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlage auf der Drucksache 17/1167 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Dabei ist allerdings die Federführung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dem Auswärtigen Ausschuss die Federführung zu übertragen, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Gegenstimmen sind erkennbar die Mehrheit. Damit ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt.

Ich lasse nun über den anderen Überweisungsvorschlag, die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie anzusiedeln, abstimmen. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieses Mal waren die Stimmen für den Überweisungsvorschlag in der Mehrheit, und damit ist die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie beschlossen.

Quelle: Deutscher Bundestag: Vorläufiges Protokoll der 35. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 26. März 2010; www.bundestag.de


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